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Gelungene Adaption – oder biederes Deutschunterrichtsmaterial? In der Verfilmung von Robert Seethalers „Der Trafikant“ erlebt der jungen Franz seine erste Liebe und den „Anschluss“ Österreichs und findet als Ratgeber in Sigmund Freud einen ganz besonderen Freund. 

Der Trafikant (2018)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Weltgeschichte aus Plastik

In seinen Träumen zerschellt Franz (Simon Morzé) an gewaltigen Klippen oder stürzt in bodenlose Ozeane. Er spürt, dass etwas Großes auf ihn zukommt. Die Weltgeschichte drängt von allen Seiten in sein Heranwachsen. Als ihn seine Mutter vom nebligen Bayern in die verrauchte Tabaktrafik (ein Tabak- und Zeitschriftenladen) von Kriegsinvalide Otto Trsnjek (Johannes Krisch) in Wien schickt, ist er plötzlich im Epizentrum einer neuen, düsteren Welt.

Im Jahr 1937 naht der so genannte „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich. Zwei Kräfte fallen über Franz her – Gewalt und Liebe. Die junge Böhmin Anezka (Emma Drogunova) hat es ihm angetan. Seinen Pfad ins Unbekannte begleitet ein unauffälliger älterer Herr, ein Arzt, der bei ihm im Geschäft Zigarren kauft: Kein Geringerer als der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud (Bruno Ganz). 

Der österreichische Regisseur Nikolaus Leytner verfilmt mit Der Trafikant Robert Seethalers gleichnamigen Roman aus dem Jahr 2012. Will man sich ein Bild von seinem Stil machen, sollte man sich an die Harald Schmidt Show zurückerinnern. Dort spielte der Entertainer mehrfach Hochliteratur mit Playmobilfiguren nach. Auch Der Trafikant präsentiert Weltgeschichte aus Plastik vor Kulissen, die in jedem Moment wie Kulissen aussehen. Die Fassaden laden förmlich zum Umstoßen ein. Sie wirken, als könnte man sie umpusten. Jeder Schauplatz wie ein Bausatz für zu Hause: Der Nachtclub, die Trafik, die Wohnhäuser, das Gefängnis, die Gassen von Wien.  

Das ist besonders ärgerlich, weil die Straßen die Arterien sind, an denen der Film den Puls der Zeit nimmt. Aus Plakaten und Graffiti, Gesprächsfetzen vorbeieilender Passanten und aus der Ferne herangetragener Parolen ist ablesbar, wie es um die Politik steht. Nun ist Leytners Vorgehensweise dabei nicht übermäßig subtil: Wird an die Fassade der Trafik „Hier kauft der Jude“ geschmiert, ist das kein Grund zur Freude. Und wo Hakenkreuze hängen, da könnten Nationalsozialisten am Werk sein. Wieso diese Prozesse überhaupt im vermeintlichen Hintergrund verstecken, wo sie doch so vordergründig bleiben?

Alles wirkt merkwürdig glatt und artifiziell, als hätte man dieses Österreich gerade erst erfunden. Ein Kinderfilm für Erwachsene, der nie vermitteln kann, wieso er eigentlich so aussieht. Verwandelt die jugendliche Perspektive Wien in einen Spielplatz? Verfärben Erinnerung und Nostalgie? Es bleibt bei der Spekulation. Die Kamera steigt vorsichtig auf und ab über den Straßenszenen, als hätte man sie an einen großen Jahrmarktluftballon gebunden. Ansonsten ist sie wie ein emsiger Diener immer da, wo sie zu sein hat. Nur nicht auffallen, nur nicht ablenken. Inhalt schlicht bebildern. Alles biedermeierschön, zumindest nie so richtig hässlich. Ja dem Roman gerecht werden, damit man in Zukunft den fauleren Zehntklässlern ohne Probleme als Lektüreersatz dienen kann. Reines Deutschunterrichtskino.

Auch die Darsteller wirken wie Plastikminiaturen, diminuierte Versionen eines großen Vorbilds, karikiert bis zur Unkenntlichkeit. Bruno Ganz spielt Sigmund Freud mit einer aggressiven Onkeligkeit, das Drehbuch reduziert ihn von der dritten Kränkung der Menschheit auf einen Kaufhaus-Weihnachtsmann. Wer sich auf seinen Schoß setzt bzw. eben auf seine Couch, der plappert lustig ein bisschen, alles ein Hobby der von Ödnis übermannten Elite. Selbst wenn es so einfach wäre, bliebe das ein langweiliges Klischee. Freud wird für Franz zum persönlichen Ratgeber und hat immer ein kalenderfähiges Bonmot bereit. „Mit Frauen ist es wie mit Zigarren: Wenn man zu fest an ihnen zieht, verweigern sie einem den Genuss“, erklärt er dann etwa Franz seine erste Beziehung. Der erste „Pick-Up-Artist“ der Weltgeschichte?

Doch selbst seine kahlen Floskeln reichen für die Liebesgeschichte mit der grässlich exotisierten Böhmin Anezka. Die beiden tanzen, schlafen ein paar Mal miteinander, dann betrügt sie ihn. Einmal liegen sie zusammen nackt im Schnee. Es soll wohl wirken, als wäre ihnen der Rest der Welt egal, als existierte das in Liebe vereinte Paar nur noch für sich selbst. Tatsächlich sieht es dann aber aus, als wären sie wirklich komplett isoliert, weil das Set nicht wie ein Teil einer größeren Stadt wirkt. Der Film trägt keine Liebe in sich, nicht für sie oder irgendwen. 

Sigmund Freud tritt wohl auch in die Handlung, um Franz‘ nächtliche Alpträume zu analysieren. In der Praxis sollte ihm das nicht allzu schwerfallen. Leytner schneidet regelmäßig unmittelbar von einem Ereignis zum passenden Traum. Alles hat seine Entsprechung, notdürftig durch einen Farbfilter verfremdet. Da ist es schon extravagant, wenn Franz sich selbst im Spiegel betrachtet und dort dann das invertierte Wort „Zukunft“ auf seiner Stirn lesen kann. Wäre das Unbewusste so leicht zu ergründen, Psychologie käme einem Puzzlespiel mit nur zwei Teilen gleich. Dieser Ansatz passt zu den Figuren, die ähnlich komplex angelegt sind. Der gradlinige Symbolismus kann auf Dauer auch nicht in den Träumen gehalten werden und läuft in den Wachzustand über. Die Spinne, die durch Franz‘ Leben krabbelt, verheißt nichts Gutes. 

Freuds Anwesenheit drückt der Welt den Stempel auf und suggeriert, auch die politischen Umbrüche könnten durch eine freudsche Perspektive besser verstanden werden. Die Nazis werden als triebgesteuert gezeigt: In einem Nebenstrang muss sich Franz‘ Mutter ein besonders aufdringliches Exemplar vom Leib halten. Anezka geht an einen Nazi verloren. Im Kabarett erfreuen sie sich an nackten Körpern. Der Film verwebt die Machtübernahme mit Franz‘ sexuellem Erwachen. Eine Konstruktion, die natürlich alles und nichts erklärt. Zum tausendsten Mal wird auf das Libidinöse der Gewalt und das Gewalttätige der Libido verwiesen.

Seinen Höhepunkt findet die Geschichte konsequenterweise nach all diesem Symbolismus in großen symbolischen Gesten. Symbole ersetzen Taten, alles wird Abstraktion. Und der Film? Der könnte ebenfalls als Sinnbild begriffen werden: Er steht exemplarisch für all die biederen, banalen Literaturverfilmungen, die keiner braucht, die aber trotzdem gefördert und gedreht werden.

Der Trafikant (2018)

Ende der 1930er Jahre in Wien: Der junge Lehrling Franz, welcher in der Trafik ausgebildet wird, trifft dort auf Sigmund Freud und erhofft sich von seinem Stammkunden Hilfe in Liebesdingen. Doch der Psychoanalytiker ist bei weitem nicht so versiert in Sachen Frauen, wie alle immer denken. „Der Trafikant“ ist die Adaption des gleichnamigen Romans von Robert Seethaler.

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Meinungen

Simonsays · 24.03.2023

Hat meine Stunde bereichert. Empfehlen würde ich ihn aber auf keinen Fall 🤗

Dusan · 03.12.2018

Ich bezweifle, dass dieser selbsternannte "Kritiker" den Streifen überhaupt gesehen hatte.

De junge Mann kam nach Wien aus Bad Aussee und nicht wie er verachtend schreibt " von nebligen Bayern. Rest der Kritik ist nicht der Rede wert.

augusto · 01.12.2018

Seltsame Kritik! Der Vorwurf des Plastikhaften trifft sie selbst. Gestelzte Sprache, hergesuchte verdrehte Argumentationen. Klar, nicht alles in dem Film war perfekt, aber wenn alles perfekt gewesen wäre, wäre auch das diesem Kritiker zum Vorwurf geworden!
Wir fanden den Film berührend, interessant, zum Teil auch aufrüttelnd.
Wer natürlich sein Herz verschließt und nur mit der Brille des Intellektualismus schaut, kann in ihm nichts finden.

Bernd · 04.11.2018

Mehr Kopf aus uns Herz auf, dann funktioniert auch der Film und man muss weder ihn noch seine Zuschauer abwerten.

Der Film schafft es sehr gut aufzuzeigen, wie man auch als unpolitischer Mensch nicht in Frieden leben kann, wenn es die Welt drumherum nicht zulässt. Man geht mit einem mulmigen Gefühl im Bauch nach Hause, aber ohne verstört zu sein. Da wo in Pans Labyrinth Gewaltorgien nötig erscheinen, will man beim Tarifkanten gar nicht näher wissen, was im Keller der Gestapo passiert; man weiß es auch so.

Inhaltlich stimmt die Kritik ja an sich bzgl. der Schauplätze als Bausatz, jedoch komme ich zu einem ganz anderen Ergebnis.