The Revenant - Der Rückkehrer (2015)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Dead Man (Walking)

Bei Superlativen ist Vorsicht geboten, zumal das Filmjahr noch jung ist. Doch Alejandro González Iñárritu gelingt das Kunststück, nach seinem Kritikerliebling Birdman ein weiteres Meisterwerk nachzulegen. Für The Revenant – Der Rückkehrer hat der Mexikaner die Enge eines Theaters gegen die Weite der Wildnis getauscht. Statt Dialogwitz herrscht Stille. Dieser blutgetränkte Prä-Western mit einem fulminant aufspielenden Leonardo DiCaprio gehört zum Besten, was 2016 zu sehen sein wird.

Ein Bach schlängelt sich durch einen Wald, funkelt in der Morgensonne. Drei Männer waten vorsichtig durchs Wasser. Der Erfahrenste unter ihnen, Hugh Glass (Leonardo DiCaprio), legt seine Büchse an und nimmt einen Hirsch ins Visier. Sein Schuss macht der Idylle ein Ende. Wenige Meter entfernt taumelt ein Nackter ins Lager der Fell- und Pelzjäger, zu denen auch Glass und sein Sohn, das Halbblut Hawk (Forrest Goodluck), gehören – und wir sind mitten drin in einem Angriff. Pfeile füllen den Himmel, Beile wirbeln durch die Luft, Trapper gehen blutüberströmt zu Boden. In vollem Lauf springen wir zu einem Indianer aufs Pferd, stürzen mit dem tödlich Getroffenen in den Dreck, rappeln uns auf, flüchten schließlich mit den Trappern auf ein Boot und gleiten den trüben Fluss hinab. Eine Überdosis Immersion, wie sie selbst Superheldenfilme trotz oder gerade wegen ihrer Materialschlachten nicht verabreichen. The Revenant ist das Gegenteil: aufs Wesentliche reduziert und dadurch umso wirkungsvoller.

Glass rät, das Boot aufzugeben und die Felle am Ufer zu verstecken. Der Captain (Domhnall Gleeson) setzt auf dessen Erfahrung. Jahrelang hat der Fährtenleser mit den Indianern zusammengelebt, von ihnen gelernt. Doch nicht alle sind mit der Entscheidung einverstanden. John Fitzgerald (Tom Hardy) fürchtet um seinen Lohn. Als kurze Zeit später ein Grizzly unversehens aus dem Dickicht bricht und Glass halbtot beißt, tut sich für Fitz eine Chance auf. Um seine Börse aufzubessern, bleibt er gemeinsam mit Hawk und dem blutjungen Bridger (Will Poulter) beim Todgeweihten zurück. Doch statt auf Glass‘ Ableben zu warten, legt Fitz selbst Hand an. Als Hawk seinem Vater zu Hilfe eilt, bringt Fitz ihn um. Glass schaut machtlos zu, bevor Fitz ihn lebendig verscharrt. Doch der Gedanke an Vergeltung treibt ihn aus dem Grab und über Hunderte Kilometer hinweg durch den hereinbrechenden Winter.

Alejandro González Iñárritu hat seinem Film jenseits der Zivilisation angesiedelt. Die Vereinigten Staaten sind erst wenige Jahrzehnte jung, die Ureinwohner noch nicht vertrieben, die Natur noch nicht dem Kapital unterworfen. Dass diese raue Rachefantasie in Teilen auf wahren Begebenheiten beruht, ist nebensächlich. Iñárritus künstlerische Vision ist entscheidend. Er entwirft einen pechschwarzen Prä-Western voller Archetypen, wie sie das Genrekino liebt. Seine Protagonisten sind zwei Verwundete, die einander abstoßen und dennoch anziehen. Hier der naturverbundene Glass, der mit den Ureinwohnern in Frieden lebt und mit seiner Umgebung verschmilzt, auf seinen Streifzügen durch die Wälder in seinem Pelzmantel selbst wie ein Bär ausschaut. Dort der profitorientierte Indianerhasser Fitz, der mit der Natur sein Geld verdient: ein dunkler Vorbote des weißen Mannes und seines Kapitals.

The Revenant wirkt wie die Antithese zu Iñárritus frühen Filmen. Wo Amores perros (2000), 21 Gramm (2003) und Babel (2006) durch verschlungene Erzählstränge, eine Fülle an Figuren und Sprachen das Verständnis erschwerten, ist The Revenant glasklar. Hier gibt es nur eine Richtung: vorwärts. Wir folgen dem Helden aus dem Grab, erleben seine Heilung, Wandlung und Wiedergeburt. Iñárritu gelingt es, dem Genre noch neue, überwältigende Bilder abzutrotzen. Über weite Strecken fällt dabei kein einziges Wort. Dann sind wir in der Dunkelheit des Lichtspielhauses ganz allein mit dem Helden und der Wildnis. Abenteuerkino in seiner reinsten Form. Dieser Überlebenskampf ist auch ein Prozess der Zivilisation. Ans Ufer angeschwemmt kriecht Hugh Glass übers Land, richtet sich mühsam auf, geht erst auf einen Stock gebückt, bevor er schließlich wieder auf einem Pferd sitzen kann. Sein Antrieb ist ein Relikt seiner alten Persönlichkeit. Am Ende, nach einem furiosen, ebenso ausgeklügelten wie körperbetonten Showdown, hat er auch dieses hinter sich gelassen.

Mit diesem Film wirkt Iñárritu wie der Antipode eines anderen Regisseurs: Terrence Malick. Auch Iñárritu entfesselt die Kamera. Statt über von Menschenhand geformte, glitzernde Oberflächen gleitet sie bei ihm jedoch über unberührte Natur. Und auch bei Iñárritu geht es um ähnliche Themen: um ein angespanntes Vater-Sohn-Verhältnis, um Liebe, Hass, Tod, Spiritualität und Transzendenz. Doch statt die Frage nach den letzten Dingen in schwülstigen Monologen zu ertränken, lässt Iñárritu seine Bilder für sich selbst sprechen. Es sind dreckige, rohe Bilder, die mehr als einmal mit Schlamm, Blut oder Dampf die Leinwand besudeln. Und dennoch ist die Natur aus der sicheren Entfernung des Kinosessels betrachtet unendlich schön. Wer sich wie Hugh Glass und John Fitzgerald in sie hinauswagt, gelangt jedoch schnell an die Grenzen der eigenen Endlichkeit. Alejandro González Iñárritu ist mit seiner Kunst hoffentlich noch lange nicht am Ende.
 

The Revenant - Der Rückkehrer (2015)

Bei Superlativen ist Vorsicht geboten, zumal das Filmjahr noch jung ist. Doch Alejandro González Iñárritu gelingt das Kunststück, nach seinem Kritikerliebling „Birdman“ ein weiteres Meisterwerk nachzulegen. Für „The Revenant – Der Rückkehrer“ hat der Mexikaner die Enge eines Theaters gegen die Weite der Wildnis getauscht.

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Meinungen

Martin Zopick · 07.03.2022

Chapeau vor Leonardo diCaprio, der seinen Körper in dieser Rolle über die Maßen geschunden hat. (Oscar!)
Dieser inhaltlich prall gefüllte Western enthält ein marginales Vater – Sohn Drama, in dessen Verlauf auch die indianische Mutter (Grace Dove) ihr Leben verliert. Der Trapper Hugh Glass (Leo) verdient seinen Lebensunterhalt Anfang des 19. Jahrhunderts in den Rocky Mountains.
Mit einer Gruppe von Trappern versucht er sich zu einem Fort durchzuschlagen und wird tödlich verwundet.
Unterwegs erlebt Hugh Feindschaft von Fitzgerald (Tom Hardy), aber auch Hilfsbereitschaft (von Indianern). Unter den gewinnorientierten Trappern gibt es wenig Solidarität. Der Kampf gegen die übermächtige winterliche Natur scheint fast verloren. Die Trapper lassen den halbtoten Hugh allein zurück. Mehrere Höhepunkte verdeutlichen Leos Leidensfähigkeit: der Kampf mit einem Bären, der ihn fast zerfetzt hätte, sowie ein Sprung auf einem Pferd in einen Abgrund und der Schlaf in einem warmen Pferdekadaver, der ihn vor dem Erfrieren rettet. Als eine Expedition nach Hugh und seinem Widersacher Fitzgerald sucht, entwickelt sich der Plot zum Krimi. Hugh hatte die Hochachtung der Indianer erworben, nachdem er ihre Häuptlingstochter Powaqa (Melaw Nakek’o) vor einer Massenvergewaltigung rettet.
Der finale Zweikampf zwischen Hugh und Fitzgerald bildet den krönenden Abschluss dieses Ausnahmewesterns.

Heinz · 19.05.2016

Möchte mich Sacha anschließen: hervorragende Kritik (endlich einmal). Mit einem Unterschied: ich war mitgerissen.

Sascha · 12.02.2016

Die Kritik von Ralf Reck ist perfekt.
Für Kurzleser: sensationelle Bilder bzw Kameraführung, aber dennoch war ich nie so richtig mitgerissen.

Ralf Reck · 11.01.2016

Dieser Film wird hoch gehandelt, also waren die Erwartungen groß. Sie wurden nicht enttäuscht, aber die Empathie mit den Filmfiguren blieb begrenzt. Der Hauptdarsteller Leonardo di Caprio (Filmfigur Hugh Glass) ist weitestgehend zum wortlosen Leiden verdammt, etwas differenzierter darf sich sich sein Gegenspieler Tom H. (Filmfigur J. Fitzgerald) ausdrücken (beim Schlusskampf im Schnee sind beide völlig zerzauselt, blutüberströmt und kaum noch voneinander zu unterscheiden). Dreiviertel der Zeit des Films sieht man di Caprio beim Leiden zu: Er wird von einem Bären angefallen und übel zugerichtet, wird lebend begraben (fast), überlebt den Sturz in einem Wasserfall, fällt einen hohen Abhang herunter, den zwar er, aber nicht sein Pferd überlebt und quält sich mit dem Essen von Innereien. Wölfe waren auch noch zu sehen (die einen Bison angriffen), behelligten ihn zum Glück aber nicht. Iñárritu wollte offenbar autentisch sein und auf der Basis einer wahren Geschichte möglichst genau, fast dokumentarisch die Qualen des Pelztierjägers Hugh Glass schildern, der sich 1823 nach einer Bärenattacke allein über 100 Meilen zum Fort Kiowa in South Dakota/USA durchschlug. Was sagt uns das? Vor allem eins, dass man trotz schwerster Verwundungen und ohne adäquate medizinische Hilfe durchaus gesunden oder, ständig von eiskaltem Wasser durchnässt, von einer Lungenentzündung verschont bleiben kann. DiCaprio hat sich viel zugemutet, man glaubt es jetzt, denn wir haben es im Film haargenau und klitzeklein abgefilmt gesehen. Ob das aber unter schauspielerischen Aspekten wirklich so herausragend ist, um seine hochrangigen Leistungen in vielen anderen Filmen in den Schatten zu stellen, möchte ich bezweifeln.

Die Landschaftsfotographie (Emmanuel Lubetzki) in dem Film ist hervorragend. Gefilmt wurde in Montana/USA, weitgehend aber in Alberta/Kanada und im offenbar schneesichereren Feuerland/Argentinien. Schon allein deswegen lohnt sich der Film. Die Einbindung der Handlung in die Landschaft (oder umgekehrt), im Sinne einer sich ergänzenden emotionalen Erfahrung, wie es J. Ford mit seinen Monument Valley-Western gelang, bleibt in meinen Augen aber zu schwach, um dem Film eine größere transzendentale Spannung und damit mehr Tiefe zu geben. Von Ford hat sich Iñárritu manches Narrative abgeschaut, er zeigt z. B. einen Indianerhäuptling, der während des ganzen Films seine Tochter sucht (und mit dem sich die Wege des Pelztierjägers Hugh Glass mehrfach kreuzen), ähnlich wie Ethan Edwards (J. Wayne), der sich über Jahre auf die Suche nach seiner Nichte macht („The Searchers“). Insgesamt besteht viel Ähnlichkeit mit Mel Gibsons Film „Passion Christi“, auch dort reichte der blutige Detaillismus nicht aus, um den Film in den Rang eines wirklichen Meisterwerks zu erheben (was J. Ford, ohne blutige Details, mit seinen Western mehrfach gelang). 7/10 Punkten.

Hartmut T. · 07.01.2016

(M)Ein klarer Oscar-Favorit nicht nur für Film/Regie/Kamera/Schnitt, außerdem als VFX-Konkurrenz zu Star Wars, und auch schauspielerisch zu Danish Girl. Der erste Film, der es wirklich verdient hätte, in 3D gedreht zu werden.