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Können Anflüge von Echtheit das Pathos eines prätentiösen Films bezwingen? Nach der Sichtung von Wim Wenders’ neuer Arbeit glaubt man die Antwort auf diese Frage zu kennen.

Grenzenlos (2018)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Bist du da?

„Ich möchte über alles, was ich sehe, mit dir sprechen“, heißt es an einer Stelle in „Grenzenlos“. Ein wunderbarer Satz, den jeder Mensch, der schon einmal verliebt war, verstehen dürfte. Es geht nicht darum, dass etwas nur dann von Wert ist, wenn man es mit der Person, die man liebt, teilt; sondern darum, dass man diese Person bei allem, was man erlebt, irgendwie direkt mitdenkt. Sie ist immer da, auch wenn sie nicht da ist. Man will ihr von dem, was einem gerade in diesem Moment passiert, erzählen, weil ihre Reaktion darauf, ihre Gedanken und Gefühle dazu etwas bedeuten und weil man ihr zugleich das eigene Empfinden, die eigenen Ansichten vermitteln will, um sich letztlich noch näher zu kommen. Miteinander zu sprechen – das kann verdammt intim sein; und die Sehnsucht danach kann einen fast um den Verstand bringen.

Noch ein weiteres Phänomen wird in Grenzenlos eingefangen, welches uns allen wohlbekannt sein wird: der ständige Blick auf das Smartphone, verbunden mit der Hoffnung auf eine Nachricht, auf Worte, die uns versichern, dass das, was wir fühlen, nicht einseitig, nicht unerwidert ist. „Als das Telefon nicht klingelte, wusste ich, dass du es warst“ – mit dieser Sentenz hat die großartige Schriftstellerin Dorothy Parker jene bittere Erkenntnis, dass der geliebte Mensch so gar nichts von sich hören lässt, einmal in Prä-Handy-Zeiten auf den traurigen Punkt gebracht. Bitte melde dich (ruf an, schreib mir, schick mir ein Zeichen), bitte lass mich wissen, dass ich dir nicht egal bin: Dieses innere Drama ist einerseits sehr modern – und andererseits völlig zeitlos.

Dass nun ein Filmemacher wie Wim Wenders und eine Schauspielerin wie Alicia Vikander diese Phänomene des Liebens für uns auf die Leinwand bannen, lässt eigentlich das Beste erwarten: Denn wurde die tiefe Verbindung zwischen zwei Individuen je magischer erfasst als etwa in Wenders’ Der Himmel über Berlin? Und wurde die Zuneigung zu einem Menschen je schmerzhafter und aufrichtiger interpretiert als von Vikander in The Danish Girl? Wohl kaum.

Und doch ist Grenzenlos bedauerlicherweise nicht das Werk über „Tiefe. Sehnsucht. Liebe.“ (so die Werbezeile) geworden, das es sein könnte, sollte und müsste. Weil der Film die Liebe durch seine Überambition total banal erscheinen lässt. Weil er Dinge verweben will, die überhaupt nicht zueinanderpassen. Und weil er alles verkitscht; weil er statt nach wahrhaftiger Künstlichkeit (wie in Der Himmel über Berlin) lieber zu bedeutungsschwangerem Schwulst greift und statt auf spürbare Nähe (wie in The Danish Girl) eher auf Behauptungen setzt. Hier wird ja gar nicht von der Liebe erzählt, begreift man irgendwann – sondern von „der Liebe“. Von einem Konstrukt. Hier muss alles ganz, ganz groß sein – wodurch das Echte, das Alltägliche und das Vertraute leider plötzlich winzig klein werden.

Im Zentrum von Grenzenlos stehen die Biomathematikerin Danielle (Vikander) und der Wasserbauingenieur James (James McAvoy), der einst Soldat war und inzwischen für den britischen Geheimdienst arbeitet. Als sie sich in einem abgelegenen Hotel in der Normandie begegnen, steht beiden eine überaus wichtige Mission bevor: Danielle ist Teil eines Tiefsee-Tauchprojekts, bei welchem es um den Ursprung des Lebens auf der Erde geht; James soll in Somalia eine Gruppe aufspüren, die Selbstmordattentäter nach Europa bringt.

Die Passagen, die sich dem kurzen Kennenlernen der beiden widmen, haben gelegentlich durchaus ihren Reiz. Manche Äußerung ist anzüglicher als vermutet (was gut ist), mancher Blick und manche Geste lassen die Leidenschaft füreinander erkennen, an die wir glauben müssen, um der Geschichte zu folgen. Wenn Danielle und James bei Whisky und Weißwein vor behaglichem Kaminfeuer oder in berückend schöner Landschaft über Liebe und Tod sowie über die Entstehung des Lebens reden, hat das etwas Prätentiöses, ist aber nicht gänzlich uninteressant: Dass ein Gespräch über die Schichten des Ozeans erotisch sein kann oder Mikado ein sexy (Vor-)Spiel ist, hat man vorher womöglich noch nicht gewusst.

Die Sequenzen, in denen das Paar (örtlich) voneinander getrennt ist, sind hingegen extrem problematisch. Danielle sticht in See, James begibt sich nach Ostafrika und wird dort von Dschihadisten gefangen genommen. Das Drehbuch von Erin Dignam, eine Adaption des Romans Submergence von J.M. Ledgard, sowie die Inszenierung von Wenders versuchen fortan, Parallelen zwischen der Gefangenschaft von James und Danielles Expedition auf dem Meeresgrund herzustellen – und das kann nur misslingen.

Wenn James in Lebensgefahr schwebt und die nichts ahnende Danielle derweil beim Sporttreiben in Tränen ausbricht, weil ihr Smartphone stumm bleibt, wird das weder der einen noch der anderen Form von Schmerz gerecht. Der geschundene Körper von James, das Leid und die politischen Konflikte in Somalia muten eigenartig abstrakt an. Danielle scheint indes ihre Mission, für die sie so brannte, mit einem Mal ziemlich egal zu sein – und uns damit ebenfalls. Das sollte sie aber nicht. Statt über alles, was sie sieht, mit ihrer großen Liebe sprechen zu wollen, wird die gerade noch so ehrgeizige Akademikerin zu einer Person, die in Abwesenheit dieser Liebe gar nichts mehr sieht – nicht einmal die Möglichkeit, die Menschheitsgeschichte neu zu schreiben. Grenzenlos entwickelt sich zu einem Ärgernis, das all seine Themen – Liebe, Politik und Wissenschaft – unter Pathos begräbt und sein Potenzial mit anmaßender Geste verschenkt.

Grenzenlos (2018)

J.M. Ledgards gleichnamiger Roman diente als Vorlage für Wim Wenders‘ neuestem Werk „Submergence“. In dem Thriller geht es um die Liebe zwischen James Moore, in Somalia in Gefangenschaft von Dschihadisten lebend, und Danielle Flinders, Tiefseetaucherin auf Entdeckungstour in Grönland. Obwohl tausende von Meilen zwischen ihnen liegen und sie sich bisher nur einmal getroffen haben, ist es der Gedanke aneinander, der beide am Leben hält.

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Meinungen

Alexandra · 08.03.2022

Ich fand den Film sehr schön und er hat mich vom ersten Moment an in den Bann gezogen. Gut die Synchronisationsstimmen fand ich auch nicht passend aber man hat sich im Laufe des Films dran gewöhnt. Ich fand nur das Ende nicht so gut da offen blieb ob sie sich wieder gesehen haben.

Julia · 26.02.2022

Schlecht synchronisiert und das bei der Top Besetzung mit den beiden.

Tanja · 08.11.2020

Ist der Film deswegen so schlecht und steif synchronisiert, mit Stimmen die überhaupt nicht zu den Schauspielern passen… Weil der Regisseur ein Deutscher ist?

Trixi Vogt · 15.08.2018

Ich finde GERADE die Gegensätzlichkeit der Welten und Themen im Film, in denen sich die beiden Protagonisten bewegen, nicht nur intellektuell herausfordernd, sondern auch technisch wie künstlerisch wertig umgesetzt: Bildtechnisch, narrativ und leitmotivisch arbeitet der Film sauber, sodass durch z.B. Überblendungen eine bis dahin nicht gedachte/vermutete Verbindung (Grenzenlosigkeit?) der Themen und Protagonisten deutlich wird. Zudem sind die Bilder nicht nur in diesen Überblendungen- wie erwartet bei Wenders- ein Hochgenuss.
Dass Danny plötzlich weniger ambitioniert ist, als James sich nicht meldet, ist übrigens nicht korrekt. Nach wie vor stürzt sie sich, auch um sich abzulenken, in ihre Arbeit, was sogar von ihrem Team an einer Stelle deutlich wahrgenommen und kommentiert wird. Hier erkenne ich im Plot und in der Zeichnung der Charaktere weder Kitsch noch Klischee.