Volver – Cannes 2006

Fähige Frauen und die Magie des alltäglichen Wahnsinns

Hat sein letzter Film La Mala Educación / Schlechte Erziehung vor zwei Jahren außer Konkurrenz die Internationalen Filmfestspiele an der Côte d’Azur Aufsehen erregend eröffnet, so ist er dieses Mal in Cannes mit seinem neusten Werk Volver als einziger spanischer Regisseur im Wettbewerb vertreten: Pedro Almodóvar, der schillernde Beschwörer menschlicher Katastrophen.

Volver bedeutet „zurückkehren“ und bezieht sich innerhalb der Handlung des Films auf den Geist einer verstorbenen Mutter, welcher die Gefilde der Lebenden aufsucht, um seinen Töchtern in Krisenzeiten beizustehen. Doch über diese nahe liegende Bedeutung hinaus beinhaltet dieser schlichte Titel für den passionierten Filmemacher und Drehbuchautoren auch die persönliche Dimension einer umfassenden Rückkehr. Denn Almodóvar kehrt thematisch in die Welten der weiblichen Wesensheit zurück, die von jeher eine ganz besondere Faszination auf ihn ausgeübt haben, und damit tauchen auch alt bekannte und klingende Namen nach Jahren wieder in seiner Besetzung auf, angeführt von Penélope Cruz und Carmen Maura. Nach den letzten überwiegend tragischen Filmen ereignet sich mit Volver gleichfalls eine Wiedergeburt der bisweilen grotesken Komik des Regisseurs, welche die katastrophalen Ereignisse mit unverwüstlicher Mentalität begleitet. Und nicht zuletzt kehrt Almodóvar zu den Dreharbeiten nach La Mancha zurück, wo er geboren und überwiegend von Frauen aufgezogen wurde, und genau diese Stimmung seiner Kindheitserinnerungen bildet sie Substanz der Geschichte seines neuen Films.

Keineswegs einfach gestaltet sich das Leben von Raimunda (Penélope Cruz), die sich bemüht, ihre kleine Familie im städtischen Jungel von Madrid mit einigen kleinen Jobs über Wasser zu halten, doch die äußerst anziehende junge Frau verfügt über die unerschütterliche Tapferkeit einer geborenen Kämpferin, der es immer wieder gelingt, ihre Kräfte für die Bewältigung ihres harten Alltags zu mobilisieren. Bei ihrem arbeitslosen Ehemann Paco (Antonio de la Torre) findet sie kaum Unterstützung, zumal dieser immer häufiger zu tief ins hochprozentige Glas schaut, so dass sie und ihre jugendliche Tochter Paula (Yohana Cobo) im Grunde auf sich allein gestellt sind. Raimundas ältere Schwester Sole (Lola Dueñas), eher eine ängstliche und zögerliche Person, schlägt sich ebenfalls in Madrid mit einem halb-legalen Friseursalon allein durchs Leben, nachdem ihr Gatte mit einer ihrer Kundinnen durchgebrannt ist.

An einem Sonntag im Frühjahr ändert sich das Leben der beiden Schwestern jedoch unvermittelt, als sie die Nachricht vom Tod ihrer Tante Paula (Chus Lampreave) erhalten. Während Sole in ihre Geburtsstadt La Mancha reist, um der Beerdigung beizuwohnen, hat Raimunda gerade ganz andere Sorgen, denn ihre Tochter Paula hat ihren Vater mit einem Messer ins Jenseits befördert, um sich seiner sexuellen Belästigungen zu erwehren. Um jeden Preis gedenkt Raimunda nun, Paula vor juristischer Verfolgung zu schützen, und die notwendige Beseitigung der Leiche löst umtriebige und rasante Heimlichkeiten in ihrem Leben aus. Sole hingegen bringt völlig ahnungslos den Geist ihrer verstorbenen Mutter (Carmen Maura) aus La Mancha mit nach Madrid, der sich bei ihr einquartiert, ihren Kundinnen getarnt als mittellose Russin die Haare wäscht und vor allem für Raimunda und Paula eine wichtige Nachricht hat …

Almodóvars Heldinnen kämpfen letztlich um ein lohnenswertes Überleben unter widrigen Umständen, und auch wenn ihre Emotionen bisweilen einem ver-rückten Chaos gefährlich nahe kommen, weigern sie sich strikt, zu Opfern zu werden, worin ihre ganz besonders würdevolle Stärke liegt. Statt in einem nahezu greifbaren Phlegmatismus zu resignieren bleiben sie fähig zu handeln und nehmen den noch so ausssichtslos erscheinenden Kampf um ihr Schicksal selbst in die Hand, mal flankiert von einem tragenden magischen Realismus, mal berührt vom alltäglichen Wahnsinn, der nur allzu menschlich erscheint.

Almodóvars tragikomische Geschichte über Tod, Missbrauch, Gewalt und Geisterglaube sowie weibliche Überlebensstrategien angesichts von tödlichen Krankheiten ebenso wie über die Macht und Ohnmacht streng gehüteter Geheimnisse stellte den bunten und gefeierten Höhepunkt des dritten Festivaltages in Cannes dar.

Bei der Pressekonferenz zeigte sich der Regisseur inmitten seiner Darstellerinnen Penélope Cruz, Carmen Maura, Lola Dueñas, Yohana Coba und Blanca Portillo sichtlich emotional berührt von der Thematik und den Dreharbeiten zu Volver, und die Schauspielerinnen fanden warme und begeisterte Worte für die einfühlsame Virtuosität ihres Regisseurs und die facettenreichen Frauenrollen, denen er einen gewaltigen Entfaltungsrahmen zugesteht – ein Auftritt, der sicherlich zu den Glanzlichtern der Veranstaltung zählt.

Gepriesen wird Pedro Almodóvars neuer Film Volver vom Hollywood Reporter, der vor allem die sensationelle Leistung von Penélope Cruz herausstellt und die Kombination von phantastischen und realistischen Elementen als perfekt und mit großem Charme inszeniert hervorhebt. Durchaus wohlwollend berichtet auch Der Spiegel, der allerdings auch von leicht unerquicklichen Längen spricht und eine allzu gefällige Einbettung der Protagonisten in eine freundlich-bunte Leichtigkeit kritisiert, die eine Intensität der ernsten Aspekte verhindert. Das Hamburger Abendblatt sieht in Volver hingegen den ersten Favoriten des Festivals, und die Berliner Zeitung schreibt ihm alle Elemente zu, die ein guter Film aufweisen sollte und befindet es euphorisch mit unsichtbarem Zwinkern sogar für zeitgemäß, den spanischen Regisseur heilig zu sprechen.

Volver – Cannes 2006

Volver bedeutet „zurückkehren“ und bezieht sich innerhalb der Handlung des Films auf den Geist einer verstorbenen Mutter, welcher die Gefilde der Lebenden aufsucht, um seinen Töchtern in Krisenzeiten beizustehen.

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