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In seinem Dokudrama „Das Ende des Schweigens“ widmet sich van-Tien Hoang den damaligen Opfern der Frankfurter Homosexellenprozesse zu Beginn der 1950er Jahre.

Das Ende des Schweigens (2020)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Hart erkämpfte Freiheiten

Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches stellte zwischen 1872 und 1994 (!) sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Durch die Nazis wurde der Paragraf im Jahre 1935 verschärft, sodass etwa bereits das „bloße Anschauen des geliebten Objekts“ genügte, um jemanden in Haft zu nehmen. Insgesamt wurden zwischen 1933 und 1945 fast 50.000 Männer wegen Homosexualität abgeurteilt; etwa 5.000 bis 6.000 kamen in Konzentrationslager, wo sie durch einen rosa Winkel gekennzeichnet wurden. Die Alliierten behielten den § 175 nach Ende des Zweiten Weltkrieges bei. 1969 und 1973 kam es zu Reformen; erst nach der Wiedervereinigung wurde der § 175 im Jahre 1994 ersatzlos aufgehoben.

Der österreichisch-deutsche Spielfilm Große Freiheit (2021) von Sebastian Meise widmet sich diesem Thema, indem er das Schicksal eines Betroffenen über mehr als zwei Dekaden hinweg schildert. Der 1980 geborene Regisseur van-Tien Hoang wählt einen anderen Weg der Geschichtsvermittlung. Er konzentriert sich in seinem Dokudrama Das Ende des Schweigens auf die Frankfurter Homosexuellenprozesse zu Beginn der 1950er Jahre – eine Hetzjagd von Staatsanwaltschaft und Polizei auf schwule Männer. Um die Umstände dieser Zeit darzustellen, setzt Hoang zum einen auf Zeitzeugen- und Experten-Interviews und zum anderen auf Spielszenen.

Im Mittelpunkt der Spielszenen steht der junge Otto Blankenstein (Yvo Heinen), der im Sommer 1950 polizeilich aufgegriffen wird. Der verängstigte Mann, der sich in der Frankfurter Stricherszene bewegt, lässt sich zum Kronzeugen machen und gibt der Staatsanwaltschaft mehr als 200 Namen und Adressen preis. Es kommt zu rund 100 Verhaftungen, darunter der ehemalige Journalist Wolfgang Lauinger (Christoph Gérard Stein), der bereits im Nationalsozialismus als „Swingkid“, Homosexueller und „Halbjude“ verfolgt wurde.

Zuweilen muten die gespielten Passagen, in denen Begegnungen und Gespräche zwischen Männern sowie Verhöre und Gerichtsverhandlungen gezeigt werden, etwas hölzern an. Sie tragen jedoch dazu bei, die Atmosphäre der damaligen Zeit zu transportieren – wie es nach einem kurzen Wiederaufleben schwuler Subkulturen in Frankfurt nach Kriegsende zur erneuten Erschütterung und zu gesetzlich legitimierter Verfolgung kam. Die stärksten Momente von Das Ende des Schweigens finden sich indes in den Statements der Befragten. So interviewte Hoang auch besagten Wolfgang Lauinger (1918-2017), der sich für die Rehabilitierung der nach dem § 175 verurteilten Männer und für eine Aufarbeitung der Rolle von nationalsozialistischem Gedankengut insbesondere in der Justiz der frühen Bundesrepublik einsetzte. Ihm selbst blieb eine Entschädigung bis zum Tod verwehrt.

Auch die Aussagen diverser Historiker im Verlauf des Films sind bemerkenswert. So erläutert beispielsweise Markus Velke, weshalb männliche Homosexualität als „staatsgefährdend“ empfunden wurde. Ebenso wichtig ist die Erkenntnis, dass es in der deutschen Geschichte Kontinuitätslinien in der Diskriminierung nicht-heterosexueller Menschen gibt – und dass sämtliche Freiheiten, die heute bestehen, hart erkämpft sind und viele Opfer forderten. Daran zu erinnern kann sich Das Ende des Schweigens als Verdienst anrechnen; der Filmtitel sollte von uns allen als Appell begriffen und umgesetzt werden.

Das Ende des Schweigens (2020)

Als der 17jährige Strichjunge Otto Blankenstein im Sommer 1950 von der Polizei in Frankfurt am Main aufgegriffen wird, finden sie bei ihm ein Notizbuch mit den Namen seiner Kunden. In den darauffolgenden zehn Monaten wird gegen mehr als 200 homosexuelle und bisexuelle Männer ermittelt, rund 100 werden verhaftet, quer durch alle Schichten, vom Arbeiter bis zum Arzt. Blankenstein entfacht damit eine der größten Verfolgungen einer Minderheit in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Frankfurter Homosexuellenprozesse 1950/1951 stürzen hunderte Männer ins Unglück. Sie tragen dazu bei, daß der Paragraph 175 in den Jahrzehnten danach wieder als Instrument zur Verfolgung Homosexueller eingesetzt wird.

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Meinungen

Stephan Strotkötter · 24.10.2020

Hab den Film heute beim Queer-Filmfest Weiterstadt gesehen. Eine gelungene Geschichtsstunde in einem gut gemachten Mix aus Spielszenen und Aussagen von Fachleuten und Zeitzeugen.