Die feinen Unterschiede

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Von den Grenzen der Elternschaft

Die Pubertät ist für Jugendliche wie auch für ihre Eltern eine unangenehme Phase. Grenzen werden ausgelotet, Regeln neu verhandelt. Die elterliche Erziehung wankt auf dem schmalen Grad zwischen Freiraum für individuelle Entfaltung und Kontrolle zur Prävention mittlerer Katastrophen, die aber natürlich so oder so eintreten. Die feinen Unterschiede erzählt davon, wie unterschiedlich dieser Prozess durchlaufen werden kann.
Der erfolgreiche Fertilitätsspezialist Sebastian (Wolfram Koch) muss sich auf Grund des Auslandsaufenthalts seiner geschiedenen Ehefrau für ein paar Monate um den gemeinsamen Sohn Arthur (Leonhard Bruckmann) kümmern. Dass dieser aus allen Poren pubertiert und auf die Erziehungsversuche seines Vaters nur mit einem müden Lächeln reagiert, stört Sebastian nicht weiter. Sein Verantwortungsgefühl für den Sohn hält sich in Grenzen. Und so macht er sich auch keinerlei Sorgen, als Arthur nach einer nächtlichen Kneipentour nicht nach Hause kommt. Ganz anders ergeht es der bulgarischen Putzfrau Jana (Bettina Stucky), deren Tochter Vera (Silvia Petkova) diesen Abend mit Arthur verbringt und ebenso wenig den Weg ins heimische Bett findet. Sebastian bleibt nicht anderes übrig, als dem Drängen der hysterischen Mutter nachzugeben und nach den Kindern zu suchen.

Es ist auffällig, dass der wohlsituierte Sebastian schon vor dem Verschwinden der beiden Kinder mit seiner Putzfrau auf einer ungewöhnlich gleichberechtigten Ebene kommuniziert. Auch dass Vera, die selbst im Haus der Familie Putzaufgaben übernimmt, mit dem Sohn aus gutem Hause um die Häuser zieht, ist eher ungewöhnlich. Insofern kann der Zuschauer Janas Entrüstung nicht so ganz teilen, wenn sie auf dem Höhepunkt der Ereignisse Sebastian angreift, er würde sie stets von oben herab behandeln. Dass der stadtbekannte Arzt, der sogar im Fernsehen auftritt, alles stehen und liegen lässt, um seiner aufgebrachten Putzfrau zu Hilfe zu eilen, kann ebenso wenig überzeugen. Und so fällt es schwer, sich auf die Geschichte einzulassen, obwohl die Schauspieler, allen voran Bettina Stucky, ihre Rollen glaubwürdig ausfüllen.

Das zweite Problem von Sylvie Michels Regiedebüt ist die fehlende Spannung. Da das Publikum die Geschichte aus der Perspektive von Sebastian erlebt, der sich durch die Ereignisse kaum aus der Ruhe bringen lässt, entsteht kein düsterer Verdacht, den Kindern könnte etwas zugestoßen sein. Vielmehr wirkt Janas starke Reaktion übertrieben, um nicht zu sagen nervig. Ein weiterer Grund dafür, dass die Suche nach den Kindern keine große Dynamik entfaltet, ist das Setting. Die Handlung spielt fast ausschließlich in Innenräumen. Insbesondere zu Beginn erinnert die lange Sequenz in Sebastians Haus an ein Kammerspiel. Sicherlich war hier auch das Budget bei der Wahl der Spielorte ausschlaggebend, doch krankt das Konzept nicht unbedingt an der Tatsache, dass sich die Figuren kaum unter freiem Himmel aufhalten, sondern eher an der kühlen und optisch unattraktiven Ausstattung der Schauplätze. Sebastians moderne Einrichtung unterscheidet sich in der Atmosphäre nur rudimentär von den Praxisräumen der Fertilitätsklinik.

Es ist aber längst nicht alles schlecht an Die feinen Unterschiede. Die Charaktere sind liebenswert und für sich genommen glaubwürdig konstruiert. Vor allem Jana kann durch Bettina Stuckys Schauspiel große Sympathie erzeugen. Der Konflikt zwischen Sebastian und Arthur wirkt sehr authentisch. Indem sich der Zuschauer in der einen oder anderen Rolle wiedererkennen kann, entfalten diese Passagen auch einen intelligenten Humor. Das Thema der Geschichte, die Frage nach den Aufgaben und Grenzen der Elternschaft, wird auf verschiedenen Ebenen vermittelt und hat das Potential, die Zuschauer zum Nachdenken anzuregen. Dabei hätte es die kulturelle Divergenz zwischen den beiden Hauptfiguren gar nicht gebraucht. Unterschiedliche Herangehensweisen an den eigenen Erziehungsauftrag finden sich auch innerhalb eines Kulturraums.

So richtig begeistern kann Die feinen Unterschiede aus den oben genannten Gründen trotzdem nicht. Die kleine Geschichte wird von der großen Leinwand geradezu erschlagen und wäre im Fernsehen vielleicht besser aufgehoben gewesen.

Die feinen Unterschiede

Die Pubertät ist für Jugendliche wie auch für ihre Eltern eine unangenehme Phase. Grenzen werden ausgelotet, Regeln neu verhandelt. Die elterliche Erziehung wankt auf dem schmalen Grad zwischen Freiraum für individuelle Entfaltung und Kontrolle zur Prävention mittlerer Katastrophen, die aber natürlich so oder so eintreten. „Die feinen Unterschiede“ erzählt davon, wie unterschiedlich dieser Prozess durchlaufen werden kann.
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