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Maskierte Polizisten sorgen in Innenstädten für Ordnung – was im Sommer 2020 nach tagesaktuellen Nachrichten klingt, ist Damon Lindelofs Imagination entsprungen. Seine Fortschreibung des Comics Watchmen ist mehr als eine Hommage.

Watchmen (TV-Serie, 2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Leben hinter Masken

Bei der Wahl zum besten Comic aller Zeiten landet Watchmen (1986/87) in schöner Regelmäßigkeit ganz weit vorn. Alan Moores und Dave Gibbons‘ alternativer Weltentwurf um eine Gruppe maskierter Vigilanten vor dem Hintergrund der drohenden atomaren Vernichtung ist alles andere als schön. Eine komplexe Superhelden-Dekonstruktion, düster und dystopisch. Terry Gilliam hätte den Stoff ebenso gern adaptiert wie Darren Aronofsky, bevor dieses unmöglich erscheinende Unterfangen Zack Snyder 2009 endlich (miss-)glückte. Nun spinnt Damon Lindelof, der Schöpfer des TV-Hits Lost (2004-2010), die Geschichte als HBO-Serie fort. Vielversprechende Aussichten, die nach der Premiere im Herbst 2019 jetzt auch auf DVD und Blu-ray zu haben sind.

Lindelof wirft uns mitten ins Geschehen und doch finden wir uns spielend zurecht. 34 Jahre nach dem Ende der im Comic erzählten Ereignisse hat die Menschheit den nuklearen Holocaust zwar abgewendet, aber nichts daraus gelernt. In Tulsa, Oklahoma steht Gewalt weiter auf der Tagesordnung. Nur der Mann im Weißen Haus ist ein anderer. Auf Richard Nixon folgte Robert Redford, der wie sein Vorgänger bereits mehr als zwei Amtszeiten hinter sich hat. 

Wie im Comic unterscheidet sich auch die Welt dieser Serie nur unmerklich von der unseren. Das macht sie so glaubwürdig und gleichzeitig so schauderhaft. Mobiltelefone, Computer und das Internet suchen wir darin vergebens, finden dafür aber Elektromobilität, vom Himmel regnende Tintenfische und Vietnam als 51. US-Bundesstaat vor. In diesem Meer an Informationen und Figuren wird Angela Abar, von Regina King preisverdächtig gespielt, zu unserem Anker. Tagsüber täuscht die Mutter dreier Adoptivkinder vor, bald ein Restaurant eröffnen zu wollen. Nachts geht sie als maskierte Sister Night für die Polizei auf Verbrecherjagd.

Lindelofs großes Talent als Geschichtenerzähler und Showrunner – ob bei Lost oder The Leftovers (2014-2017) – besteht in einer ausbalancierten Mischung aus Dingen, die uns aus unserem Alltag vertraut sind, und solchen, die unser Misstrauen erregen. Darauf vertraut er auch dieses Mal. Tulsas überwiegend schwarz besetzte Polizei unter Führung von Judd Crawford (Don Johnson) muss sich der Angriffe weißer Rassisten erwehren. Zum Schutz ihrer Identität tragen die Polizisten Masken; von Senator Joe Keene (James Wolk), dessen Vater im Comic den maskierten Vigilanten noch per Gesetz den Garaus machte, höchstpersönlich abgesegnet. Doch wer überwacht die Wächter – zumal, wenn diese in der Öffentlichkeit nicht länger identifizierbar sind?

Auftritt: Jean Smart. Als smarte FBI-Agentin spielt die 1951 geborene Darstellerin mühelos ihre männlichen Kollegen an die Wand. Ihre Figur soll den Vigilanten der Polizei ordentlich auf den Zahn fühlen und hat dabei stets einen kessen Spruch auf den Lippen. Zunächst knöpft sie sich einen von Tim Blake Nelson verkörperten, psychisch labilen Verhörspezialisten, anschließend Angela Abar vor. Doch so einfach ist die Sache in einer knapp 600-minütigen Serie freilich nicht. Hinter all dem steckt ein Gesamtkonstrukt, an dem auch die unberechenbare Trillionärin Lady Trieu, angetreten, um die Welt zu retten, beteiligt ist. Schauspielerin Hong Chau leiht ihr unnachahmlich Aussehen und Stimme. Und dann ist da noch Jeremy Irons in einer unbeschreiblich abgedrehten Rolle, die an dieser Stelle nicht verraten werden soll, von allen Comicnerds aber schnell erraten werden wird. 

Alan Moore, dem großen Mystiker und Comicmagier, der von Adaptionen im Allgemeinen und im Speziellen von denen seiner eigenen Werke nichts hält, dürfte auch diese Umsetzung missfallen. Dem Publikum kann’s egal sein. Denn Lindelof hat eine Show geschaffen, die nicht nur das Herz ihres Urtextes bewahrt, sondern auch das jedes Serienfans höher schlagen lässt. Seine eigens erdachten Figuren schillern in allen Facetten. Einige alte Bekannte aus der Vorlage schreiben Lindelof und sein achtköpfiger Writer’s Room zudem wunderbar fort, einen anderen gar großartig um – der alte Haudegen Louis Gossett Jr. spielt ihn mit Bravour. 

Von dem tatsächlich geschehenen, hierzulande eher unbekannten Black Wall Street Massacre ausgehend, spannt die Serie einen Bogen von den 1920er Jahren bis in die (alternative) Gegenwart. Sie erzählt von Rassismus, Selbstjustiz und Allmachtsfantasien, von komplexen Traumata und simplen Minderwertigkeitskomplexen und von der Frage, woher wir stammen und wohin wir gehen. Trent Reznors und Atticus Ross‘ elektronische Musik wummert düster dazu. All die Dunkelheit lässt dennoch immer Raum für einen gut platzierten Witz, meist schwarzhumorig, klar. Letzten Endes geht es nicht nur darum, wozu uns das Tragen einer Maske macht – zu Helden oder Verbrechern? –, sondern auch darum, ob wir die Sünden der Vergangenheit in Zukunft wiederholen. 

Die neun Episoden sind erstklassig ausgestattet, umwerfend fotografiert, rund geschrieben und von Regisseur*innen wie Nicole Kassell, Stephen Williams oder Andrij Parekh versiert inszeniert. Jede Folge nimmt die Hintergrundgeschichte einer anderen Figur in den Blick. Dass all das am Ende perfekt zusammenpasst und dass auch all jene dem Geschehen jederzeit folgen können, die den Comic nicht gelesen haben, ist eine große Kunst und nicht die Letzte dieser Serie. Lindelofs Entscheidung etwa, den im Comic erzählten, an den Kalten Krieg angelehnten Ost-West-Konflikt später in einen Konflikt zwischen dem liberalen und konservativen Amerika zu überführen, ist ebenso kraftvoll wie weitsichtig. 

Zum deutschen Heimkino-Start Ende Juli 2020 ist dieser Weltentwurf gleich in mehrfacher Hinsicht schmerzlich aktuell. „Masks save lives“, dass Masken Leben retten würden, sagt der aalglatte Senator an einer Stelle. Dass sich seine Aussage nicht auf den Schutz vor einem unsichtbaren Virus, sondern auf den vor weißen Rassisten bezieht, die sich einerseits mehr Sichtbarkeit wünschen, aber gleichzeitig hinter Masken verstecken, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Und dass dieser Tage in US-Städten wie Portland Bundespolizisten ohne Abzeichen in Kampfmontur patrouillieren, wirkt beinahe irrealer als die fantastischen Ereignisse dieser Serie.

Im Bonusmaterial der Blu-ray, das neben zahlreichen Promo-Clips, zwei Kurz-Dokus und mal mehr, mal minder gelungenen Featurettes auch einen Mitschnitt von der New York Comic Con 2019 enthält, erinnert sich Lindelof an seine erste Begegnung mit den Watchmen. Sein Vater habe ihm die ersten beiden Hefte des Comics gekauft und mit dem Hinweis „you’re not ready for this“, dass er dafür (noch) nicht bereit sei, überreicht. Nach den unzähligen austauschbaren Superheldenfilmen der vergangenen Jahre und nicht zuletzt nach den gesellschaftlichen Verwerfungen im Zuge der Coronakrise sind wir für diese Serie mehr als bereit.

Watchmen (TV-Serie, 2019)

Basierend auf der gleichnamigen Comic-Buchreihe von Alan Moore und Dave Gibbons erzählt die für HBO produzierte Serie von einer Gesellschaft, in der Superhelden wie Outlaws behandelt werden.

 

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