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Seamus Murphy hat PJ Harvey beim Entstehungsprozess ihres neunten Studioalbums begleitet. Von der Inspiration bis zu den Aufnahmen macht die Indie-Ikone einiges anders als üblich.

PJ Harvey - A Dog Called Money (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Bild und Ton als Spiegel der Gesellschaft

Nicht wenige Dokumentarfilme über Kreative stehen vor demselben Problem: Wie sollen sie den Entstehungsprozess eines Kunstwerks abbilden? Rein beobachtend? Analytisch in die Vergangenheit und ins Archiv steigend? Oder sollen sie den eigenen Film als Kunstwerk begreifen und dessen Kreativität dem abgebildeten Prozess entgegensetzen? Der Fotojournalist und Kameramann Seamus Murphy hat sich für die zuletzt genannte Möglichkeit entschieden. In seinem ersten langen Dokumentarfilm gehen seine Bilder eine ebenso soghafte wie sagenhafte Symbiose mit PJ Harveys Musik ein.

Dokumentarfilme über Musiker*innen drehen sich meist um deren Biografie, um außergewöhnliche Tourneen oder Konzerte oder aber um die Produktion eines Albums. Gern werden all diese Komponenten zu einem großen Bild- und Klangbrei verrührt. Während ein Erzählstrang die Karriere Revue passieren lässt, folgt ein weiterer dem Touralltag und/oder den Studioaufnahmen. Viel zu selten geht ein Regisseur einen anderen Weg. Murphys Film über Polly Jean Harvey, in der Musikwelt besser als PJ Harvey bekannt, und ihr neuntes Studioalbum, das 2016 auf den Markt kam, ist gleich in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich.

Außergewöhnlich sind schon der Ansatz und die Umsetzung des Albums. Die Inspiration für The Hope Six Demolition Project sammelte Harvey auf gemeinsamen Reisen mit Murphy durch Afghanistan, den Kosovo und Washington D. C. Stets mit einem Notizblock bewaffnet, fließen ihre Gedanken vom Kopf in den Block und als Voice-over-Kommentar zurück in den Kinosaal. Aus den gesammelten Ideen und Tönen vor Ort – beim gemeinsamen Musizieren oder nur beim Zuhören – entstehen schließlich zurück in London die Stücke. Allerdings nicht in einem üblichen Tonstudio, sondern als Kunstinstallation. Unter dem Titel „Recording in Progress“ konnten die Besucher*innen des Londoner Sommerset House die Produktion des Albums in einem abgetrennten Kubus durch Einwegspiegel verfolgen.

Auch Murphys Film ist voller Spiegelungen. Wir sehen PJ Harvey bei der Arbeit zu, dieser zierlichen Frau, 1969 in der englischen Grafschaft Dorset geboren und immer noch oder wieder dort lebend, früh zu Indie-Ruhm aufgestiegen und bis heute eine der wichtigsten, talentiertesten und kraftvollsten Stimmen im Musikzirkus. Wir sehen, wie sie im Kreise ihrer allesamt männlichen Musiker leise und humorvoll, aber zielstrebig den Ton angibt. Und wir sehen den Zusehenden draußen vor der Scheibe beim Zusehen zu. Murphys Reisebilder spiegeln Harveys Texte, die unterwegs gesammelten Töne ihre Musik – und all das kommentiert sich gegenseitig.

Der Film und Harveys Songs bereisen Grenz-, Krisen- und Kriegsgebiete, zeigen Armut und soziale Ungleichheit, aber auch Hoffnung und welche Rolle Musik dabei spielen kann. Cutter Sebastian Gollek montiert Murphys kontrastreiche, farbenprächtige Aufnahmen und Harveys schwer fassbare, verspielte, multiinstrumentale und immer wieder ins Sphärische kippende Musik zu einem audiovisuellen Fluss, dessen Sog man sich nur schwer entziehen kann. Ein Bild- und Klangkunstwerk, das lange nachhallt.

PJ Harvey - A Dog Called Money (2019)

Der preisgekrönte Fotograf Seamus Murphy gibt uns einen Einblick in das kreative Arbeiten der britischen Musikerin PJ Harvey: auf ihren Reisen nach Afghanistan, in den Kosovo und nach Washington D.C. — sowie im Aufnahmestudio in London.

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