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In „Woman of…“ schildern Małgorzata Szumowska und Michał Englert das Leben einer trans Frau in Polen.

Woman Of (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

In Wahrheit leben

Im Drama „Im Namen des …“ befasste sich die 1973 in Krakau geborene Regisseurin Małgorzata Szumowska mit einem Pater, der merkt, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Ihr Co-Autor (und Ex-Ehepartner) Michał Englert war dabei als Kameramann im Einsatz und schuf die poetischen Bilder des Werks. Nach weiteren gemeinsamen Projekten hat das Duo nun zusammen den Film „Woman of…“ geschrieben und in Szene gesetzt: eine mehrere Dekaden umfassende Lebensgeschichte, die von der Transition der Hauptfigur erzählt, während sich im Hintergrund Polen von den 1980er Jahren bis heute von einem kommunistischen in ein kapitalistisches Land verwandelt.

Zu Beginn sehen wir ein Kind mit langen blonden Locken bei der Erstkommunion. Es trägt einen Anzug, wodurch ihm ein klares Geschlecht zugeordnet werden soll. Indem es indes einen weißen Schleier stibitzt und beherzt über die blühenden Felder läuft, um sich zu verstecken, wird schon in diesen frühen Momenten das starke Aufbegehren gegen diese falsche Zuordnung deutlich. Bei der Wehrtauglichkeitsuntersuchung sorgt Andrzej (Mateusz Więcławek) im Jugendalter wiederum mit lackierten Fußnägeln für Aufsehen.

Von Anfang an springt die Inszenierung in der Zeit umher, wirft diverse Blicke in die Zukunft oder kehrt vorübergehend in vergangene Phasen zurück – was zur Folge hat, dass sich eine gewisse Distanz zum Geschehen einstellt. Mit der Krankenschwester Iza (Bogumiła Bajor, in späteren Abschnitten Joanna Kulig) tritt Mitte der 1980er Jahre bei den pompösen Feierlichkeiten zum ersten Mai eine wichtige Person in Andrzejs Leben. Wir beobachten eine aufkeimende Romanze – im Park, im Schwimmbad, im Bett. Es kommt zur Hochzeit; bald ist bereits das erste Baby da. „Du sahst aus wie ein Mädchen“, wird bei der Sichtung eines Kindheitsfotos von Andrzej kurz gespöttelt. Doch zunächst scheint der heteronormative Weg für Andrzej und Iza geebnet.

Die in überschwänglichen Aufnahmen eingefangene Love Story lässt an die Darstellung der zentralen Beziehung in Xavier Dolans Laurence Anyways (2012) denken. Wie die Titelfigur in der überbordenden kanadischen Produktion beginnt auch Andrzej, langsam zu sich selbst und zur wahren geschlechtlichen Identität zu finden. Andrzej informiert sich in der Bibliothek, in späteren Jahren dann im Internetcafé über Phänomene wie Crossdressing und über die Möglichkeiten einer Geschlechtsangleichung. Hier wird erkennbar, wie schwierig es noch vor wenigen Dekaden war, sich Wissen über Dinge anzueignen, die nicht öffentlich besprochen wurden. „Das gibt’s bei uns nicht“, wird an einer Stelle abschätzig über LGBT-Themen gesagt.

In den leeren nächtlichen Straßen der Stadt Tomaszów Mazowiecki lebt Andrzej das Dasein als Frau in High Heels und in weiblich codierter Kleidung weitgehend unbemerkt aus. Ein Arzt hält derweil das Verschreiben von Testosteron für angebracht. Erst nach vielen Jahren, wenn sich die Hauptfigur (nun verkörpert von Małgorzata Hajewska-Krzysztofik) in Aniela umbenennt, findet sich ein Arzt, der über das nötige Gespür und über die erforderliche Kompetenz verfügt. „Sie sind normal“, versichert der Mediziner Aniela – und erklärt ihr, dass es nie zu spät sei, mit einer Hormonbehandlung anzufangen.

Wenngleich Woman of… durch seine sprunghafte Erzählstruktur nicht ganz die einnehmende Wirkung entfaltet, die aufgrund der beeindruckenden Bildsprache und des engagierten Schauspiels möglich wäre, demonstriert der Film auf bemerkenswerte Weise die etlichen Hürden, die Aniela nehmen muss, um endlich ein wahrhaftiges Leben führen zu können.

Aniela verliert ihren Job, weshalb sie am Drive-in-Schalter einer Fast-Food-Kette zu arbeiten beginnt. Sie wird mit absurden bürokratischen Bestimmungen konfrontiert – und gerät mehr und mehr in eine prekäre Situation, die gar zu einem langjährigen Gefängnisaufenthalt führt. Szumowska und Englert üben scharfe Kritik an den Bedingungen in ihrem Land, reduzieren ihre Hauptfigur aber nicht auf das Negative, das ihr widerfährt, sondern zeigen einen Menschen, der für seine Freiheit kämpft.

Gesehen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.

Woman Of (2023)

Die Geschichte umspannt 45 Jahre und beginnt mit einem jungen Mann, der mit seiner Familie in einer polnischen Provinzstadt lebt. Er versucht ein guter Ehemann und Vater zu sein, fühlt sich aber zunehmend unwohl in seinem Körper, der nicht seiner wahren sexuellen Identität entspricht. (Quelle: Variety)

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