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Regisseurin D. Smith lässt in ihrem Dokumentarfilm vier Schwarze trans Sexarbeiterinnen über ihre Lebensrealitäten sprechen. Mit simplen, aber eindrücklichen Mitteln hallen diese Erzählungen lange nach.

Kokomo City (2023)

Eine Filmkritik von Sophia Derda

Working Girls

D. Smith kommt aus der Musikbranche. Als zweifach für den Grammy nominierte Musikproduzentin war sie an der Produktion einiger der größten Hits der 2000er Jahre beteiligt und arbeitete mit Künstler*innen wie Lil‘ Wayne, CeeLo Green, Katy Perry und André 3000 zusammen. Sie arbeitete in ihrem Traumberuf und hatte die Möglichkeit, sich künstlerisch auszuleben – nur etwas ganz Entscheidendes fehlte. 2014 begann ihre Transition zur Frau. Als Folge dessen bekam sie kaum noch Angebote als Musikerin und startete daraufhin die insgesamt drei Jahre umfassende Arbeit an „Kokomo City“.

Als Transition bezeichnet man den Prozess der Veränderung der eigenen Geschlechtsdarstellung oder Geschlechtsmerkmale, um mit dem eigenen inneren Gefühl der Geschlechtsidentität übereinzustimmen. Eine trans Person kann demnach soziale, körperliche und/oder juristische Änderungen vornehmen, um die eigene Geschlechtsidentität auszudrücken. Trans ist ein Überbegriff für transsexuelle, transidente und transgender Menschen und alle Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, dem sie bei der Geburt zugewiesen wurden (queer-lexikon.net). D. Smith musste an ihrem eigenen Körper erfahren, dass solch eine Transition gesellschaftliche Folgen haben kann. Die Musikindustrie schloss sie fortan aus. Auftraggeber*innen und Kolleg*innen meldeten sich nicht mehr. Ihre Karriere war vorbei.

Kokomo City ist ein fiktiver Ort. Benannt nach dem Blues-Musiker Kokomo Arnold, dessen Song Sissy Man Blues im Film gespielt wird. In Kokomo City trifft D. Smith auf Daniella, Koko Da Doll, Liyah und Dominique. Vier Schwarze trans Sexarbeiterinnen in New York und Georgia. Nach dem Motto Let’s be ourselves treten die vier vor die Kamera. Sie erzählen ihre Geschichten. Sprechen das an, was sie bewegt, was sie schon immer mal aussprechen wollten. Wir hören zu. Und lernen.

Kokomo City beginnt mit Randy Crawfords Street Life, ein perfekter Einstieg für einen Film wie diesen. Allgemein erinnert die Auswahl der Musik nicht nur in diesem Fall an Tarantinos Jackie Brown (1997). D. Smith schöpft aus einem reichen Fundus an musikalischem Wissen, um ihren Film mit ebenso viel Kunstfertigkeit zu untermalen, wie sie es mit der Kamera tut. In kontrastreichem Schwarz/Weiß treffen wir die vier Frauen bei sich Zuhause auf dem Sofa, unterwegs beim Joggen oder auch mal in der Badewanne. Der Look erinnert an Bilder aus Fashion Magazinen, die zum Leben erweckt werden. Unglaublich schöne Frauen in außergewöhnlichen Looks, mal glamourös, mal ganz simpel inszeniert. Zitate werden in Animationen in grellen Farben untermalt, in ihrer Intensität verstärkt.

Die Lebensrealitäten von Schwarzen trans Frauen spielen für die meisten von uns (weiße Mehrheitsgesellschaft) keine Rolle. Grund dafür ist die fehlende Repräsentation in gesellschaftlichen Strukturen, Politik sowie Popkultur. Ihnen wird kein Gehör geschenkt und Geschichten werden nicht erzählt. Demnach ist der Umgang mit trans Menschen in einem großen Ungleichgewicht. Unwissenheit, Passivität und fehlende Annäherungen führen dazu, dass über sie und nicht mit ihnen gesprochen wird. Daraus resultieren katastrophale Lebensrealitäten wie Ausschluss gesellschaftlicher Strukturen, Diskriminierung und Rassismus.

Daniella, Koko Da Doll, Liyah und Dominique sprechen in Kokomo City unter anderem über die Abhängigkeit von Männern, denen sie ausgeliefert sind. Als Sexarbeiterinnen werden sie ausgebeutet und fetischisiert, gleichzeitig aber als Partnerinnen nicht akzeptiert. Ein gängiges Bild, das auch einige Männer, die in Kokomo City zu Wort kommen, bestätigen. Männer sehen Sex mit trans Frauen als erotisches Abenteuer oder Fetisch an, aber können nicht den Respekt aufbringen, solche als ebenbürtige Frau zu akzeptieren, mit der man eine Beziehung eingehen könnte. Des Weiteren sprechen sie über ihre Einsamkeit in der Gesellschaft an sich.

Viele haben keinen Kontakt zu ihren Familien, keine Chancen außerhalb von Sexarbeit Geld zu verdienen und sehen sich mit ihrem Schicksal isoliert. In ihrer Kindheit gab es keine Vorbilder. Sie haben nicht gelernt, dass es ok ist, trans zu sein. Es ist bemerkenswert, wie ehrlich und selbstsicher die vier Frauen über ihr Leben sprechen können. Durch die Schilderungen lernt das Publikum. Die Zuschauenden bekommen einen Einblick, folgen den Gedanken und befinden sich auf einmal auf Augenhöhe mit den vier Frauen. Alles still und nur sie haben das Wort.

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Die amerikanische Regisseurin Lizzie Borden blickte in ihrem Film Working Girls (1986) auf die Strukturen eines Arbeitsalltags von Sexarbeiterinnen. Die Darstellung ist dabei sehr unverblümt und realistisch und zeigt das Bordell als einen Arbeitsplatz, der genauso langweilig und unattraktiv ist wie jeder andere. In Kokomo City lassen sich viele Anknüpfungspunkte dazu finden und die wichtige Aussage manifestiert sich, dass Sexarbeit einzig und allein Arbeit ist und dahingehend auch gesellschaftlich akzeptiert werden soll.

Regisseurin D. Smith spricht nach der Premiere des Films auf der 73. Berlinale über authentisches Geschichtenerzählen. „Man muss keine Sexarbeiterin sein, um als trans Frau harte Zeiten zu erleben. Im Großen und Ganzen wollen wir, dass wir als Teil der Gesellschaft anerkannt werden.“ Man kann nur darauf hoffen, dass Kokomo City nach Deutschland in die Kinos kommt, in den USA startet er im Sommer 2023.

Kokomo City (2023)

Morgenroutinen und Gespräche im Bett, Gossip und Real Talk. In Begegnungen und Interviews porträtiert D. Smith vier Schwarze trans* Sexarbeiterinnen in New York und Georgia. Ungeschönt und lustvoll erzählen die Protagonistinnen aus ihrem Leben. Dabei entstehen tiefgehende und leidenschaftliche Gespräche über gesellschaftspolitische und soziale Realitäten sowie scharfe Analysen und Reflexionen über Zugehörigkeit und Identität innerhalb der Schwarzen Community und darüber hinaus. In eindringlichen Schwarz-Weiß-Bildern und mit einem gezielt eingesetzten Soundtrack fügen sich Inszenierungen und Re-Inszenierungen, performative Interventionen und assoziative Collagen biografischer Versatzstücke organisch zusammen. Offen werden Träume und Erinnerungen, ausgefochtene Kämpfe und überwundene Krisen thematisiert, ohne Prekaritäten und Gewalterfahrungen auszusparen. Die Protagonistinnen teilen ihre Erfahrungen in Beziehungen zu Lovern, Freund*innen und Familien, die durch Tabus, Fetischisierung, aber auch durch das eigene Begehren geprägt sind. Das lebendige Porträt gibt ihren widerständigen Erzählungen ungefiltert Raum und hebelt weiße, cis-heteronormative Setzungen und Stigmatisierungen aus.

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