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In „X-Men: Dark Phoenix“ steht die junge Jean Grey im Mittelpunkt und sorgt für einen Konflikt innerhalb der Gruppe von Mutant_innen. Dabei kommt – in Ansätzen – mehr Spannung auf als in anderen Vertretern des Genres.

X-Men: Dark Phoenix (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Das mächtigste Wesen auf diesem Planeten

Bereits in der im Jahre 2000 gestarteten und 2006 abgeschlossenen „X Men“-Trilogie war Jean Grey, damals verkörpert von Famke Janssen, eine der spannendsten Figuren der Reihe; und stets hatte man das Gefühl, dass ihr Potenzial in den Filmen nicht ausgeschöpft wurde. Dass sie in „X-Men: Dark Phoenix“ ins erzählerische Zentrum rückt, ist daher eine gute, überfällige Entscheidung. In Sophie Turner wurde zudem schon in X-Men: Apocalypse (2016) eine würdige Interpretin der jungen Jean gefunden.

Das Werk beginnt in der Kindheit von Jean, als diese nach einem schweren Autounfall ihre Eltern verloren hat und in die Obhut von Professor Charles Xavier (James McAvoy) gelangt. Wie sich der querschnittgelähmte Wissenschaftler und das verängstigte Mädchen einander annähern, wird in wenigen Szenen einnehmend dargestellt und legt den Grundstein für die weitere Handlung. Im Anschluss an die Geschehnisse aus X-Men: Apocalypse führen die Menschen und die Mutant_innen Anfang der 1990er Jahre eine friedliche Koexistenz. Das Team von Charles wird gefeiert, da es sich immer wieder mit seinen Fähigkeiten zur Verfügung stellt, um der Menschheit in Konfliktsituationen zu helfen.

So begibt sich Jean unter der Leitung von Raven (Jennifer Lawrence) und Hank (Nicholas Hoult) auf eine Raumfahrtmission, um gemeinsam mit Scott (Tye Sheridan), Ororo (Alexandra Shipp), Peter (Evan Peters) und Kurt (Kodi Smit-McPhee) eine in Gefahr geratene Crew zu bergen. Dabei kommt Jean beinahe ums Leben, wird aber von einer kosmischen Energie erfasst, die sie noch stärker als zuvor macht. Bald merkt sie, dass sie ihre neu gewonnenen Kräfte kaum kontrollieren kann – und dass ihr Umfeld sie plötzlich als Gefahr wahrnimmt. Als sie hinter ein Geheimnis von Charles kommt, wendet sie sich von dessen Schule ab; und als wenig später ein tödliches Unglück geschieht, scheint es für Jean endgültig kein Zurück mehr zu geben.

Zu den eklatantesten Schwächen fast aller Comicverfilmungen zählt, dass die Antagonist_innen in ihren immer gleichen Motiven zwischen Rache, Zorn und Größenwahn meist sterbenslangweilig sind. Auch die antagonistischen Gestalten, die in X-Men: Dark Phoenix auftauchen und eine Invasion in Body-Snatchers-Manier verüben, machen da keine Ausnahme. Jessica Chastain gibt der Anführerin zwar eine angemessen kühle Aura; mehr Dimensionen kann sie ihrem Part dadurch aber nicht verleihen. Grundsätzlich interessanter ist es seit jeher, wenn sich die Held_innen mit ihren eigenen Dämonen auseinandersetzen müssen oder wenn es zu Konflikten untereinander kommt. In der Umsetzung ist dies allerdings sowohl bei Marvel (wozu auch die X-Men gehören) als auch bei DC letztlich eher enttäuschend ausgefallen. Bei Marvel muten die Querelen zwischen Iron Man, Captain America und Co. (etwa in The First Avenger: Civil War) oft wie ein außer Kontrolle geratener Kindergeburtstag an, bei dem sich im Endeffekt dann zum Glück doch niemand so richtig wehgetan hat; bei DC kann man die Zwiste unter den Hauptfiguren noch weniger ernst nehmen, wenn sie – wie in Batman v Superman: Dawn of Justice – auf eine völlig unplausibel herbeigeführte Prügelei hinauslaufen, die sich kurioserweise dadurch schlichten lässt, dass die Mütter der beiden Superhelden zufällig denselben Vornamen haben.

In den X-Men-Filmen waren diese internen Konflikte schon immer deutlich komplexer; bisher vor allem zwischen Charles und Erik (Michael Fassbender). In X-Men: Dark Phoenix kommen weitere reizvolle Differenzen hinzu. So werden zunächst von Raven und später von Jean und Hank die Methoden von Xavier hinterfragt, mit denen dieser den Frieden mit der Menschheit aufrechtzuerhalten versucht. Ist es gerechtfertigt, die eigenen Schüler_innen, die ihm vertrauen, in Gefahr zu bringen, um Menschen zu retten und damit deren Wohlwollen gegenüber den Mutant_innen zu erhalten? Ist es der richtige Weg, einer Person etwas vorzuenthalten, um sie nicht zu verletzen und vor sich selbst zu schützen – oder ist das nicht eher ein Übergriff? Dabei kommt es im Laufe des Plots zu gelungenen Dialogen, die nicht zuletzt vom guten Zusammenspiel des Ensembles profitieren. In Bezug auf Jean wird insbesondere die Frage thematisiert, was uns stark und was uns schwach macht – und wie mit Stärke und einer daraus resultierenden Macht umzugehen ist.

Während die teilweise durchaus überraschenden Koalitionen, die sich unter den Mutant_innen ergeben, Spannung erzeugen, ereignen sich im letzten Drittel dann doch zu viele abrupte Meinungswandel und Einsichten, um dem Ganzen die nötige Wucht zu geben. Letztendlich bleibt auch hier alles im Rahmen der narrativen Konvention; etwas mehr Mut zur Ambivalenz hätte dem Skript von Simon Kinberg (der auch Regie führte) gerade im finalen Akt gewiss nicht geschadet. Und auch visuell fällt X-Men: Dark Phoenix in den Bereich „solide“, bietet zwischen Bildern aus dem All und einem actionorientierten, finsteren Showdown in und auf einem Zug aber immerhin Abwechslung. Neu erfunden hat Kinberg die Regeln des Genres mit seinem Beitrag sicher nicht. Dass er recht geschickt mit diesen hantieren kann, hat er indes bewiesen.

X-Men: Dark Phoenix (2019)

Jean Grey ist plötzlich so mächtig, dass jeder Kampf gegen sie aussichtslos erscheint. Und so stehen die X-Men vor ihrer vielleicht größten Herausforderung.

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