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Zur Eröffnung der Berlinale ein Film über das Kino, das ist zumindest eine für diesen notorisch schwierigen Programmplatz gelungene Wahl. Davon abgesehen bleibt François Ozons Fassbinder-Hommage Peter von Kant aber so beliebig wie viele andere Eröffnungsfilme zuvor.

Peter von Kant (2022)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Ein wankendes Gebirge der Einsamkeit

Zur Eröffnung der Berlinale ein Film über das Kino, das ist zumindest eine für diesen notorisch schwierigen Programmplatz gelungene Wahl. Davon abgesehen bleibt François Ozons Fassbinder-Hommage „Peter von Kant“ aber so beliebig wie viele andere Eröffnungsfilme zuvor.
„Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (1971/1972) ist einer der großen Stoffe des überlebensgroßen Künstlers Rainer Werner Fassbinder, dessen Schaffenswut und Leidenschaften geradezu sagenhaften Charakter angenommen haben. François Ozons Hommage „Peter von Kant“ will nicht nur Petra von Kant, die melodramatische Heldin Fassbinders, würdigen, sondern zugleich dem Regisseur, Schriftsteller, Genie selbst ein Denkmal setzen. Beide Figuren fließen in Ozons freier Adaption ineinander und werden zur Parodie.

Was macht Ozon aus der Vorlage und den Figuren Fassbinders? Wer entsteht hier zwischen Erinnerung, Hommage und Fiktion als Peter von Kant, der so mit aller Gewalt von Denis Ménochet gespielt wird? Schattiert von seinem bis zum Verschwinden dezenten und schmachtenden Diener Karl (Stéfan Crépon) wankt Peter von Kant, liebend, leidend, schreiend, saufend durch sein Kölner Atelier. Der große Regisseur ist über seinen Zenit, aber seine alte Liebe und enge Freundin Sidonie (Isabelle Adjani) stellt ihm eine neue Muse vor: Amir (Khalil Gharbia) ist jung und schön. Er ist perfekt als Objekt der unersättlichen Begierde, geliebt und verehrt zu werden. Doch Amir betrügt Peter, er verletzt und verspottet seinen Gönner und Liebhaber, er verlässt ihn schließlich und macht seine eigene Karriere als Star. Es bleibt nichts zurück für den immer größer wuchernden Peter von Kant, außer bodenlosem Alkohol und einer grenzenlosen Sucht nach Zerstörung, die auch seine Mutter (Hanna Schygulla), seine Tochter (Aminthe Audiard) und schließlich seinen treuen, letzten Begleiter Karl trifft.

Aufschlussreich sind an Ozons Film vor allem „Die bitteren Tränen“, die der Titel in der Adaption zurücklässt. Nicht zufällig natürlich: Peter von Kant interessiert sich nicht für die volle Bitternis der Verlassenheit, die Fassbinder bis in die letzte, hässliche Ecke ausleuchtet. Die Hommage arbeitet sich als mit der eigenen Ehrfurcht ringende Gegenerfindung an der Undurchsichtigkeit eines selbst zur Figur gewordenen Regisseurs ab, der das europäische Autorenkino wie wenige neben ihm geprägt hat. Ohne die Fallhöhe einer wirklich unter die Haut gehenden Verletztheit und Boshaftigkeit ergibt sich allerdings ein Film, dessen zentrales Gravitationszentrum stellenweise zu einer bloß witzigen Figur zu werden droht, die in der tänzelnden Leichtigkeit einer Inszenierung untergeht, die sich nicht so recht entscheidet, ob sie Bild eines zerstörten Menschen, oder augenzwinkernde, gewitzte Reflexion auf Macht und Missbrauch sein will.

Es ist nicht wichtig, ob der Film dabei seiner inhaltlichen oder historischen Vorlage ‚angemessen‘ ist, ob er also irgendwie ‚richtig‘ mit Fassbinder und dessen Werk umgeht. Peter von Kant mag erfüllt sein von Verweisen und Referenzen, deren deutlichste das Wiederauftreten Hanna Schygullas oder die Einrichtung voller Spiegel und ausufernder Teppiche sind. Das alles tritt aber zurück hinter einer Inszenierung, die sich bei allem Andenken auch selbst behaupten muss. Ozon mäandert zwischen der Anlehnung etwa an die komplexen und strengen Bildkompositionen Fassbinders und einer von dieser Strenge abgelösten Nähe zum Körper Peter von Kants, der schwitzend, zitternd, weinend in überwältigender Wucht die Bilder dominiert.

Das Pathos des Melodrams wird in diesem Wechsel immer wieder vom durchaus sehr effizient getakteten Rhythmus einer Komödie unterbrochen: Die brillant gespielten Blicke Karls kommentieren das Gebaren des Leidenden, das aus dieser Distanz betrachtet albern wird. Das nimmt nicht nur Peter von Kant ebenjene innere Größe, die ihn zu Fall bringen könnte, es verunklart auch das tiefe und bedingungslose Begehren, von dem Karl in anderen Momenten mit allen Fasern seines Körpers ergriffen scheint. Mehr noch: Der Film verweigert damit vor allem eine Haltung, die er spätestens dann bräuchte, wenn es um die Strukturen der Ausnutzung geht, von denen Peter von Kant zehrt. Auch hier geht es nicht darum, dass Ozons Film sich dem Vergleich mit Fassbinders Vorlage aussetzen müsste. Das würde Peter von Kant fälschlich in die Position einer bloßen Nachahmung versetzen, von der sich der Film ausdrücklich genug distanziert. Aber er will eben doch mehr sein als nur spaßiges Erinnerungskino und den unendlich tiefen und schmerzhaften Sturz selbst ernstnehmen, und zudem über den Machtmissbrauch nachdenken, um den alles in diesem Film kreist. Doch spätesten daran scheitert Peter von Kant in seiner eigenen Unentschlossenheit.

Es retten den Film stellenweise die überragenden Leistungen seiner Darsteller*innen, die jede*r für sich ein Stück dieser fehlenden Abgründigkeit in den Film zurücktragen. Wenn Peter von Kant im tiefblauen Mondlicht für sich allein tanzt, plötzlich federleicht, um im nächsten Augenblick wieder zu einem zerstörerischen Gebirge zu werden, oder wenn Karl das ganze Bild aufzuzehren scheint in unerwiderter Liebe, wenn Sidonie und mit ihr und ihrer Darstellerin Isabelle Adjani der ganze Film zu zersplittern drohen – dann gibt es etwas in Peter von Kant, das völlig für sich, ganz allein und unabhängig von allem anderen funktioniert. Möglicherweise ist gerade das dann die Stärke des Films: nur in den kleinen, funkelnden Momenten einsamer Sterne wirklich zu existieren. Vielleicht hätte Fassbinder dieser schiefe Film über große Diven gefallen, wer weiß.

 

Peter von Kant (2022)

Peter von Kant„ ist eine freie Interpretation von Rainer Werner Fassbinders Meisterwerk „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (1972). Indem er die Figur der Petra zu einem Mann und Filmemacher macht, zollt François Ozon nicht nur dem Originalfilm Tribut, sondern auch Fassbinder selbst. Dabei liefert er zugleich mit seiner typischen Ironie ein sehr persönliches, spielerisches Selbstporträt.

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Meinungen

Matthias Brunner · 18.01.2022

Es gibt kaum ein Film in diesem Frühjahr, auf den ich so gespannt bin wie Ozons "PETER VON KANT"... François Ozon hat mich noch nie enttäuscht!