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Wenn ein Familienmitglied stirbt, können die Beziehungen der Hinterbliebenen daran zerbrechen. In diesem Drama spielt Frederick Lau einen Vater, der nach dem Tod seiner Frau den Boden unter den Füßen verliert. Zwar versucht er, für seine Tochter da zu sein, versteht aber ihre Art zu trauern nicht. 

Wolke unterm Dach (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Mamas himmlisches Revier

Nach dem plötzlichen Tod seiner geliebten Frau Julia (Hannah Herzsprung) will Paul (Frederick Lau) schnell wieder funktionieren. Denn Tochter Lilly (Romy Schroeder) braucht ihn jetzt mehr denn je und auch einen geregelten Alltag. Aber Paul kann kaum schlafen und wenn, dann nur im Auto. Als Stationsleiter ist der übermüdete Krankenpfleger nach Meinung der Oberärztin Nora (Nicolette Krebitz) nicht zu gebrauchen, sie verordnet ihm eine Auszeit. Die Bank setzt ihn wegen Kreditschulden unter Druck, das Haus zu verkaufen. Am meisten aber sorgt sich Paul um Lilly, die immer mehr Zeit auf dem Dachboden verbringt. Lilly behauptet, Mama besuche sie dort und spreche mit ihr.

Um einen geliebten Menschen trauert jede und jeder Angehörige anders. Die Tochter im Schulalter klammert sich an den Wunsch, die Mutter möge zumindest als Seele noch in ihrer Nähe sein. Großmutter Lore (Barbara Auer) sucht nach dem Verlust ihrer einzigen Tochter Trost im Glauben, kann aber weder Paul noch Lilly dafür ernsthaft interessieren. Und Paul bekämpft sich selbst, er will für Lilly der Fels in der Brandung sein, während ihn Schuldgefühle, Schmerz und ein wenig Eifersucht schier um den Verstand bringen. Bevor Julia zu einem Crosslauf aufbrach, gab es Streit, und Paul glaubt, der Stress könnte ihre Hirnblutung ausgelöst haben. Es ging um Geld, das für Handwerker benötigt, von Julia aber für Flugstunden ausgegeben wurde. Die Stewardess hatte sich zugunsten der Familie zwar auf Bodendienst beschränkt, wollte aber offenbar nicht auf Dauer auf das Fliegen, ihre große Leidenschaft, verzichten. Paul findet ein Foto, das sie angeschmiegt an Tom (Reinout Scholten van Aschat) zeigt, den Piloten eines Propellerflugzeugs, den er gar nicht kennt.

Die Geschichte basiert auf den persönlichen Erfahrungen des Drehbuchautors Chris Silber. Dessen Fassung wurde dem Drehbuchautor Dirk Ahner zur Weiterentwicklung übergeben. Unter der Regie des Schweizers Alain Gsponer (Heidi, Jugend ohne Gott) ist ein familientaugliches Drama entstanden, in dem sogar ein wenig animierte Fantasy ihren Platz bekommt. Wenn Lilly auf den Dachboden geht, schwebt eine kleine weiße Wolke in den Raum. Und Mama erscheint, als wäre sie nie gestorben, um sich Lillys Sorgen anzuhören und ihr auch zu antworten. Hannah Herzsprung spielt diese Rolle gewohnt charismatisch und verhindert mit ihrer Natürlichkeit, dass Julias Erscheinung irgendwie merkwürdig wirken könnte. 

Die Kinderdarstellerin Romy Schroeder bereichert den Film mit ihrer Lebhaftigkeit. Allerdings mutet das Drehbuch den Charakteren auch eine Menge Handlung zu und lässt einige von ihnen dabei streckenweise wie gehetzte, überdrehte Spielfiguren wirken. Lilly ist aus dem Alter raus, in dem man Kinder ständig beaufsichtigen muss. Aber sie neigt, natürlich wegen ihres seelischen Schmerzes, zu waghalsigen Alleingängen, klettert auf einen sehr hohen Baum, rennt der Oma in der Stadt einfach weg und ihrem Vater ebenfalls. Es ist ja schön, dass Kinder in Spielfilmen neuerdings gerne so quirlig und eigenwillig wie Pippi Langstrumpf gezeichnet werden. Aber wenn sie, um diesen Eindruck zu erwecken, zu unberechenbaren Geschöpfen mutieren, verabschiedet sich die Fantasie der Autoren von der Realität. Der Aktionismus Lillys hat außerdem zur Folge, dass ihr Gefühlsleben zu wenig herausgearbeitet wird. 

Auch Paul ist als Filmcharakter überfrachtet mit Handlungsvorgaben. Es reicht ja nicht, dass ihn der Tod der geliebten Frau belastet, es müssen auch Schulden und der drohende Verlust des Hauses hinzukommen, Probleme auf der Arbeit sowie der Wunsch, zur Flasche zu greifen. Frederick Lau legt die Stirn auf bewährte Weise in Falten, quer und senkrecht zugleich, und lässt Paul mit einer Mischung aus gutherzigem Verantwortungsgefühl, Sorge und Wut durch seine Tage taumeln. Die Grenze zum Slapstick wird dabei des Öfteren gestreift. Irgendwann trifft er eine wichtige Entscheidung, nämlich mehr Zeit mit Lilly zu verbringen. Aber auch diese Passage wirkt wie am Reißbrett entworfen: Man nehme nach reichlichen Komplikationen etwas auflockernde Komik und schicke Paul auf Geheiß der Tochter ins Nagelstudio.

Die Filmbotschaft, dass Kinder anders und dabei vielleicht auch effektiver trauern als Erwachsene, kommt dann ebenfalls plakativ daher. Schöne Aufnahmen gibt es in diesem Film reichlich, mit der verwunschenen Villa, in der Paul und Lilly so vieles an Julia erinnert. Oder wenn Paul zu Tom ins Flugzeug steigt und die Erde weit unten in abenteuerlich verdrehten Perspektiven ins Blickfeld rückt. Einen substanziellen Beitrag zum Thema Trauer und ein Vater-Tochter-Drama, das wahrhaftig genug anmutet, um nachhaltig zu berühren, bekommt man jedoch kaum geboten.

Wolke unterm Dach (2022)

Paul, Julia und Lilly sind eine glückliche, kleine Familie – bis Julia völlig unerwartet stirbt. Seiner Tochter zuliebe will Paul weiter funktionieren und verdrängt seine Trauer. Die 8-jährige Lilly stellt ihn mit ihrer Fantasie und ihrer ganz eigenen Sicht auf Mamas Tod immer wieder vor Herausforderungen.  Als alles verloren scheint, weiht sie ihn in ihr größtes Geheimnis ein: Julia ist noch da und wohnt in einer Wolke unterm Dach…   

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