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Mit „Still Here“ hat Vlad Feier einen Film geschaffen, in dem er gekonnt Konflikte der amerikanischen Gesellschaft an einer persönlichen Tragödie aufzeigt. Und das weit entfernt von Mitleidskino und platten Schuldzuweisungen.

Still Here (2020)

Eine Filmkritik von Matthias Pfeiffer

Die Tragik im System

Die Erfahrung, einen geliebten Menschen zu verlieren, ist selbstverständlich nie leicht. Aber kann man es sich vorstellen, dass diese Person von einem Moment auf den anderen verschwunden ist und sich zum schmerzlichen Verlust noch die bohrende Ungewissheit mischt? In der ersten Viertelstunde von „Still Here“ wird dieses Gefühl so eindringlich geschildert, dass man diese Hölle nachfühlen kann.

Im ersten Langfilm von Vlad Feier ist es die zehnjährige Monique Watson, die nicht mehr auffindbar ist. Die Polizei lässt den Fall schon nach kurzer Zeit schleifen, was nicht zuletzt an Moniques afroamerikanischer Herkunft liegt. Das New Yorker Viertel, aus dem sie kommt, ist schon weitestgehend sich selbst überlassen und schert auf der Wache die wenigsten. Und so sieht man Moniques Vater Michael (Maurice McRae) als einen gebrochenen Mann, unsicher pendelnd zwischen Resignation und dem letzten Hoffnungsschimmer. Die Intensität verdankt Still Here vor allem dem unglaublichen Schauspiel von McRae. Wenn er versucht, in der Selbsthilfegruppe Ruhe zu bewahren, verzweifelt Steckbriefe verteilt und schließlich seinen Schmerz nicht mehr zurückhalten kann und explodiert, überträgt sich sein ganzes Innenleben auf das Publikum. Es sind ohne Zweifel die kraftvollsten Momente dieses Films.

Als zweite Hauptfigur steht neben ihm der Journalist Christian Baker (Johnny Whitworth), für den der Vermisstenfall zunächst nur eine willkommene Abwechslung zu seiner ansonsten eher drögen Arbeit ist. Bei seinen Recherchen stößt er zunächst auf Ablehnung. Nicht nur die Jugendlichen auf der Straße betrachten ihn als Fremdkörper, auch die Familie Watson verweigert zunächst die Zusammenarbeit. Was sie jetzt am wenigsten brauchen können, sind neue falsche Versprechungen.

An den Figuren von Michael und Christian schildert Vlad Feier die Problematik einer gespaltenen Gesellschaft. Der Journalist zeigt zwar ehrliches Engagement bei seiner Arbeit, kann aber die Zustände dieses fremden Milieus nicht verstehen. Auf seine Aussage, dass er „weiß, wie es hier läuft“, erntet er nur Gelächter. Michael hingegen ist so von Misstrauen vergiftet, dass er keine Hilfe von außen mehr annehmen will – schon gar nicht von jemandem, der von seinem Leben keine Ahnung hat. Als man doch noch auf einen gemeinsamen Nenner kommt und der Artikel wirklich erscheint, währt die Hoffnung nicht lange. Christian hat seine Rechnung ohne den New Yorker Polizeiapparat gemacht, der seinen Fokus mehr auf schnelle als auf richtige Lösungen setzt.

Feier schafft es, diese gesellschaftlichen Konflikte geschickt in das Familiendrama einzubauen, ohne allzu offensichtliche Schablonen zu verwenden. Bei jeder Figur stellt er die menschliche Seite in den Vordergrund. Die ganze Schwere der Thematik bekommt so mehr von einer gezielten Analyse als von einer Anklage, die zielstrebig nach Schuldigen sucht. So ist auch die Darstellung der beiden Cops Greg Spaulding (Jeremy Holm) und Anthony Evans (Danny Johnson) ambivalenter, als es auf den ersten Blick scheint. Zwar treten sie als brutale und rücksichtslose bad lieutenants auf, jedoch zeigen sich auch bei ihnen Zweifel an den Richtlinien ihrer Arbeit. Man könnte Feier vorwerfen, er würde dadurch Polizeiwillkür und -gewalt verwaschen, doch genau daran wird ersichtlich, dass er seine Figuren und seine Geschichte ernst nimmt. Er zeigt an diesem Einzelfall – der dazu noch von realen Begebenheiten beeinflusst ist –, dass dieses gesamte System, das durchzogen ist von institutionellem Rassismus und einem falschen Bewusstsein von Durchsetzungsvermögen, keine Lösungen bietet, sondern nur alte Probleme am Laufen hält.

Das Einzige, was man bemängeln kann, ist die allzu schnelle Abarbeitung des Falls im letzten Drittel des Films. Es ist lobenswert, dass Feier seinen Figuren die nötige Zeit einräumt, um ihr Handeln verständlich zu machen. Christians Vorgehen bei seinen Ermittlungen wirkt dann aber doch unglaubwürdig und der Schluss wie ein notwendiges Anhängsel. Trotzdem ist dieser Wermutstropfen klein im Vergleich zur Arbeit, die im Rest des Films geleistet wurde. Still Here ist eine kritische Betrachtung, ohne einer von vielen Problemfilmen zu werden, und schafft es, seine Emotionalität nicht ins Melodramatische abgleiten zu lassen. Und dass sich Tragik und Subtilität in einem Film so gut die Waage halten, erlebt man nicht häufig.

Still Here (2020)

Als die 12-Jährige Monique Watson, ein Mädchen afro-amerikanischer Abstammung, in New York City plötzlich vermisst wird, unternimmt die Polizei nicht viel und ihr Vater Michael ist verzweifelt. Aus der Not heraus tut er sich mit Christian Baker zusammen, dem Journalisten, der über Moniques Fall berichten soll. Da das öffentliche Interesse schwindet, begeben sich Michael und Christian auf die Suche nach der Wahrheit im Wettlauf gegen die Zeit – um Monique zu finden, bevor es zu spät ist.

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