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Eine lodernde Liebe – und die Bereitschaft, sich eventuell das Herz brechen zu lassen, braucht man für diesen Film. Nach der „Mädchenbande“ der Gegenwart der Pariser Banlieue widmet Céline Sciamma in „Portrait of a Lady of Fire“ weiblichen Erfahrungen im 18. Jahrhundert.

Porträt einer jungen Frau in Flammen (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Schweig still, mein Herz…

Ihren ersten Blick auf Héloise (Adèle Haenel) wagt die junge Malerin Marianne (Noémie Merlant), da stehen die beiden Frauen in der Bretagne am Meer und Héloise atmet das erste Mal seit Ewigkeiten frische Meeresluft. Gerade aus dem Kloster gekommen, soll sie nach dem Suizid ihrer Schwester deren Platz einnehmen und heiraten. Marianne soll das Porträt malen, das dann an die Heiratskandidaten verschifft wird. Kurzum: Mariannes Kunst soll Héloise möglichst gut verkuppeln. Doch es wird nicht das einzige Porträt bleiben, das Marianne von ihr zeichnet, schließlich ist Héloise besagte Frau aus dem Titel des Filmes „Porträt einer jungen Frau in Flammen“.

Dass sich Céline Sciamma ins 18. Jahrhundert begibt, nachdem sie in ihrem vorherigen Film Mädchenbande junge Frauen in den Pariser Banlieues beim Aufwachsen begleitete, klingt allenfalls anfänglich wie ein Bruch. Die Regisseurin bleibt sich treu und erzählt nicht nur weiterhin Frauengeschichten, sondern setzt ihre liebevolle, aber präzise Beobachtung weiblicher Erfahrungen fort. Porträt einer jungen Frau in Flammen verlagert ihre Forschung in die Vergangenheit, dennoch spürt man eine Verbindung von Héloise und Marianne zu den jungen Frauen aus Mädchenbande. Die Zeiten haben sich geändert, die Probleme, die Beschränkungen, die genuin femininen Erfahrungen nur bedingt.

Fernab in der Bretagne des 18. Jahrhunderts sind Héloise und Marianne für einen paar Tage isoliert von der Realität und können sich einander widmen. Ihre Leben in dem leeren Haus, in dem Héloise, ihre Mutter und ihre Zofe derzeit wohnen, sind für einen kurzen Augenblick völlig frei von männlicher Kontrolle. Ein seltener Moment der Freiheit, über dem aber stets die Strenge und Ordnung frommer Sittlichkeit hängt, derer sich alle zumindest oberflächlich verpflichten müssen. Nur mühsam kommt Marianne der kühlen Héloise deshalb anfänglich näher. Und doch, ganz sanft und delikat, erst tief versteckt, dann immer offensichtlicher, beginnt ein Herzensfeuer zu lodern, das die beiden Frauen einander Stück für Stück näherbringt und einander verfallen lässt. Es ist eines dieser ambivalenten Feuer, das innerlich wärmt und ein Gefühl von Geborgenheit gibt – und gleichsam droht, einen mit Haut und Haar zu verschlingen. Eine tiefe, verbotene Liebe bahnt sich an, der durch einen Akt göttlicher Fügung noch ein paar Tage mehr Zeit gegeben wird. Die Mutter verreist. Nur die beiden Frauen und die Zofe sind noch im Haus.

Was folgt, ist eine der schönsten Darstellungen weiblicher Kameradschaft, in die Sciamma Erfahrungen, Traditionen und Rituale packt, die so im Kino nie zu sehen sind, geschweige denn in einem Film, der im 18. Jahrhundert spielt. Die Zofe ist ungewollt schwanger und so versuchen die drei Frauen alles Bekannte, seien es Kräuter oder exzessive körperliche Arbeit, um das Kind abzutreiben. Sie treffen andere Frauen an einem großen Feuer, tauschen psychedelische Kräuter, sie lesen sich die Sage um Opheus und Eurydike vor und kontemplieren dabei das Schicksal der Frau, die den Tod findet und vielleicht auch suchte. Sciamma zeigt zwei Momente voller Tabu — der Beginn einer Menstruation und eine Abtreibung — und uraltes, weises Wissen, wie mit beidem umzugehen ist. Marianne wird auf Geheiß von Héloise die Abtreibung malen, ein Moment äußerster Emanzipation.

Ein Einschub ist hier von Nöten: „Frauenfilm“ wird Porträt einer jungen Frau in Flammen zweifelsohne genannt werden, handelt er doch nur von Frauen und wurde noch dazu von einer gemacht. Mit diesem Label werden sich sofort auch Klischees und Abneigungen auftun, doch ach, lieber (männlicher) Leser — gib dieser Idee keinen Raum. Dies ist ein Film, der wie viele andere sogenannte „Frauenfilme“ von tiefster Menschlichkeit berichtet. Ja, die Erfahrungen, von denen er spricht und die er zeigt, werden aus weiblicher Perspektive erzählt und genau das macht den Film für jede Art von Publikum relevant. Nicht nur, um einander zu verstehen, sondern auch um zu begreifen, wo her die Geschlechtergräben kommen und wie tief sie sich ziehen. „Schau hin“ lässt Sciamma ihre Protagonistinnen immer wieder sagen, die mutig mit offenen Augen Zeuginnen für diese zutiefst relevanten Erfahrungen sind, nur eben aus anderer Sicht. Bei Abdellatif Kechiches Blau ist eine warme Farbe, bei Park Chan-wooks Die Taschendiebin wird auch gern hingeschaut, wenn die weiblichen Protagonistinnen sich verlieben und mit einander intim sind. Doch der Blick ist anders und interessiert sich nur wenig für deren Erfahrungen außerhalb des Bettes. Sciammas Porträt einer jungen Frau in Flammen hat das gleiche Thema, doch ihre Bilder sind ganz andere. Aus einer Innensicht und mit einer Verbundenheit begleitet sie ihre Liebhaberinnen im Liebesspiel, das nicht nur auf Erregung des Körpers, sondern auch der Seele und des Geistes aus ist.

All dies tut sie noch dazu in brillanter Formvollendung. Von Kostümbild und Ausstattung, die mit ihrer Genauigkeit und malerischen Komposition das Jahrhundert bis ins kleinste Detail einfangen, über die präzisen, stets mehrere Ebenen transportierende Dialogen bis hin zu den tiefen geheimnisvollen und tief die Seele treffenden Blicken trifft Sciamma in jedem Aspekt ihres Filmes genau den richtigen Ton, das richtige Bild, das richtige Wort. Selten kommen Komposition, Inhalt und Ästhetik in solcher Verbundenheit zusammen. Und genau dieses Zusammenspiel erlaubt ihr ein ausgeklügeltes Spiel mit dem Herz eines jeden Zuschauers, der sich darauf einlässt, die Liebe und die Einsamkeit der beiden Frauen zu spüren. Es ist, als würde einem das Herz mit einer Hand umschlossen, die es ganz langsam, aber stetig umklammert und zerquetscht. Eine hochlodernde Liebe, die man aus freien Stücken eingeht, ganz so wie Héloise und Marianne, wissend, dass sie in bittersüßem Schmerz enden wird. Doch auch diesen Schmerz weiß Sciamma zu bebildern. Am Ende des Films blicken wir Héloise ins weinende Gesicht. Minutenlang teilen wir ihre Einsamkeit und Sciammas Ruf hinzuschauen. Auch wenn es weh tut.

Porträt einer jungen Frau in Flammen (2019)

Ende des 18. Jahrhunderts wird eine Malerin auf einer einsamen Insel vor der Küste der Bretagne engagiert, um das Hochzeitsbild einer jungen Frau anzufertigen.

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Meinungen

Dietmar · 30.11.2020

Sehr einfühlsam geschriebene Kritik. Ein berührender Film von ästhetischer Schönheit.Getragen von den zwei Überragenden Hauptdarstellerinnen .Daß ist es was man unter Kino versteht.

Doreen · 20.08.2020

"Es ist, als würde einem das Herz mit einer Hand umschlossen, die es ganz langsam, aber stetig umklammert und zerquetscht." –

Genau das trifft es. Wunderbare Kritik, vielen Dank. Für mich schlicht DER Film der letzten Jahre und wahrscheinlich auch der nächsten. Die letzten 10 Minuten hat mich der Film förmlich kaputtgerissen. Ganz große Kunst begnadeter, tiefsinniger Frauen. Ich werde ihn für immer lieben!

Ivo · 08.11.2019

Die Kritik von BB trifft ins Schwarze - mich hat der Film sehr berührt, das Traurig-Schöne dringt ins Herz und die gelunge Komposition von innerer und äußerer Ästhetik ist beeindruckend.
Schauspielerische Glanzleistung der beiden mir bisher unbekannten Hauptdarstellerinnen.

Nick · 30.10.2019

Kein Kino in meiner Nähe zeigt diesen Film, obwohl ich mich sehr drauf freue ://