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Zwanzig Jahre nach ihrem bahnbrechenden Film Gendernauts kehrt Monika Treut zurück in die USA, um ihre fünf transgender Protagonist:innen von damals wiederzutreffen. Was hat sich geändert für die Gendernauten von damals, die jetzt unter der Regierung Trump leben müssen?

Genderation (2021)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Bist du ein Mann oder eine Frau? Ja!

„Genderation“ heißt Monika Treuts Nachfolgewerk auf ihren Dokumentarfilm Gendernauts, in dem sie ihre Protagonist:innen von vor 20 Jahren erneut besucht, um zu sehen, wie es ihnen ergangen ist. Dabei ist der Titel des Werks auch gleich die Zielsetzung: Während vor zwei Jahrzehnten die Gendernauten wie Astronauten im Kosmos geschlechtlicher Möglichkeiten nach Neuland suchten, so ist dieses Mal die Frage, ob und wie lang es dauert, dass Genderidentitäten jenseits des binären Mann/Frau-Systems kulturell und sozialpolitisch gedacht und gelebt werden können.

Damit legt Treut zunächst einmal den Finger auf eine besonders delikate Wunde, ist der Kampf um Anerkennung und Selbstbestimmung von non-binären und trans Menschen doch seit Jahren das Schlachtfeld schlechthin. Denn die pure Existenz von Menschen außerhalb der klassisch anerkannten Binariät erschüttert eine der grundlegenden Stützen derzeitiger westlicher Gesellschaftsformen. Und so ist es kaum verwunderlich, wenn auch enttäuschend, dass diese mit äußerster Aggressivität reagiert. Egal ob die TERF- Bewegung (trans-ausschließender radikaler Feminismus) oder die Lawine ausschließender, diskriminierender Gesetzesentwürfe, egal ob in den USA oder Europa zeigt, dass die Angst tief sitzt. Und noch etwas ist klar: die meisten Menschen, die sich trans Menschen als Gefahr imaginieren, kennen selbst gar keine privat.

Etwas anderes macht Genderation noch zu einem Meilenstein. Frage: Wie viele trans Menschen kennen Sie eigentlich? Und wie viele von denen haben es geschafft alt zu werden? Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die Zahl recht gering sein, denn kaum jemand ist so angefeindet und bedroht, wie trans Menschen im Westen. Die Zahl der Morde vor allem an trans Frauen, vor allem wenn sie gleichzeitig people of color sind,  ist erschreckend hoch. Die Lebensumstände vieler trans Menschen sind, ob ihrer Diskriminierung oder ihres Ausschlusses aus Teilen der Gesellschaft wegen, prekär und führen überdurchschnittlich oft zu einem verfrühten Tod. Es ist wichtig sich all dessen bewusst zu werden, denn Treuts Protagonist:innen sind in vielerlei Hinsicht Ausnahmeerscheinungen, die einerseits hervorragend geeignet sind, um bestimmte Prozesse und Entwicklungen aufzuzeigen und einzuordnen, andererseits aber nicht unbedingt den Durchschnitt widerspiegeln. Genderation kodiert daher doppelte Informationen: Treuts Film ist ein Archiv, dessen Leerstellen ebenso viel aussagen, wie seine Bilder und Geschichten.

Durch Kalifornien und Nevada reist Treut stets bei blaustem Himmel und den herrlichsten Wolken, um ihre Protagonist:innen und Freund:innen wieder zu treffen. Zunächst macht sie Halt bei Annie Sprinkle und ihrer Frau Beth, den einzigen Protagonist:innen, die nicht selbst trans sind, aber der Szene in den 1980er Jahren zugehörig waren und noch heute ihre aktivistische Arbeit in Sachen Sexualität fortsetzen. Stafford und Max Wolf Valerio sind zwei trans Männer, deren Leben und aktivistische Arbeit in Gendernauts portraitiert wurde. Während Valerio als Poet in eher schwierigen finanziellen Umständen versucht seinen Abschluss zu machen, ist Stafford selbstständig mit seiner Umzugsfirma und versucht in der Wüste in Nevada einen Alterswohnsitz für sich und andere aufzubauen. Sandy Stone und Susan Stryker, zwei trans Frauen, die ebenfalls vor 20 Jahren portraitiert wurden, sind auch mit dabei. Stone ist eine bekannte Medientheoretikerin, die mit ihrem Werk The Empire Strikes Back: A Posttranssexual Manifesto eines der Ursprungswerke der Gendertheorien schrieb. Stryker ist ebenfalls eine der wichtigen Gründungsfiguren der Gender- und LGBT-Studies und Professorin, die kurz vor der Rente steht. 

Genderation lebt und transzendiert das klassische Doku-Format, in dem es aufgebaut ist, vor allem durch die Mischung aus Lebenserfahrungen der Protagonist:innen. Während Stryker und Stone gekonnt und auch theoretisch fundiert ihre Lebenserfahrungen und die Änderungen in den letzten 20 Jahren einzuordnen wissen, addieren Stafford und Valerio eine weitere Ebene, auf der transgender Themen auch in Bezug auf Klassenunterschiede verhandelt werden. Ein weiterer roter Faden zieht sich durch die Lebensberichte: Geld, Sicherheit, Alter. Lebten alle Gendernauten doch in San Francisco Ende der 1980er Jahre, so kommt niemand von ihnen umhin direkt von der Silicon-Valley-Übernahme der Stadt betroffen zu sein. Wo niemand mehr die Mieten bezahlen kann, selbst mit einer vollen Professur, da bleibt wenig Platz, vor allem für Menschen, die eh schon marginalisiert sind. Hinzu kommt ein zeitgeistiger Kommentar über die USA unter Trump und die extremen Anfeindungen, die einerseits privat, andererseits poliitsch zu erdulden sind. 

Und doch, bei all diesen sozio-politischen Ebenen, die Treut mal mehr, mal weniger detailliert anspricht, sind es die Menschen selbst, die diesen Film tragen. Ihre Lebenserfahrungen zu archivieren, ihr Wissen anzuzapfen und in Kontrast zu den vielen Ängsten zu stellen, ist nicht nur Balsam für die Seele, sondern wichtige historische Arbeit. Genderation ist einer der ersten wichtigen Schritte die moderne Geschichte der Trans-Bewegung aufzuzeichnen und damit endlich eine Historizität zu schaffen, die ihr bislang oft verwehrt wird.

Genderation (2021)

20 Jahre nach ihrem Film „Gendernauts“, einem der ersten Filme, der die Trans*-Bewegung in San Francisco porträtierte und 1999 im Berlinale Panorama lief, sucht Monika Treut die Pionier*innen von damals auf. Was hat sich verändert? Wie haben sich die Leben der Protagonist*innen weiterentwickelt? Während San Francisco, wie Annie Sprinkle es ausdrückt, einst die „Klitoris der USA“ war, hat heute die Tech-Industrie die Stadt fest im Griff. Die aggressive Gentrifizierung hat die genderqueere Community von einst verdrängt. Unter der Trump-Regierung stehen erkämpfte Transgender-Rechte massiv unter Beschuss: Der Schutz vor Diskriminierung im Gesundheitswesen und die freie Wahl bei der Nutzung öffentlicher Toiletten wurden zurückgenommen.
Im Wechsel aus ruhigen, unaufdringlichen Bildern und Rückblenden beschreibt der Film, wie die Gendernauts mit den Jahren in ihre Identitäten hineingewachsen, beruflich angekommen sind und Familien gegründet haben und wie ihre Energie bis heute wirkt. Ihr Aktivismus hat sich über die Zeit verändert, doch die Kämpfe gehen weiter. Neue Perspektiven sind hinzugekommen: das Verhältnis des Menschen zur Natur im Zeitalter des Anthropozäns, aber auch die Frage, wie sie im Alter leben wollen.

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