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Keine Lust auf Rente! Auch im hohen Alter dreht Clint Eastwood fleißig Filme und nimmt sich dieses Mal den Bombenanschlag während der Olympischen Spiele 1996 in Atlanta zur Brust. Wird die Geschichte einer großen Ungerechtigkeit mitreißend nachgezeichnet?

Der Fall Richard Jewell (2019)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Plötzlich Buhmann

Was auch immer man von ihm und seinen konservativen Einstellungen halten mag – die Unbeirrbarkeit, mit der der inzwischen 90-jährige Clint Eastwood selbst im hohen Alter Filme dreht, ist absolut bewundernswert. Das zähe Wesen, das viele der von ihm verkörperten stoischen Leinwandhelden auszeichnet, spiegelt sich offenkundig auch in seiner Regiekarriere wider. Sein neues Werk, das Tatsachendrama „Der Fall Richard Jewell“, handelt vom Bombenanschlag während der Olympischen Spiele 1996 in Atlanta und den damit verbundenen Auswirkungen auf den titelgebenden Security-Bediensteten, der eine unglaubliche Achterbahnfahrt der Gefühle durchlebte.

Richard Jewell (Paul Walter Hauser) – so zeigt es der Film – träumt bereits Mitte der 1980er Jahre von einer Laufbahn im Strafverfolgungssystem. Bei einem Aushilfsjob in einer Anwaltskanzlei lernt er den hemdsärmeligen Juristen Watson Bryant (Sam Rockwell) kennen, der dem korpulenten, etwas tapsigen Mann als Einziger etwas mehr Beachtung schenkt. Als Richard Anfang 1996 aufgrund wiederholter Kompetenzüberschreitungen seine Anstellung als Sicherheitsmann an einer Hochschule verliert, setzt er seine Hoffnungen auf die in Atlanta stattfindenden Sommerspiele, für die umfangreiches Wachpersonal benötigt wird. Jewell arbeitet schließlich am Rande des sportlichen Großereignisses im Centennial Olympic Park, in dem jeden Abend ein von vielen Menschen besuchtes Unterhaltungsprogramm stattfindet.

Bei einer seiner Schichten sticht dem diensteifrigen Aufpasser ein herrenloser Rucksack ins Auge, was er umgehend den anwesenden Polizisten meldet. Auf Richards Drängen hin wird das verdächtige Fundstück genauer begutachtet – und erweist sich als brandgefährlicher Sprengsatz. Noch bevor die Bombe hochgeht, setzen erste kleine Evakuierungsmaßnahmen ein. Obwohl nach der Explosion zwei Tote und über hundert Verletze zu beklagen sind, hat Jewells Aufmerksamkeit eine noch größere Katastrophe verhindert. Der bescheidene, bei seiner Mutter Bobi (Kathy Bates) wohnende Junggeselle wird als Held gefeiert, erlebt aber schon kurz darauf ein böses Erwachen. Denn plötzlich berichtet die Presse, dass das FBI Richard als Täter in Betracht zieht. Nach dem Einsetzen einer Hetzkampagne bittet der Verfolgte seinen alten Bekannten Bryant um Hilfe.

Wahre Geschichten scheinen es Clint Eastwood in den letzten Jahren angetan zu haben. Immer wieder befasst er sich in seinen Filmen mit tatsächlichen Geschehnissen. Und nicht selten nimmt er dabei Menschen in den Blick, die unverhofft zu Alltagshelden avancieren. Der Fall Richard Jewell hat nun eine besonders tragische Note, da ein Außenseiter, der seinen Beruf mit übertriebener Beflissenheit angeht, für sein geistesgegenwärtiges Handeln erst bejubelt und dann öffentlich verteufelt wird. Die klassische Underdog-Erzählung ziehen der Regisseur und Drehbuchautor Billy Ray (Terminator: Dark Fate) wirkungsvoll auf und beschreiben, wie der anfangs viel Verständnis für die fragwürdigen Ermittlungen zeigende Protagonist ganz langsam eine kämpferische Haltung entwickelt.

Die perfiden Winkelzüge des von mehreren realen Vorbildern inspirierten FBI-Beamten Tom Shaw (Jon Hamm) machen den Zuschauer schlichtweg sprachlos. Immer wieder staunt man darüber, wie leichtfertig Polizei und Presse Jewell in das Profil des enttäuschten, verzweifelt um Anerkennung ringenden und daher straffällig werdenden Einzelgängers pressen. Eindeutig entlastende Indizien werden komplett außer Acht gelassen. Täuschungsmanöver sollen Richard in die Knie zwingen. Und ohne Skrupel wird sein Leben auseinandergepflückt. Nicht nur von den Bundesagenten, sondern auch von den vor der Wohnung seiner Mutter lauernden Medienvertretern.

Eastwoods Aufarbeitung veranschaulicht, wie schnell manchmal ein Held vom Sockel gerissen wird und wie einfach das System einen Menschen zugrunde richten kann, dessen Lebenslauf Brüche und schwierige Phasen aufweist. Das emotionale Ausmaß eines solchen Feldzuges bringt die lange Zeit im Hintergrund bleibende Kathy Bates in einer Szene fulminant zum Ausdruck, in der Bobi den Anschuldigungen vor den Augen der Welt entgegentritt.

Der Fall Richard Jewell rekonstruiert die Verfolgung eines Unschuldigen (der wahre Täter wurde Jahre später gefasst) auf durchaus erschütternde Weise, bemüht dabei aber auch einige plumpe, fragwürdige Mittel. Die Figur der real existierenden, bereits 2001 verstorbenen Journalistin Kathy Scruggs (Olivia Wilde) etwa durchläuft eine platte Wandlung. Und noch dazu zeigen die Macher ein pikantes Treffen mit dem fiktiven FBI-Agenten Shaw, bei dem die Pressefrau Sex gegen Informationen zum Stand der Ermittlungen anbietet. Obwohl kein Zweifel daran gelassen wird, wie ungeheuerlich die von Richard erduldeten Ungerechtigkeiten sind, droht der Film, seine Hauptfigur gelegentlich zu diskreditieren. Besonders Jewells tumbes Auftreten während einer Hausdurchsuchung wird ein wenig zu offensiv ins Lächerliche gezogen. Allgemein scheut Eastwood – ähnlich wie in seiner letzten Regiearbeit The Mule – nicht vor billigen Humoreinlagen zurück, die im Kontext der hier skizzierten Geschichte noch mehr irritieren.

Der Fall Richard Jewell (2019)

Richard Jewell, Mitarbeiter einer privaten Wachfirma, rettete bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta auf heldenhafte Weise Tausende von Menschenleben vor einer explodierenden Bombe. Doch später wurde er zu Unrecht von Journalisten und der Presse verunglimpft und beschuldigt, ein Terrorist zu sein.

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