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David gegen Goliath mit Mark Ruffalo: „Vergiftete Wahrheit“ rekonstruiert einen sprachlos machenden Umweltskandal und setzt dabei auf eine wohltuend unaufgeregte Herangehensweise, obwohl der brisante Stoff reichlich Erregungspotenzial besitzt.

Vergiftete Wahrheit (2019)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Profit vor Gesundheit

Im Marvel Cinematic Universe gibt Mark Ruffalo den Wissenschaftler Bruce Banner, der sich bei größerer Aufregung in den unberechenbaren Riesen Hulk verwandelt. Bekannt ist der dreifache Oscar-Kandidat aber auch als Charakterdarsteller. Diverse preisgekrönte Filme, darunter die Tatsachendramen „Foxcatcher“ und „Spotlight“, wertete der US-Schauspieler mit seinen nuancierten, angenehm unprätentiösen Performances auf. Seine Fähigkeit, absolut glaubhaft in eine Rolle einzutauchen, stellt er einmal mehr in „Vergiftete Wahrheit“ unter Beweis, einem Film, der in bester klassischer Erzählmanier einen wahren Umweltskandal gigantischen Ausmaßes rekonstruiert.

Ruffalo, dessen Auftreten nicht von Glamour überlagert wird, ist eine denkbar gute Wahl für die auf einem Magazinartikel basierende David-gegen-Goliath-Story, in der er den real existierenden Umweltjuristen Rob Bilott verkörpert. Die von Todd Haynes (Carol) inszenierte Aufarbeitung beginnt nach einem kurzen Prolog im Jahr 1998. Zu einer Zeit, als Bilott gerade in einer großen Wirtschaftskanzlei in Cincinnati zum Partner aufgestiegen ist. Ausgerechnet an ihn, einen Rechtsvertreter mit zahlreichen Kunden aus der Chemiebranche, wendet sich eines Tages der Farmer Wilbur Tennant (Bill Camp), der in der Nähe von Robs Großmutter in der Kleinstadt Parkersburg im Bundesstaat West Virginia lebt. Angeblich sei die von der Deponie des Chemiegiganten DuPont ausgehende Verschmutzung verantwortlich für den Tod seiner Kühe. Tennant wittert einen gewaltigen Skandal. Doch Bilott, der freundlicherweise ein paar Nachforschungen anstellt, will das Ganze eigentlich auf sich beruhen lassen. Da er Zeuge wird, wie eines von Tennants Tieren durchdreht, ringt er sich allerdings dazu durch, die Angelegenheit weiterzuverfolgen. Mit Zustimmung seines Chefs Tom Terp (Tim Robbins) gräbt er tiefer und stößt auf Hinweise, dass DuPont die gesundheitsschädigende Wirkung eines synthetischen Stoffes namens Perfluoroctansäure, kurz PFOA, gezielt verschleiert hat.

Vergiftete Wahrheit handelt von einer ungeheuerlichen Affäre, in der ein Großkonzern Profitstreben systematisch über den Gesundheitsgedanken stellte. Trotz des brisanten, wütend machenden Themas verfallen Regie und Drehbuch aber nicht in hektische Betriebsamkeit. Ruhig und konzentriert entfaltet sich der Erkenntnisgewinn des Protagonisten, der anfangs noch auf der Gegenseite steht. Seine Kanzlei vertritt ausschließlich Firmen, pflegt beste Kontakte in den Chemiesektor und ist damit die denkbar schlechteste Anlaufstelle für den besorgten Tennant. Wie sich Bilott dennoch langsam in den Fall hineinarbeitet, von neuen Spuren angetrieben wird und den Spott seiner Kollegen überhört, zeichnet der Film in der ersten Hälfte ebenso unaufgeregt wie spannend nach. Die unterkühlten, oft leicht blaustichigen Bilder von Kameramann Edward Lachman und Haynes‘ Entscheidung, auf effekthascherische Inszenierungskniffe zu verzichten, sorgen dafür, dass der Fokus nicht verlorengeht. Gerade weil der sich abzeichnende Skandal stark aufwühlenden Charakter hat, ist es klug, ihn mit eher nüchternen Mitteln zu präsentieren.

Um das Publikum aufzurütteln und zu bewegen, reicht es aus, wenn wir sehen, wie der vor existenziellen Fragen stehende Tennant in Bill Camps eindringlicher Darstellung von Angst und Verzweiflung übermannt wird. Gelegentlich eingestreute Szenen zeigen überdies, dass der knorrige Bauer und seine Familie plötzlich als Nestbeschmutzer wahrgenommen werden. DuPont ist der wichtigste Arbeitgeber in Parkersburg und – das illustriert eine Autofahrt Bilotts durch die Stadt – zudem Geldgeber vieler lokaler Einrichtungen. Tennants Aufbegehren passt so manchem Einheimischen nicht in den Kram. Denn die Hand, die einen füttert, beißt man nicht.

Der Versuch, die Haupthandlung und Robs Familienleben mit seiner Ehefrau Sarah (trotz einer kleinen Rolle mit einprägsamen Momenten auffallend: Anne Hathaway) und seinen Kindern zu überblenden, ist durchaus reizvoll. Immerhin deutet sich hier an, dass der Fall für den zum Gerechtigkeitskämpfer avancierenden Juristen mehr und mehr zu einer auch gesundheitlich herausfordernden Obsession wird. Ein Punkt, den man vielleicht noch etwas stärker hätte vertiefen können.

Vergiftete Wahrheit umspannt insgesamt einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren, beschreibt einen zermürbenden, von Verschleppungstaktiken gekennzeichneten Rechtsstreit, den DuPont – das legt der Film zumindest nahe – auch mit kriminellen Einschüchterungsmethoden im Keim ersticken wollte, und muss eine Vielzahl an Personen unter einen Hut bringen. Erzählerische Verknappungen, wie sie vor allem in der zweiten Hälfte ins Auge stechen, sind vor diesem Hintergrund unumgänglich und schmälern den Gesamteindruck nicht. Haynes ist ein präzise konstruiertes, gut gespieltes Tatsachendrama gelungen, das einem aufrechten Anwalt ein Denkmal setzt, ohne ihn zu einem überlebensgroßen Hollywood-Helden zu stilisieren. Ein mulmiges Gefühl dürfte einen spätestens beim Blick auf die kurzen Informationstexte vor dem Abspann beschleichen: Wie sicher können wir sein, dass Dinge, mit denen wir uns im Alltag umgeben, gesundheitlich unbedenklich sind?

Vergiftete Wahrheit (2019)

Basierend auf einer wahren Geschichte erzählt „Vergiftete Wahrheit“ von einem Anwalt, der eine Verbindung zwischen einer Reihe von rätselhaften Todesfällen und einer Chemiefirma entdeckt und dafür kämpft, dass die Öffentlichkeit davon erfährt.
 

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