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Fälschlicherweise als Horrorfilm beworben erzählt „The New Mutants“ von fünf Nachwuchs-Mutanten im X-Men-Universum, die nicht um die Rettung der Welt, sondern um die ihrer eigenen Psyche kämpfen.

The New Mutants (2020)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Neue Mutanten braucht das Land

Im Superhelden-Genre dominierte in den vergangenen Jahren die Prämisse „Höher, schneller, lauter“. Zumindest bis zum großen Knall in „Avengers: Endgame“ (2019), der diesbezüglich den vorläufigen Höhepunkt darstellte und dem mit „Spider-Man: Far From Home“ (2019) sowie „Birds of Prey“ (2020) Individualgeschichten von eher kleinerem Format folgten. Auch der vierte Teil der X-Men-Reboot-Reihe, „Dark Phoenix“ (2019), ging es etwas kleiner an als etwa noch der direkte Vorgänger „Apocalpyse“ (2016) – mündete aber, wie so viele Superheldenfilme, ebenfalls in einem bildgewaltigen Weltrettungs-Ein-Energiestrahl-schießt-in-den-Himmel-Finale.

Ganz anders versucht es der jüngste Ableger des X-Men-Universums. Nach diversen Problemen im Produktionsverlauf – Auswechslung von Rosario Dawson durch Alicia Braga, Nachdrehs und nicht zuletzt die Akquise von 20th Century Fox durch Disney – wurde New Mutants nach diversen Verschiebungen schließlich im Pandemie-Sommer 2020 in den Kinos gezeigt. Und stieß dort (zumindest wenn man die Durchschnittswertungen auf einschlägigen Portalen als Referenzwerte heranzieht) auf wenig Begeisterung.

Nicht unschuldig daran ist wohl das Marketing, das den Film – wie auch Regisseur Josh Boone (Das Schicksal ist ein mieser Verräter) selbst – als Horrorfilm anpries. Diesem Anspruch kann New Mutants, trotz einer Vielzahl klassischer Horror-Sujets und -stilmittel, nicht gerecht werden. Stattdessen ist der jüngste Eintrag ins X-Men-Franchise ein reinrassiger Coming-of-Age-Psychothriller. Und zwar ein wirklich gelungener. Nicht nur deshalb, weil er im Gegensatz zu den meisten seiner Superheldengenre-Konkurrenten keinerlei Vorwissen über das Universum verlangt, in dem er angesiedelt ist, sondern als eigenständige, abgeschlossene Geschichte über eine Gruppe von Außenseitern funktioniert.

Jene Außenseiterin, die dabei im Zentrum steht, heißt Danielle Moonstar (Blu Hunt) und ist eine junge Frau mit indigenen Wurzeln, die zu Beginn des Films des Nachts von chaotischen Geräuschen geweckt wird: von einer düsteren Macht, die ihr Reservat gerade dem Erdboden gleichmacht. Danielle muss fliehen, wird verfolgt, stürzt, fällt in Ohnmacht – und wacht in einem Krankenhaus auf. Begrüßt wird sie von der dort allein agierenden Ärztin Cecilia Reyes (Alice Braga), die ihr den Zweck des Gebäudes erklärt: Es handelt sich um eine Einrichtung für junge Mutanten, also übernatürlich begabte Menschen, deren Kräfte erst kürzlich freigesetzt wurden. Hier sollen sie lernen, ihre Mächte zu kontrollieren.

Vier weitere „Patienten“ im Teenager-Alter sind in der Einrichtung untergebracht: die impulsive, kratzbürstige Ilyana (großartig: Anya Taylor-Joy), das introvertierte Arbeiterkind Sam (Charlie Heston), der Sunny-Boy Roberto (Henry Zaga) sowie die in sich gekehrte Rahne (Maisie Williams). Allesamt haben sie, teils aufgrund ihrer Mutantenkräfte, traumatische Erfahrungen gemacht, wurden religiös stigmatisiert, haben Angehörige verloren, leiden an (metaphorischer) Impotenz oder wurden misshandelt.

New Mutants setzt vollständig auf das Zusammenspiel und -wachsen dieser fünf Hauptfiguren, die sich im Laufe der knackigen 94 Minuten Laufzeit ihren Traumata stellen und sie überwinden müssen. Und verzichtet dabei – glücklicherweise – auf einen klassischen Antagonisten. Die Gegenspieler dieser fünf Ausgestoßen sind ihre eigenen Erfahrungen, die tief im Inneren ihrer Köpfe schlummernden Ängste, die (der Film macht daraus viel zu lange ein Geheimnis, das schnell durchschaut ist) durch Danielles Mutantenkräfte zu Leben erweckt werden und sich in physischer Form manifestieren. Nicht die Rettung der Welt steht in New Mutants auf der Superhelden-Checkliste, sondern die der eigenen psychischen Konstitution.

Aus den anfänglich zerstrittenen Stereotypen entwickelt sich mit der Zeit ein Zusammenschluss ambivalenter und vor allem nahbarer Charaktere, die in ihrem Außenseiterdasein und ihrer gesellschaftlichen Ächtung das verbindende Element finden. New Mutants markiert damit einerseits die Rückkehr der X-Men-Reihe zu ihren erzählerischen Wurzeln (von der Norm abweichende Jugendliche werden in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten zusammengeführt und kämpfen allem voran mit sich selbst und ihre Fähigkeiten); andererseits vermag der Film durch das Anschneiden unbequemer, schwieriger Themen wie etwa Kindermissbrauch neue Impulse in seinem Subgenre zu setzen. Auch wenn jene Themen lediglich angedeutet werden und keine allzu explizite Darstellung erfahren. Dem tiefenpsychologischen Horror dieses Films kommt dies jedoch, ebenso wie die klaustrophobischen, kargen Räume und Gänge des Schauplatzes, auch zugute.

In den letzten Minuten verfällt New Mutants dann aber – leider – wieder in altbekannte Muster. Es kommt zu einem gänzlich unüberraschenden, generischen Twist und einem unvermeidbaren Krachbumm-Finale, in dem einem riesigen Monster der Garaus gemacht werden muss. Schade, dass der Film auf diesen letzten Metern seine bisherigen Stärken vergisst und wieder auf Standard-Superhelden-Kost setzt. Bis dahin war das jedoch ein richtig guter Lauf.

The New Mutants (2020)

Fünf junge Mutanten, die gegen ihren Willen in einer geheimen Einrichtung festgehalten werden und gerade erst dabei sind, ihre Fähigkeiten zu entdecken, begeben sich in einen schier aussichtslosen Kampf, mit dem sie ihren eigenen Verfehlungen entkommen und ihr Leben retten wollen.

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Meinungen

Lenni gramm · 27.09.2020

Hat mir persönlich gar nicht gefallen, hatte nichts mehr mit der X-men Reihe zu tun