Bis ans Ende der Welt

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Freitagnacht, 14. August 2015, ZDF, 01:10 Uhr

Da hat der Filmemacher Wim Wenders mit einer recht vertrauten Crew von 1990 bis 1991 im Rahmen einer umfangreichen Reise einen Science Fiction-Film inszeniert, der um die vergangene Jahrhundertwende spielt, mehr als ein Jahrzehnt an Vorbereitungen beanspruchte, nun in prachtvoller Länge von viereinhalb Stunden in der Nacht nach seinem 70. Geburtstag im ZDF ausgestrahlt wird und trotz seines schlafenszeitlichen Beginns auch noch von kino-zeit.de empfohlen wird, und zwar wärmstens. Denn Bis ans Ende der Welt, der bei dem einen oder anderen hartgesottenen Cineasten der älteren Garde nostalgische Kinoerinnerungen an angenehm karg besuchte Spätvorstellungen mit Endzeitcharakter hervorzurufen vermag, ist ein in vielerlei Hinsicht grandioses Werk, das mit melancholischer Gier durchlitten werden will und im Grunde zur nächtlichen Stunde erst seinen treffsicher visionären bis zärtlich-morbiden Charme kompromisslos entfaltet.
Den Wesen der Erde, die offensichtlich zunehmend von visuellen Impressionen in Form von Bildern und Videos beherrscht werden, droht möglicherweise eine nukleare Katastrophe. In der beginnenden Auflösung der zuverlässigen Ordnungsstrukturen bereist der undurchsichtige Trevor McPhee alias Sam Farber (William Hurt) den aufgestörten Planeten mit einem ganz besonderen Gerät im Gepäck: Er besitzt und betätigt eine Art Kamera mit der Qualität, ihre Aufzeichnungen auch für blinde Menschen erlebbar werden zu lassen. Als die orientierungslose Französin Claire (Solveig Dommartin) sich unterwegs wie vom Donner gerührt in Sam verliebt und ihm gnadenlos in waghalsiger Sehnsucht folgt, ahnt sie noch nicht, dass der Sohn des Wissenschaftlers Henry Farber (Max von Sydow) diese Mission für seine erblindete Mutter Edith (Jeanne Moreau) verfolgt, deren bewegte Lebensgeschichte er in Bildern einzufangen bemüht ist. Doch hinter Sam, seiner Kamera und seiner Verfolgerin in Sachen Liebe Claire sind außerdem der CIA, ihr vormaliger Liebster Raymond (Eddy Mitchell) und der Detektiv Phillip Winter (Rüdiger Vogler) her, und das sind noch nicht alle wild durch die Welt vagabundierenden Helden dieses abgründigen Roadmovies, die schließlich in Australien beim Forschungslabor von Sams Vater zusammentreffen. Dieser entwickelt nun sogar eine Methode, um Träume aufzuzeichnen, was bei den Testpersonen einen sogartigen Effekt der filmischen Selbstversunkenheit auslöst, der sie unablässig um die eigene Person, deren Dokumentation und die anschließende Sichtung derselben kreisen lässt…

Im Zeitalter von suboptimaler Selbstinszenierung, dem Hype um so genannte Selfies und nun sogar auch noch entsprechenden Sticks sowie der rapide angewachsenen Dominanz selbst banalster visueller Präsentationen in jedweder Dimension lässt sich mit Bis ans Ende der Welt der Photograph und Regisseur Wim Wenders einerseits als weitsichtiger Visionär und andererseits als sanfter, selbstironischer Ketzer der eigenen Zunft neu entdecken, der mit diesem Wahnsinns-Projekt eine bildgewaltige Welttournee der Extraklasse absolviert und in eine selbstreferentielle Fiktion gebannt hat. Die aufregende Form der Besessenheit, die aus diesem Film aufstrahlt und sich auch in seinen verstörten Figuren spiegelt, erfährt Linderung bis hin zu Heilungstendenzen durch die musikalische Komponente, die einen so stimmigen wie eingängigen und gar tröstlichen Soundtrack mit Songs von Talking Heads, Lou Reed, Elvis Costello, Patti Smith, T-Bone Burnett und einigen anderen Größen der Branche hervorbrachte, der seinerzeit auch in Kopie als gute alte Audio-Cassette brandheiß gehandelt wurde.

Bis ans Ende der Welt stellt ungebrochen eine Herausforderung an die Sehgewohnheiten eines Publikums dar, das sein Regisseur mittlerweile längst ansprechend mit dem 3D-Format konfrontiert und damit um eine weitere Nuance seiner Visualität bereichert hat. Dabei bleiben es letztlich nach all den Jahren, Entwicklungen und Filmen seines Schaffens doch die Inspirationen, die Emotionalität und die humanistische Grundkonstante seiner Geschichten, die Wim Wenders stets erneut dazu befähigen, die Filmgeschichte mit seiner ureigenen Sicht vom Stand der Dinge und vor allem der Menschen förderlich, dauerhaft, behutsam und bedeutsam zu prägen. „Thank you, man, we’ll love you till the end oft he world“, ließe sich angelegentlich Nick Caves Song aus Bis ans Ende der Welt umtexten, um dem Jubilar Wim Wenders euphorisch zu gratulieren, dessen mehr oder weniger verborgene Botschaften möglicherweise immer von Liebe handeln.

Bis ans Ende der Welt

Da hat der Filmemacher Wim Wenders mit einer recht vertrauten Crew von 1990 bis 1991 im Rahmen einer umfangreichen Reise einen Science Fiction-Film inszeniert, der um die vergangene Jahrhundertwende spielt, mehr als ein Jahrzehnt an Vorbereitungen beanspruchte, nun in prachtvoller Länge von viereinhalb Stunden in der Nacht nach seinem 70. Geburtstag im ZDF ausgestrahlt wird und trotz seines schlafenszeitlichen Beginns auch noch von kino-zeit.de empfohlen wird, und zwar wärmstens.
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Meinungen

dr.friedrich schreyer · 26.07.2020

anlässlich des 75.ten geburtstages von wendeers zeigt arte gerade eine werkschau seines schaffens. so bin ich auch "bis ans ende der welt" gestoßen. ich spüre überhaupt die länge des films angesichts der traumhaften bilder, der genialen kameraführung und der wunderbaren solveigh, deren sehnsucht sich von minute zu minute auf mein innertses überträgt. .solveigh dommartin ist leider unendlich zu früh gestorben. danke an arte für die möglichkeit, diesen film sehen zu dürfen..dr.friedrich schreyer, mannheim