Das Salz der Erde

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Die Schönheit im Angesicht des Grauens

Die Menschen seien das Salz der Erde, so lautet ein altes Sprichwort. Angesichts der Schwarzweiß- Aufnahmen aus der brasilianischen Goldmine Serra Pelada, in der hunderte Männer übereinander klettern wie in einem chaotischen Wimmelbild, wird dieser Satz anschaulich. Viel bedeutungsvoller als Salzkörner können sie doch kaum sein, diese winzigen Menschen, die unsere Erde erst zu dem gemacht haben, was sie ist — im Positiven wie im Negativen. Das Sprichwort ist aber auch eine leicht zugängliche Metapher für das Kunsthandwerk der analogen Fotografie, bei der erst die Belichtung wirr verteilter Silbersalze ein fertiges Bild erscheinen lässt.
Es ist diese Profession, auf die sich der Brasilianer Sebastião Salgado so gut versteht, dass Wim Wenders ihm einen Dokumentarfilm gewidmet hat. Das Salz der Erde lief in der Nebenreihe Un Certain Regard in Cannes 2014 und ist nicht nur ein filmisches Portfolio voller beeindruckender Aufnahmen geworden, sondern auch die sehr persönliche Geschichte eines Mannes, der im Laufe seines Lebens unglaubliche Dinge gesehen hat; schwer zu Ertragendes dokumentierte und daran beinahe selbst zerbrach. Verantwortlich für diese intime Perspektive auf Salgado ist mit Sicherheit zum Großteil dessen eigener Sohn Juliano Ribeiro Salgado, der neben Wenders mit dem Anspruch als Co-Regisseur fungierte, seinen Vater besser kennenzulernen. Die beiden Filmemacher wählen einen gelungenen Weg der Annäherung an den Fotografen und sein umfangreiches Werk. Sie begleiten ihn während der Arbeit bei Ureinwohnern in Papua-Neuguinea oder in der Arktis, zeigen seine ersten zufällig entstandenen Fotografien und zeichnen in groben Strichen seinen Werdegang nach. Mal ist es die Perspektive Wenders, mal die Ribeiro Salgados, dann wieder kommt der Fotograf selbst zu Wort, erzählt von seinen Reisen und der Entstehung seiner Bilder. So fällt es leicht, ein erstes Gefühl für den Blick des Mannes zu entwickeln, ein autobiografisch geprägtes Verständnis für seine Themen, Empathie für ihn und seine Familie.

Umso wuchtiger wirkt der Perspektivwechsel nach, mit dem Wenders und Ribeiro Salgado sich nach diesem filmischen Prolog auf die Großprojekte Sebastião Salgados fokussieren. Sie tragen groß gedachte Titel wie „Terra“ oder „Exodus“ und sind auch inhaltlich nicht weniger ambitioniert. Als Verfechter der sozialdokumentarischen Fotografie wendet der Künstler sich vorwiegend den Menschen am unteren Ende der globalen Rangordnung zu, begleitet Minenarbeiter in Südamerika und fotografiert Hungernde in Äthiopien, dokumentiert den Völkermord in Ruanda und fährt an Kriegsschauplätze in Jugoslawien. Immer sind Salgados Aufnahmen in Schwarzweiß gehalten, immer sind sie so exakt durchgezeichnet, so fein komponiert, dass sie eher wie abstrahierende Kunstwerke als bloße Dokumente wirken.

Diese Distanz ist bitter nötig, erzählen seine Motive doch von nur schwer zu ertragenden Grausamkeiten. Sie entwickeln diese eindringlich mitfühlende Wucht, bei der das Gefühl nahezu greifbar wird, wie sich eine beklemmende Stille über ein ganzes Kinopublikum legt, durchtränkt von dem nagenden Gedanken, die eigene Lebenszeit sei an vorderster Aktivistenfront sicher sinnvoller genutzt als in diesem Kinosaal. Das Salz der Erde reizt seine moralisierenden Tendenzen nicht selten etwas zu sehr aus, bewegt sich weg vom dokumentarischen Anspruch und hin zum wenig subtilen Weltverbesserungsfilm. Er entfaltet dann nicht mehr komplexe Situationen, sondern zeigt uns in einer schier endlosen Akkumulation alles, was auf diesem Planeten schief läuft. Nach einigen Jahren ist Salgado am Ende. Während seiner Arbeit hat er einigen der wichtigsten historischen Ereignissen der Neuzeit beigewohnt, aber er hat auch in furchterregende Abgründe geschaut. Auch uns Zuschauern bleibt kaum Zeit, um die zahlreichen Eindrücke zu verarbeiten, doch immerhin: jeder Schlag mit dem Holzhammer sitzt punktgenau. Nur wenige Filme in Cannes erhielten so viel euphorischen Applaus wie Das Salz der Erde.

Das Salz der Erde

Die Menschen seien das Salz der Erde, so lautet ein altes Sprichwort. Angesichts der Schwarzweiß- Aufnahmen aus der brasilianischen Goldmine Serra Pelada, in der hunderte Männer übereinander klettern wie in einem chaotischen Wimmelbild, wird dieser Satz anschaulich. Viel bedeutungsvoller als Salzkörner können sie doch kaum sein, diese winzigen Menschen, die unsere Erde erst zu dem gemacht haben, was sie ist — im Positiven wie im Negativen.
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Meinungen

Micha · 08.07.2015

Super Film, dieser hat mich sehr bewegt. Hab zu Sebastião Salgado und dem Film hier your-foto.de/sebastiao-salgado auch einen super Artikel geschrieben. Ist sehr empfehlenswert.

birgit schueller · 02.01.2015

Liebe Frau Doerksen,
das "Salz der Erde" ist kein Sprichwort, sondern eine Zeile aus der Bergpredigt (Mt). Hier unterstreicht Jesus in seinen Worten, dass wir wertvoll sind, eben so wertvoll wie das Salz für die Menschen zu Zeiten Jesu war. Für uns heute sicher auch . Nudeln ohne Salz mag eher nur Prof Karl Lauterbach.
Mit freundlichen Grüßen Birgit Schüller