Mitten im Sturm

Eine Filmkritik von Lida Bach

Waisen im Sturm

Nicht nur wer den Wind sät, alle müssen sich dem Sturm der Zeit beugen. Unbarmherzig weht er Evgenia (Emily Watson) ins Gesicht. Die beherrschte Literatin, die stets der Parteidoktrin folgte, steht plötzlich im Zentrum eines politischen Orkans: Within the Whirlwind. Der Originaltitel von Marleen Gorris historischem Drama evoziert mit fast lautmalerischer Klangfarbe den Malstrom aus Anschuldigungen und Verleumdung, in dem sich Evgenia Ginzburg wiederfindet. Nach wahren Begebenheiten inszeniert die Oscar-gekrönte Regisseurin die Geschichte der russischen Schriftstellerin, deren Hauptwerk ihre zermürbende Lagerhaft im Gulag beschreibt, und wagt sich mit Mitten im Sturm an ein ebenso verstörendes wie vernachlässigtes Filmthema.
Bedrückende Düsterkeit liegt über den Bildern, in denen Gorris eines der finstersten Kapitel der Sowjetgeschichte auferstehen lässt. Finster und kalt stehen die desolaten Hütten, die sich an den zugefrorenen Boden drücken. Ihre Fenster sind gespenstische Augenhöhlen, schneeblind von der endlosen Eiswüste, leer wie die Augen der Gefangenen. Abgestumpft durch den täglichen Überlebenskampf sind sie zu Gefühlskälte ebenso fähig wie zu überraschender Hilfsbereitschaft. Kinder, Zuhause und ihre Hoffnung muss Evgenia zurücklassen, bevor sie den Hauptschauplatz von Mitten im Sturm betritt: den Gulag. In Within the Whirlwind, dem zweiten Teil ihrer Memoiren, schildert die zu Handlungsbeginn 33-jährige Evgenia Ginzburg ihre ein Jahrzehnt währende Inhaftierung in einem sowjetischen Arbeitslager. Nach der Ermordung des Politbüro-Mitglieds Sergej Kirov im Jahre 1934 fällt die überzeugte Kommunistin und Ehefrau eines Parteimitglieds den stalinistischen Säuberungsaktionen in der Sowjetunion zum Opfer. „Wenn es dich triff, kann es jeden treffen.“, umschreibt ein Bekannter ihr gegenüber die erstickende Atmosphäre von Angst und Auslieferung, die nicht nur Nebeneffekt, sondern Mitzweck der falschen Anklagen und willkürlichen Verhaftungen waren, die neben tausenden anderen auch über Ginzburg hereinbrechen.

Die Ruhe der strengen, ausgebleichten Szenen im ersten der beide Handlungsteile ist trügerisch. Es ist die unheilvolle Stille vor dem Sturm, der sich über dem erfüllten Familienleben der Universitätsprofessorin mit dem staatlichen Terror zusammenbraut. Der im mehrdeutigen Titel beschworene Sturm ist für die Hauptfigur auch ein emotionaler. In Ginzburg toben Fassungslosigkeit, Unglaube und Verzweiflung, während die perfiden Mechanismen des Gerichtes sie zermahlen. Der Schauprozess, der an Evgenia in der bleiernen Atmosphäre wuchtiger Staatsbauten exerziert wird, gewinnt fast kafkaeske Züge. Kongenial vermitteln die drückenden Szenen die Hilflosigkeit des Individuums gegenüber einem übermächtigen Staatsapparat. Ausgerechnet die gewissenhafte und mitunter naive Parteigängerin Evgenia trotzt diesem nun mit ihrer Weigerung, sich selbst oder andere zu denunzieren. Die quälend lange Verhandlungsszene, mit der Gorris den ersten Teil ihres filmischen Zweiakters beschließt, beschwört das in Ginzburgs Werk zentrale Motiv der Uhr: Jede Sekunde tickt eines von Evgenias früheren gesellschaftlichen Privilegien fort. Bis ihre Zeit abgelaufen ist. Was bleibt ist das vom Weiß der sibirischen Schneelandschaft symbolisierte Nichts: der Gulag.

Der radikale Schnitt, der die Handlung teilt, spaltet auch die Inszenierung. Das Grauen der Lager mit dem notwendigen Realismus zu zeigen, scheut Mitten im Sturm, der vom Drama schleichend zum Melodram herabsinkt. Ein Air pathetischen Heroismus“ umweht das Leiden Evgenias, der die Liebe in Zeiten des Schreckens neuen Lebenswillen schenkt. „Whirlwind“ bezeichnet auch eine Romanze. Eine solche erlebt Evgenia mit dem deutschen Arzt Anton (Ulrich Tukur), der sie physisch und seelisch zu neuer Lebenskraft pflegt. Die andere Liebe ist Evgenias Liebe zur Poesie. So nuanciert das Spiel Watsons und Tukurs auch ist, bleiben Arten von Hingabe dennoch nur behauptet. Die romantische Sentiment, das die eisigen Baracken erwärmt, wirkt artifiziell und aufgesetzt, wie die Rezitationen von Ginzburgs Lyrik. Das literarische Werk der Hauptfigur bleibt einzigartig als das künstlerische Zeichen von Charakterstärke und Leid, welches der Film nur bruchstückhaft zu setzten vermag.

Mitten im Sturm

Nicht nur wer den Wind sät, alle müssen sich dem Sturm der Zeit beugen. Unbarmherzig weht er Evgenia (Emily Watson) ins Gesicht. Die beherrschte Literatin, die stets der Parteidoktrin folgte, steht plötzlich im Zentrum eines politischen Orkans: „Within the Whirlwind“. Der Originaltitel von Marleen Gorris historischem Drama evoziert mit fast lautmalerischer Klangfarbe den Malstrom aus Anschuldigungen und Verleumdung, in dem sich Evgenia Ginzburg wiederfindet.
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