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Almodóvar bringt kleines Kino auf die große Leinwand. In zwei Kurzfilmen erzählt er von romantischen Cowboys und einsamen Frauen und verfilmt dabei Stoffe, die ihn schon seit Jahren beschäftigen.

Almodóvar Shorts: Strange Way of Life & The Human Voice (2024)

Eine Filmkritik von Christoph Dobbitsch

Großer Meister, kleine Filme

Der große Pedro Almodóvar gibt sich verspielt und präsentiert ganz kleines Kino. Die zwei Kurzfilme „Strange Way of Life“ und „The Human Voice“ bilden gemeinsam ein einstündiges Double-Feature, in dem sich der spanische Regisseur austoben darf. Mit beiden Filmen scheint er auf seine eigene Art alte Schulden begleichen zu wollen.

Im Jahr 2001 erhält Pedro Almodóvar ein Angebot für einen neuen Film. Es soll ein Western sein, aber auch eine Romanze. Warum man an Almodóvar als Regisseur dachte? Weil im Mittelpunkt des Films zwei Cowboys stehen sollen, die ihre Homosexualität ausleben, und er möglicherweise genau der Richtige für den Stoff sein könnte. Almodóvar gefällt das Buch. Sehr sogar. Und auch das Genre reizt ihn, denn er hat schon lange den Wunsch, einen Western zu drehen. Allerdings hat er bisher nur Filme auf Spanisch gedreht. Vielleicht, so fürchtet er, ist sein Englisch nicht gut genug für die Regiearbeit an so einem intimen Film. Nach langem Zögern lehnte er das Angebot ab. Der Job geht einige Jahre später an Ang Lee, der mit dem Film Brokeback Mountain den Oscar für die beste Regie gewinnt. Almodóvar sagt, er sei nicht eifersüchtig. Doch die Überlegung, was er aus dem Film hätte machen können, trägt er lange Zeit mit sich herum.

Es dauert über 20 Jahre, bis er sich wieder an den Stoff wagt und eine eigene Geschichte über Männerliebe im wilden Westen erzählt. Im ersten der beiden Kurzfilme, Strange Way of Life, trifft Silva (Pedro Pascal) seinen alten Freund Jake (Ethan Hawke), der inzwischen Sheriff geworden ist. Als sie nach einem gemeinsamen Abendessen in Erinnerungen schwelgen, wallen vergessene Gefühle wieder auf, doch am Morgen danach stellt sich heraus, dass Silva noch weitere Beweggründe hatte, um sich auf den beschwerlichen Weg durch die Prärie zu begeben. Ein Herz für das Genre spürt man in jeder Einstellung des Films: Von den großen Landschaftsaufnahmen bis zu den Kamerafahrten durch die staubige Westernstadt, die man aus vielen Sergio-Leone-Filmen kennt, ist klar, dass Almodóvar die Bildsprache der Klassiker studiert hat. Dennoch findet er Raum, seine eigenen visuellen Impulse zu ergänzen, und immer wieder rütteln ungewöhnliche Bild- und Farbkombinationen an der traditionellen Stimmung. Neben diversen Genrekonventionen, in denen das einsame Cowboyleben lamentiert und die geladenen Revolver zum Duell gezückt werden, steht jedoch die melodramatische Beziehung der beiden Hauptfiguren im Mittelpunkt.

Doch hier scheint Almodóvars Erfahrung zum ersten Mal zur Last zu werden. Der Film stopft urplötzlich so viele Informationen in eine viel zu lange Gesprächsszene, als hätte er Angst, dass ihm die Laufzeit ausgehen könnte. Der naturalistische Fluss des Kurzfilms wird unterbrochen, um eine Langfilmhandlung hineinzupressen, die wie ein verbaler Wikipedia-Eintrag wirkt. Laut Almodóvar war dies die erste Szene, die er geschrieben hat, und genau so fühlt es sich an: Wie ein nie überarbeitetes Versatzstück aus einem ersten Entwurf. Danach findet der Film glücklicherweise schnell wieder seinen Takt und darf weiterhin eine kleine Geschichte erzählen. Das Gefühl, dass hier das Kurzfilmformat nicht organisch genutzt wurde, trübt jedoch die Erfahrung merklich.

Der zweite Film im Programm begeht diesen Fehler nicht, sondern umarmt seine Form. In The Human Voice wartet eine einsame Frau (Tilda Swinton) darauf, dass ihr Ex-Mann im gemeinsamen Appartement vorbeikommt und seine Sachen abholt. Das ist alles – und es ist mehr als genug. In einer eigenartigen Welt, in der Filmset und Theaterbühne zu einer surrealen Hyperrealität verschmelzen, wandelt Tilda Swinton mit extravaganten Kleidern durch die Wohnung und schwingt Äxte. Manchmal redet sie mit dem Hund. Eine Handvoll knallbunter Pillen wird eingeworfen, während ein absurder Jaguaraschenbecher auf dem Nachttisch lehnt. Als das Telefon klingelt, wird der Rest des Films zum Monolog und auch der ist – dank der hervorragenden Hauptdarstellerin – ein wunderbares Wechselbad der Gefühle, in dem von ernsthaftem Mitgefühl bis schwarzem Humor alles geboten wird. Die namenlose Frau ist ein perfektes Sprachrohr für die Grausamkeit, aber auch die Absurdität einer missglückten Beziehung.

Auch mit The Human Voice löst Almodóvar einen alten Knoten, denn das Stück, auf dem der Film basiert, begleitet ihn schon seit geraumer Zeit. Von Jean Cocteau verfasst, wollte er es schon mehr als einmal filmisch umsetzen, und in manchen Momenten seiner Filme erkennt man den Einfluss. In Das Gesetz der Begierde (1987) wird das Theaterstück sogar von einer der Figuren inszeniert, und für seinen folgenden Film Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs galt es als große Inspirationsquelle. Nun endlich wagt sich Almodóvar an eine vollwertige Adaption, die nicht passender sein könnte. Cocteaus Einflüsse, sowohl was die Bühnenwelten als auch die filmische Darstellung angeht, werden von Almodóvar liebevoll mit dem eigenen Stil verwoben.

The Human Voice ist der stärkere Kurzfilm, aber die Paarung des ungleichen Doppels hat durchaus ihren Reiz. Die einen werden sich sicher stärker zur klassischen Narration des Western hingezogen fühlen, während andere den ästhetischen Wahnsinn der Theaterbühne umarmen. Gemeinsam zeigen die Filme, welche Bandbreite die kurze Erzählform aufweisen kann. Dennoch fällt es schwer, eine generelle Empfehlung für den Kinobesuch auszusprechen, denn mit nur einer Stunde Laufzeit und der Wahrscheinlichkeit, dass vielleicht nur einer der Filme wirklich zündet, fällt der Kauf einer Karte zum Standardpreis schwer. Beinahe jedes Kurzfilmfestival wird ein besseres Angebot unterbreiten können. Der Unterschied, und der Grund, dennoch ein Ticket zu lösen, ist allein der Name Almodóvar.

Wenn erfolgreiche Regisseur:innen sich entschließen, Kurzfilme zu verwirklichen, gibt ihnen das die Möglichkeit, aus den starren Mustern der Filmindustrie auszubrechen. Was diese kleinen, kreativen Exkurse über die Filmschaffenden aussagen, ist dabei mindestens genauso interessant wie die Filme selbst. Pedro Almodóvar musste zwei Ideen Jahrzehnte reifen lassen, bis er sich dazu entschied, sie auf genau diese Art und Weise der Welt zu präsentieren. Die beiden Filme markieren für ihn zudem einen persönlichen Meilenstein, denn es sind seine ersten Produktionen in englischer Sprache. Die Zweifel an seiner Sprachkompetenz, die ihn damals von Brokeback Mountain abhielten, konnte er also endlich ebenfalls ablegen.

Die Kurzfilme sind allerdings nur bedingt als Einstieg in das Oeuvre des spanischen Vorzeigeregisseurs geeignet, sondern dienen eher als Abrundung. Darum sollten in erster Linie Fans des Regisseurs einen Blick riskieren, um diese Facette seines Schaffens kennenzulernen und sich daran zu erfreuen, welche Glanzleistungen er aus Ethan Hawke, Pedro Pascal und (vor allem) Tilda Swinton herauskitzeln kann.

Almodóvar Shorts: Strange Way of Life & The Human Voice (2024)

Zwei Kurzfilme des spanischen Filmregisseurs Pedro Almodóvar als Double Feature:

„Strange Way of Life“ (2023)
Silva (Pedro Pascal) reitet quer durch die Wüste, um in dem kleinen Ort Bitter Creek seinen alten Freund Sheriff Jake (Ethan Hawke) zu besuchen. Silva und Jake haben sich 25 Jahre nicht gesehen. Damals haben sie als Auftragskiller zusammengearbeitet haben und waren ein Liebespaar. Doch Jake ist misstrauisch. Er glaubt nicht, dass Silva nach der langen Zeit plötzlich bei ihm auftaucht, nur um ihn zu sehen und in Erinnerungen zu schwelgen. Nach einer durchfeierten Nacht stellt er ihn am nächsten Morgen zur Rede…

„The Human Voice“ (2020)
Eine Frau beobachtet, wie die Zeit vergeht – neben den gepackten Koffern ihres Ex-Geliebten (der sie abholen soll, aber nie erscheint) und einem rastlosen Hund, der nicht versteht, dass sein Herrchen ihn verlassen hat. Zwei Lebewesen, konfrontiert mit dem Verlassenwerden. Es folgen drei Tage vergeblichen Wartens, in denen die Frau nur einmal das Haus verlässt, um eine Axt und einen Kanister Benzin zu kaufen. Ihre Stimmung schwingt von Hilflosigkeit über Verzweiflung bis zum Kontrollverlust. In einem Moment perfekt angezogen, als würde die nächste Party warten, überlegt sie kurz darauf, sich vom Balkon zu stürzen. Als ihr Ex-Geliebter endlich anruft, liegt sie nach einem Medikamentencocktail bewusstlos auf dem Bett. Der Hund leckt ihr das Gesicht, bis sie wieder aufwacht. Nach einer kalten Dusche, belebt durch einen Kaffee, der so schwarz ist wie ihr Gemütszustand, klingelt das Telefon erneut, und dieses Mal kann sie abheben.

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Meinungen

Paul Dümpelmann · 18.03.2024

Ich bin beglückt aus dem Kino gekommen...