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Eine Großstadt aus Beton und Glas. Drei Geschwister und drei Leben, die vor sich hinlaufen und doch nirgends hinführen. „All My Loving“ begibt sich auf die Suche nach dem Sinn des Daseins und findet vor allem Leere. Eine Leere, die einlädt, Neues zu probieren.

All My Loving (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Mittelständige Lebenskrisen

In „All My Loving“ treffen sich drei Geschwister, die unterschiedlicher nicht sein könnten, in einem Restaurant, dessen Ambiente vor allen von Glas, Stahl und völliger Befreitheit jedweder ästhetischen Individualität bestimmt ist. Kurzum: dieser Ort ist korrekt, ordentlich, kühl und austauschbar. Hier sitzen Stefan (Lars Eidinger), Julia (Nele Mueller-Stöfen) und Tobias (Hans Löw) zusammen, um kurz ein paar Details zu besprechen. Wer fährt zu Mama und Papa, um nach dem Rechten zu sehen? Wer kann den Hund für ein paar Tage nehmen, wenn Julia nach Turin fährt? Und wer will jetzt was essen? Am Ende isst keiner was, ist auch egal. Man ist nicht zusammengekommen, um zu genießen, sondern zu regeln.

Stefan nimmt den Hund. Rocco heißt er und ist Julias Ein und Alles. Nichts darf ihm geschehen. Nur das beste Futter darf er bekommen und täglich 10 Tropfen Medizin, die er nicht braucht. Und schön Gassi gehen und ach, herrje — eigentlich wär’s doch besser, sie würde gar nicht fahren. Doch sie muss. Es muss sich mal was ändern. Nach Turin fährt sie mit ihrem Mann. Endlich mal raus, was Neues sehen. Doch dann sieht sie einen weiteren Hund. Einen Straßenköter. Allein und verloren, der auch noch angefahren wird. Julia kümmert sich. Ihren Mann zermürbt sie damit inzwischen, denn egal ob Rocco oder dieser Hund — eigentlich geht es hier um einen ganz anderen Verlust, den Julia nur so ertragen kann. Währenddessen ist Rocco bei Stefan eher allein, denn auch Stefan hat Bedürfnisse. In seiner Pilotenuniform reißt er Frauen an einer Hotelbar auf. So wie früher quasi. Nur ist Stefan kein Pilot mehr. Ihm bleiben nur die Statussymbole: Uniform, Porsche, Eigentumswohnung in Glas, Stahl und grau. Seine Ohren spielen nicht mehr mit. Bei Stress bekommt er Schwindel. Aber so richtig wahrhaben will er es nicht, dass es das war mit dem alten Leben. Erst als seine Tochter Vicky, inzwischen im besten biestigen Teenageralter, verschwindet, wird ihm klar, dass es noch was anderes gibt. Solche Probleme hat Tobias nicht. Drei Kinder, eine Ehefrau, ein Haus und die Doktorarbeit füllen jede Sekunde seiner Zeit. Und jetzt noch die Sorgen um Papa, der irgendwas am Bein hat. Tobias fährt die Eltern besuchen und findet dort seine Mutter im völligen Verdrängungsmodus. Die noch fitte Frau baut das ganze Haus um. Der kaputte Vater sitzt derweil auf dem Balkon und hasst das Leben. Wie gut, dass der Sohn da ist. An dem kann man sich abarbeiten. Immerhin ist Tobias nur Hausmann und studiert mit Anfang 40 noch immer. Ein Taugenichts. Ganz klar.

Julia, Stefan, Tobias. Jedem von ihnen wird eine Episode gewidmet, in denen man den Charakteren durch ihre sich dramatisch zuspitzenden Krisen folgt. Dies könnte zu guten dramaturgischen Momenten führen, zu tiefen Eingriffen und Krisenmomenten, doch Edward Bergers All My Loving ist einer dieser unterkühlten Filme, die absichtlich spröde bleiben und mit viel Abstand das Geschehen indifferent betrachten. Eine interessante ästhetische Wahl, die allerdings auch schnell nach hinten los geht, denn wenn so wenig Menschliches gegeben wird, dann bleibt es auch im Kinosaal kalt und egal. Ein Schulterzucken, mehr auch nicht, vermag der Film aus den meisten Zuschauern herauszukitzeln. Nur Liebhaber dieser Art grau-blauer Dramatik, die sich gern in die kalte Oberflächlichkeit des Gezeigten bohren, können in All My Loving vielleicht mehr finden als einen dieser typischen deutschen Filme, in denen viel geredet, aber wenig erzählt wird und deren Oberfläche ganz wie das Restaurant am Anfang des Films zwar korrekt und makellos, aber eben auch völlig befreit von Individualität und Menschlichkeit ist. Kennste eins, kennste alle.

Todd Solondz und Todd Haynes nennt Berger als Inspiration für diese unterkühlte Oberfläche und ja, in kleinen Ansätzen sieht man hier Parallelen. Doch All My Loving vermag nicht tiefer zu gehen. Die Figuren, ihre Krisen, sie berühren nicht durch die tief klaffende Absenz von Wärme, wie es beispielsweise bei Solondz oft der Fall ist. Bei ihm ist es gerade diese Leere, die ihren Schmerz geradezu hinaus in den Kinosaal schreit, sie ist es, was bewegt und beklemmt. Das fehlt Bergers Film aber fast gänzlich, zu sehr klemmt er alles weg, was relevant wäre. Ein wenig mehr Offenheit, mehr Eigenheit und Charakter hätten dem Film gutgetan. Ebenso mehr Ideen in Sachen Drehbuch. Inhaltlich bietet der Film nichts Neues, die Krisen und Geschichten sind eher von der Stange und kommen manchmal recht seifenoperartig daher. Das hätte man auch zum Vorteil nutzen können, doch auch hier ist Bergers Verpflichtung, den Film streng kadriert und streng inszeniert zu halten, im Weg. Da kommt selbst ein Lars Eidinger nicht an, der oft in diesen stark beschränkten Rollen Nuancen findet, die er auszuspielen weiß. Er und das gesamte Ensemble arbeiten mit allem, was sie haben. Aber die provozierte Leere können sie nicht mit Spannendem füllen, auch wenn der Film ihnen letztendlich zumindest dramaturgisch eine gewisse Erlösung erlaubt. 

Dass diese in einem Epilog hinterhergeschoben noch kommt, ist dann aber auch irgendwie egal. Ein Achselzucken war die Antwort meiner Kinositznachbarin. 

All My Loving (2019)

„All My Loving“ ist ein Film über 3 Geschwister. Sie sind alle an einem Punkt angelangt, an dem sie schleunigst etwas verändern müssen. Zwischen Chaos, Fehlern und Unsicherheiten suchen sie nach einem Weg, auf dem vielleicht ihr Glück liegt.

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Meinungen

Joe · 29.05.2019

Spätestens in der Mitte der zweiten Episode fragte ich mich, was das denn alles solle!? Sehr gute Schauspieler kämpfen gegen ein schwaches Drehbuch an - und können diesen Film letztlich auch nicht retten. Die Tragik der 3 Protagonisten wünscht man sich nicht - aber richtig berühren kann der Film nicht. Warum? Weil er es gar nicht versucht. Die kühle Ästhetik ist gewollt. Ein leider bedeutungsschwangerer und typisch unlustiger deutscher Film, den man bereits im Foyer wieder vergessen hat. Schade ...