Sprich mit ihr

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Auswüchse verzweifelter Liebe

Gerade in diesen Tagen ist der spanische Regisseur Pedro Almodóvar verstärkt in der Presse präsent, denn sein neuster Film Volver läuft im Wettbewerb der 59. Internationalen Filmfestspiele in Cannes, hat bereits wohlwollendes bis begeistertes Aufsehen erregt und wird durchaus als einer jener Beiträge gehandelt, die gute Chancen auf eine Auszeichnung haben.

Für sein bewegendes Drama Hable con ella / Sprich mit ihr aus dem Jahre 2002 wurde Almodóvar euphorisch gefeiert und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, wozu der Oscar für das beste Originaldrehbuch, ein César, drei BAFTA-Awards und einige Europäische Filmpreise gehören. Gilt er gemeinhin als ein Regisseur, der sich intensiv mit den häufig an Wahnsinn grenzenden Befindlichkeiten und Schicksalen starker Frauenfiguren beschäftigt, versetzt er in Sprich mit ihr seine weiblichen Protagonisten in die stumme und handlungsunfähige Welt des Komas, während es dieses Mal die Männer sind, die der Geschichte ihre dramatischen Wendungen verleihen.

Bei einer Aufführung des Tanztheaters der legendären Pina Bausch begegnen sich der Krankenpfleger Benigno (Javier Cámara) und der Journalist Marco (Darío Grandinetti) zum ersten Mal als zufällige Sitznachbarn, um eine Weile später erneut als Schicksalsgefährten aufeinander zu treffen. Die Stierkämpferin Lydia (Rosario Flores), mit der Marco seit kurzer Zeit zusammen ist, liegt nach einem Arbeitsunfall auf der Komastation eines Krankenhauses, ebenso wie die Balletttänzerin Alicia (Leonor Watling), deren Pflege zum Lebensinhalt Benignos geworden ist, der sich bereits vor ihrem Unfall heimlich in die anmutige junge Frau verliebt hatte.

Die räumliche und inhaltliche Nähe ihrer Situationen lässt die beiden unterschiedlichen Männer zu sich stützenden Verbündeten werden, wobei es vor allem Benigno ist, der den überforderten und hilflosen Marco dazu ermutigt, mit Lydia umzugehen, als sei sie in vollem Bewusstsein anwesend – sprich mit ihr, rät er seinem verzweifelten Freund. Denn der Krankenpfleger selbst behandelt Alicia, um die er sich unablässig seit Jahren mit gewaltiger Fürsorge kümmert, ungeachtet ihres Zustandes wie seine Freundin, mit der er eine harmonische Beziehung führt, die unter anderen Umständen wahrscheinlich niemals entstanden wäre, und Benigno vermag es schließlich, mit seiner unerschütterlichen und unbedingten Zuversicht Marco zu trösten.

Doch es wäre nicht Pedro Almodóvar, wenn der Film nicht daraufhin noch eine dramatische Wendung von nahezu unerhörter Dimension annehmen würde. Denn bald darauf wird Benigno beschuldigt, die bewusstlose Alicia geschwängert zu haben und inhaftiert, was Marco während einer Auslandsreise erfährt …

Mit meisterlicher Sensibilität inszeniert der spanische Regisseur Sprich mit ihr als ebenso formal filigranes und stimmiges wie thematisch dichtes und absurdes Kunstwerk, ausgestattet mit liebevollen und spektakulären Details. Wir finden die ohnehin außergewöhnliche Geschichte eingebettet in einige nahezu autarke künstlerische Eigenständigkeiten vor, wie etwa Sequenzen aus dem Stück Café Müller von Pina Bausch, einen fünfminütigen seltsamen Stummfilm über das Thema einer angstvollen männlichen Penetration und eine ganz besonders anrührende Version des berühmten melancholischen Liedes der Paloma triste.

Sprich mit ihr besticht durch seine gekonnt installierte Kunstfertigkeit ebenso wie mit seiner intensiven Emotionalität, die den tragischen Verlauf der Geschichte stets begleitet, ohne den Zuschauer durch moralische Richtungsangaben zu korrumpieren – ein grandioser, berührender und ungewöhnlicher Film über die Auswüchse verzweifelter Liebe und männliche Strategien, die Einsamkeit dieses Zustandes zu ertragen.
 

Sprich mit ihr

Gerade in diesen Tagen ist der spanische Regisseur Pedro Almodóvar verstärkt in der Presse präsent, denn sein neuster Film Volver läuft im Wettbewerb der 59. Internationalen Filmfestspiele in Cannes.

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