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So wahrgenommen zu werden, wie sie sind – darum geht es in Laurentia Genskes und Robin Humboldts Dokumentarfilm über zwei syrische Schwestern in Stuttgart. Sie begleiten die zwei Transfrauen auf ihrem steinigen Weg zum Glück. 

Zuhurs Töchter (2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Turbulente Trans*gression

Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Zumindest keins im falschen Körper. Mahmoud und Lohan, zwei junge Geflüchtete aus Syrien, wurden als Männer geboren und wollen in Deutschland nun endlich werden, was sie sind: Frauen. Das Regieduo Laurentia Genske und Robin Humboldt hat die beiden auf ihrem langen Weg dorthin begleitet.

Zu Hause schminken, das ist nicht drin. Wir begegnen Mahmoud, der sich ganz am Ende Samar nennen wird, und Lohan erstmals auf einer Parkbank. Dort machen sie sich zurecht. Was noch fehlt, sind die ausgestopften Büstenhalter, die sie erst auf der öffentlichen Toilette des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter ihren engen Tops platzieren, bevor sie sich ins Nachtleben stürzen. Für die Geschwister aus einer Geflüchtetenunterkunft im Umland ist die nahe gelegene Großstadt Verheißung und Herausforderung zugleich. Hier tanzen sie unbeschwert bis ins Morgengrauen. Hier wägen und wehren sie die interessierten bis irritierten Männerblicke ab. Hier werden ihnen aber auch Beleidigungen entgegengeschleudert.

Zurück in der Unterkunft ist die Welt überschaubar und eng, aber auch viel toleranter, als manch eine/r vielleicht vermuten würde. So wenig ihre Mutter Zuhur und ihr Mann Talib ihre Töchter auch verstehen mögen und so sehr sie nach wie vor Söhne in ihnen sehen, letzten Endes arrangieren sie sich damit. Zuhurs und Talibs Einwände sind nicht nur religiöser Natur, vor allem machen sich die Eltern Sorgen, was andere über ihre Familie denken und wie Mahmoud und Lohan von anderen behandelt werden könnten. Ganz normale Ängste eben. Bei den jungen Mädchen rund um Mahmouds und Lohans jüngere Schwester Maryam kommen das Make-up und die Klamotten der zwei indes sehr gut an. Syrische Influencerinnen, aber auch zwei kleine Diven, die nicht nur in Maryams Augen „zu chaotisch“ sind. 

Mahmoud und Lohan stehen nie still, und immer läuft irgendwo Musik – ohne Rücksicht darauf, ob ihre Mutter gerade betet oder ob ihr jüngerer Bruder sich auf seine Hausaufgaben konzentrieren muss. Zwei Egoistinnen, dabei aber grundsympathisch, deren Energie jedoch schnell in Lethargie umschlagen kann, wenn ihr Umfeld einmal nicht nach ihrer Pfeife tanzt. Dass es mit dem Deutschkurs nicht geklappt hat, mag größtenteils an den Anfeindungen liegen, von denen Mahmoud im Film berichtet. Wenn der Film Mahmoud dann allerdings im Matheunterricht zeigt, liegt der Verdacht nahe, dass auch eine allgemeine Lustlosigkeit am Lernen einen nicht unerheblichen Teil dazu beigetragen haben könnte. Diese Schwestern sind eben auch schlamperte Schlawinerinnen.

Genske und Humboldt haben für ihren Film einen beobachtenden Modus gewählt. Kein Off-Kommentar sagt dem Publikum, was es denken soll, keine eigens komponierte Musik gibt Gefühle vor, keine Texttafeln und Einblendungen verstellen den Blick. Der Alltag, die Orte, die Wünsche und Absichten ergeben sich aus präzise beobachteten Situationen, aus Gesprächen untereinander und nach und nach auch aus Ansprachen an das Filmteam hinter der Kamera, wobei diese nie wie klassisch geführte Interviews wirken. Der Film ist voll von kleinen Momenten der Glückseligkeit und der Enttäuschung. Und ganz beiläufig zeigt er, wie vielfältig unsere Gesellschaft längst ist, wenn beispielsweise der Stuttgarter Arzt, der die Schwestern berät, unvermittelt aus dem Arabischen ins Schwäbische wechselt.

Schon ihr preisgekrönter Film Am Kölnberg (2014) war eine Langzeitbeobachtung. Und auch dieses Mal begleiten Laurentia Genske und Robin Humboldt ihre Protagonist*innen eine beachtliche Weile. Jahreswechsel werden gefeiert, Schneemänner gebaut, Freibäder besucht, Strandurlaube mit der ersten großen Liebe gemacht. Die Kamera ist bei Gesprächen in der Arztpraxis und bei Operationen im Krankenhaus dabei, wahrt dabei aber stets den gebührenden Abstand. Als Publikum fiebern wir mit; wir können gar nicht anders. Und angesichts der Lage, die uns seit geraumer Zeit immer wieder im Lockdown festhält, will man gar nicht daran denken, was diese erzwungene Isolierung mit diesen freiheitsliebenden Schwestern anstellt. Am Ende dieses Films sind sie für uns kaum wiederzuerkennen, aber endlich bei sich selbst angekommen.

Zuhurs Töchter (2021)

Geflohen vor dem Bürgerkrieg in Syrien und dem Islamischen Staat, erhalten die Brüder Lohan (18) und Kamar (17) gemeinsam mit ihrer Familie in Deutschland Asyl. Seit zwei Jahren leben sie in einer Flüchtlingsunterkunft in Stuttgart: Mutter Zuhur (46), ihr Ehemann Talib (42) und seine Zweitfrau Schaharazad (29) sowie die gemeinsamen Kinder. Auf seine eigene Art und Weise versucht sich jeder aus der Familie in dem unbekannten Land zurechtzufinden. Während die Eltern an gewohnten Strukturen aus Syrien und an einer Lebensform nach Gesetzen des Koran festhalten, schlagen ihre Kinder völlig unterschiedliche Wege ein.

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