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Wer leidet mehr unter Gewalt: die Opfer oder die Täter? Auf bedächtige Weise lotet der neue Film von Icíar Bollaín die Auswirkungen von Gewalt, Terror und Mord aus und zeigt, dass Versöhnung wichtig ist. Damit kommt „Maixabel“ zur richtigen Zeit in die deutschen Kinos. 

Maixabel - Eine Geschichte von Liebe, Zorn und Hoffnung (2021)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Die Chance auf Versöhnung

Nachdem sich Pedro Almodóvar erst kürzlich in „Parallele Mütter“ auch mit der spanischen Vergangenheit beschäftigt und mit der Exhumierung von Massengräbern aus dem Spanischen Bürgerkrieg ein lang verschwiegenes Kapitel der Geschichte des Landes thematisiert hat, kümmert sich Icíar Bolláin in ihrem jüngsten Film um den ETA-Terrorismus im Baskenland – und knüpft mit einer ausbalancierten Sicht auf die unterschiedlichen Perspektiven an einen ihrer ersten Filme an.

Maixabel erzählt nämlich nicht nur die – auf realen Begebenheiten basierende – Geschichte der gleichnamigen Protagonistin, Maixabel Lasa, sondern auch die der Gegenseite. Diese wird verkörpert in Ibon Etxezarreta (Luis Tosar), einem langjährigen Anhänger der baskischen Separatistenorganisation „Euskadi Ta Askatasuna“ (ETA). Er ermordet zusammen mit zwei anderen ETA-Mitgliedern im Jahr 2000 den sozialistischen Politiker Juan María Jáuregui, wird verhaftet und verurteilt. Während seiner Haft distanziert er sich nach und nach – wie viele andere – vom Tun der Organisation.

Für Maixabel (Blanca Portillo) und ihre Tochter María (María Cerezuela) ist die Ermordung des Ehemanns und Vaters ein großer Schock – und das Leben ist nicht mehr dasselbe wie zuvor. Besonders María leidet unter dem Verlust ihres Vaters und der Angst um die Mutter. Maixabel dagegen hat, so scheint es, keine Angst – auch wenn am Ende deutlich werden wird: Angst war jahrzehntelang ein großer Teil ihres Alltags, an den sie sich einfach nur gewöhnt hat. Maixabel findet Trost in der Begegnung mit Frauen, die ihre Männer ebenfalls durch den ETA-Terror verloren haben, in ihren Freunden, aber auch in der Arbeit: Nur ein Jahr später wird sie Direktorin der „Oficina de Atención a las Víctimas del Terrorimo“, einer Einrichtung der baskischen Regierung für die Opfer des Terrorismus.

Icíar Bollaín geht es in ihrem Film aber nicht primär um den Lebensweg der Personen oder die Darstellung der historischen Ereignisse, Maixabel ist kein Biopic und wird für diejenigen, die sich nicht mit der Geschichte des Baskenlandes auskennen, nicht immer verständlich sein. Es ist aber auch gar nicht so wichtig, die Historie, die politischen Hintergründe und Kraftverhältnisse während des ETA-Terrorismus zu kennen. Denn der Film setzt vielmehr beim Dialog und bei der Versöhnung zweier gegnerischen Seiten an – die stellvertretend für viele andere Konflikte gelten können. Im Zentrum des Plots steht das Möglichmachen eines persönlichen Treffens zwischen Opfer und Täter, das sowohl den Hinterbliebenen, aber auch denjenigen helfen soll, die eine jahrzehntelange Schuld mit sich herumtragen.

Als Mediatorin Esther (Tamara Canosa) den Insassen des Gefängnisses von der Möglichkeit erzählt, reagieren diese unsicher und verwirrt, verständnislos bis erbost. Nur Luis Carrasco (Urko Olazabal) meldet nach der Vorstellung des Projekts seine Dialogbereitschaft an und wird von Esther in schmerzhaften Sitzungen auf die Begegnung mit der Opferseite vorbereitet. Dass er schließlich die Witwe eines Mannes treffen wird, den er selbst mit umgebracht hat, erwartet Luis aber nicht. Umso heilender ist der Prozess für ihn – aber auch für Maixabel. Als sich auch Ibon dazu entscheidet, sich für ein solches Treffen bereit zu erklären, gibt es die Möglichkeit dazu schon nicht mehr. 

Maixabel konzentriert sich in vielen ruhigen Momenten ganz auf seine Figuren: auf Maixabel und Maria, aber auch auf Luis und vor allem Ibon. In den kargen Gesprächen, vor allem aber in den Gesichtern der Figuren spielt sich die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle ab, die durch Terror und Angst, Überzeugung und Schuld entstehen können. Die Darstellerinnen und Darsteller, allen voran Blanca Portillo und Luis Tosar, zeigen in ihrem beeindruckend feinen Spiel und unterstützt von einer sorgsam geführten Kamera, wie nicht nur die Opfer von Terrorismus oder Krieg unter der Situation leiden, sondern diese sich genauso stark, wenn nicht stärker auf die Täter auswirkt. 

Icíar Bollaín hat schon in Öffne meine Augen ein differenziertes Bild von Gewalt gezeichnet und mit ihrer Perspektive auf Mann (schon damals meisterhaft gespielt von Luis Tosar) und Frau das Thema der häuslichen Gewalt auf die gesellschaftspolitische Agenda gesetzt. In Maixabel gelingt es ihr erneut, die Vielschichtigkeit von Gewalt, Terror und Mord aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass es immer eine Chance auf Versöhnung gibt, dass Dialog, das Sich-Austauschen, das Vergeben und das Sich-Versöhnen immer beiden Seiten helfen werden. Und dass es immer eine Hoffnung gibt. Maixabel ist auch ein Plädoyer für den Frieden – und kommt zur absoluten richtigen Zeit in die deutschen Kinos.

Maixabel - Eine Geschichte von Liebe, Zorn und Hoffnung (2021)

Maixabel Lasa sitzt dem Mörder ihres Ehemannes gegenüber. Ihre Erinnerung an die Vorfälle im Jahr 2000, als ihr Gatte Juan María Jaúregui von Anhängern der baskischen Untergrundorganisation ETA kaltblütig ermordet wurde, ist keine Spur verblasst. Elf Jahre später erreicht Maixabel die unglaubliche Bitte: Einer der inhaftierten Attentäter möchte sie im Gefängnis treffen – und zum Schock ihrer Umgebung willigt Maixabel ein. (Quelle: Zurich Film Festival)

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