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Eine Zöllnerin mit außergewöhnlichem Riecher für die Schwächen ihrer Mitmenschen entdeckt ihre animalische Seite und trifft nebenbei einen mehr als nur Seelenverwandten, der sie — nicht nur — in der Kunst des genussvollen Verspeisens von Insekten unterweist.

Border (2018)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Tier in ihr

Tina (Eva Melander) eine außergewöhnliche Frau zu nennen, kommt einer monströsen Untertreibung gleich. Da ist zum einen ihre reine körperliche Erscheinung, die kaum etwas Einnehmendes hat. Im landläufigen Sinne könnte man sogar sagen, dass sie, nun ja, ausnehmend hässlich ist. Ihr Gesicht wirkt, als sei es nach einem schlimmen Unfall nur notdürftig von minderbegabten Schönheitschirurgen zusammengeflickt worden, ihr Körper ist plump, die Zähne wirken verwahrlost. Und dann ist da noch das andere – ihre Gabe. Tina kann buchstäblich riechen, welche Menschen sie an der schwedischen Grenze, an der sie ihren Dienst verrichtet, herauspicken muss, um fündig zu werden.

Wie ein hypersensibles Tier nimmt sie Witterung auf, kann die verschiedenen Nuancen von Angst, Scham und Gier erspüren und ist somit all ihren Kollegen um Längen voraus. Diese Begabung bleibt natürlich auch ihren Vorgesetzten nicht verborgen und so wird sie zu der Aufklärung der Machenschaften eine Kinderpornorings hinzugezogen, dem die Polizei dank ihres Spürsinns überhaupt erst auf die Schliche kam.

Privat freilich läuft es für Tina weniger gut: Ihr Vater dämmert in einem Altersheim der Demenz entgegen, das kleine Häuschen, das sie bewohnt, teilt sie mit einem tumben Mitbewohner und dessen drei Kampfhunden und es besteht keinerlei Zweifel daran, dass sie von diesem Mann in ihrer Gutmütigkeit gnadenlos ausgenutzt wird.

Eines Tages trifft sie während einer Schicht an der Zollstation Vore (Eero Milonoff), einen Mann, der ihr in seiner Physiognomie erschreckend gleicht und an dem sie ebenfalls etwas gewittert hat, obgleich bei ihm nichts Verdächtiges gefunden werden konnte. Vielleicht ist es ja die Ähnlichkeit, die diese beiden Menschen zueinander treibt – und durch die Begegnung mit Vore wird Tina einiges über sich lernen, von dem sie niemals geahnt hätte, dass es in ihr schlummert.

Der aus dem Iran stammende, aber in Schweden lebende Regisseur Ali Abbasi debütierte vor gerade mal zwei Jahren mit seinem Film Shelley in der Panorama-Sektion der Berlinale. Der Autor des Romans, auf dem Border beruht, ist indes ein klein wenig bekannter, zumal aus John Ajvide Lindqvists Feder auch die Vorlage zu Tomas Alfredsons So finster die Nacht / Let the Right One In (2008) stammt. Tatsächlich erinnert Border ein wenig an diesen Film, wobei durchaus auch eine gewisse Wesensverwandtschaft mit Guillermo del Toros The Shape of Water (2017) ins Auge fällt. Oft gereichen solche Referenzgrößen nicht immer zum Vorteil, aber Ali Abbasi ist mit seinem mutigen Werk zwischen allen Stühlen etwas Großes gelungen.

Border ist eine filmische Wundertüte voller Überraschungen und verrückter Wendungen, die zwischen Komödie, Horror, Fantasy und tiefsinnigem Drama um Fragen der (auch sexuellen) Identität munter Genregrenzen aushebelt und dem Zuschauer mit Humor, aber auch großer Ernsthaftigkeit eine Welt voller Staunen eröffnet, die dazu einlädt, anhand seiner wunderbaren Hauptfigur all die eigenen Haltungen und Gewissheiten einer ausführlichen Prüfung zu unterziehen. Border vermag es, dass man mit großer Leidenschaft und Empathie einem Wesen auf seinem Weg folgt, von dem man sonst am ehesten gerne den Blick abgewendet hätte. Und so erweist sich der Titel des Filmes als überaus treffend, nicht nur, was den Arbeitsplatz seiner Protagonistin betrifft. Border reißt die eigenen Grenzen im Kopf und die Beschränktheit der eigenen Vorurteile mit Leichtigkeit nieder – und vermittelt die Freude über einen Blick in die Welt, der ohne diese Grenzen auskommt.

Border (2018)

Eine Zöllnerin mit ungewöhnlichen Fähigkeiten kommt durch eine Begegnung mit einem Mann hinter ein Geheimnis, das ihr Leben auf den Kopf stellen wird.

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Meinungen

TV · 05.07.2022

Eine mystische Geschichte über den Unterschied zwischen Trollen und Menschen. Das dies als Gender Film gehypt wird, ist genauso wenig nachvollziehbar, wie der völlig banal beigemengte und damit deplatzierte zweite Erzählstrang vom Babymissbrauch und Kinderschänder Ring.
Der mystische faszinierende Kern der Geschichte und damit der Horror des Films geht damit verloren. Weniger wäre hier mal wieder ehr gewesen.

Y · 19.04.2019

Grauenhaft. Die durchgehende langweile war das beste am ganzen Film.

Ronja Seifert · 05.03.2019

Im Teaser der sonst sensibel nuancierten Rezension von "missgestaltet" zu sprechen ist erstens grob und tappt zweitens genau in die Falle, die der Film aufstellt: die Wahrnehmung von Ästhetik, Körperlichkeit und Natürlichkeit infrage zu stellen.

Josef Tura · 28.02.2019

Weshalb der schwedische Titel "Gräns" ( was schlicht Grenze bedeutet) für die deutschen Kinos nun in das englische "Border" geändert werden mußte, wissen nur die Götter. Und vielleicht die Entscheidungsträger beim Verleih. Daß selbige aber oft nicht auf drei zählen können, wissen wir spätestens seit damals aus "The Good, the Bad and the Ugly" fürs hiesige Kino "Zwei glorreiche Halunken" wurden.

Ota · 11.04.2019

Welche Götter genau?
Warum "Border", dürfte klar sein. Es sollen auch Zuschauer angesprochen werden,
die zu träge oder uninteressiert sind, um die Bedeutung von "Gräns" zu recherchieren.
Ja, Banalität ist manchmal schwer zu ertragen. Aber es gibt sie wirklich.