J. Edgar

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Die schwache Seite eines starken Mannes

J. Edgar Hoover ist ein undurchsichtiger Mann: Einerseits tritt er als brillanter Kopf auf, als Workoholic, der sich für sein Lebensprojekt, die Gründung eines Apparats im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, die Nächte um die Ohren schlägt. Anderseits schimmert in seinen Augen immer wieder diese devote, schwache Seite durch — etwa dann, wenn er sich duckmäuserisch und stets jasagend den Weisungen seiner Mutter unterwirft. Dann erspäht man sie: die Schizophrenie. Doch ironischerweise wollte es das Schicksal, dass dieser verklemmte Kerl der Erfinder und (mehr als zwanzig Jahre lang) der Direktor einer der mächtigsten Organisation der Vereinigten Staaten werden sollte: des FBI.
Clint Eastwood erzählt die reale Geschichte dieses innerlich zerrissenen Mannes in dem Biopic J. Edgar mit der Grammatik des Zwiespalts: Der gut ausgebildete, mit sich und Anderen hart ins Gericht gehende FBI-Gründer (Leonardo DiCaprio) wird immer wieder in seinen zwei unterschiedlichen Facetten gezeigt, so als ob die Schizophrenie schon in der filmischen Erzählstruktur angelegt wäre. Denn wir sehen Hoover sprungweise als jungen, agilen, aufstrebenden und kompromisslosen Hüter des Rechts, sozusagen in der besten Phase seines Lebens, und dann als verbissenen, tief frustrierten alten Mann, der die Zeichen der Zeit nicht mehr erkennt.

Das ist gewissermaßen der repititiv erzählte Witz dieses Films; darin steckt die Moral, die sich folgendermaßen anhört: Selbst der klügste Erfinder wird irgendwann überholt und scheitert, wenn seine Erfindung aus der Mode kommt und wie ein altes Auto den Geist aufgibt. Im Falle von J. Edgar Hoover heißt diese Erfindung „Federal Bureau of Investigation“; in der Logik des Erfinders ein Organ zur Kommunistenbekämpfung im eigenen Land. Erst als Waffe gegen Anarchisten und Bolschewisten gedacht, mutiert die Bundesbehörde schrittweise zu einem Apparat gegen die organisierte Kriminalität, gegen Leute wie Al Capone und gegen Verbrechen wie den Schmuggel von Alkohol. Zu Beginn – man kann es kaum glauben – wird die Existenz der Behörde von den entscheidenden Akteuren in Zweifel gezogen, gerade von Politikern, die sich nicht in die Suppe spucken lassen. Die noch zu Gründerzeiten unbewaffneten und im Vergleich zur Polizei nahezu mittellosen FBI-Beamten stehen eher als zahnlose Tiger denn als Helden da. Doch das will Hoover ändern: Durch die Gründung eines nationalen Registers, durch den erstmaligen Einsatz der Forensik und der Involvierung von Wissenschaftlern in das Aufspüren von Kriminellen wird der Mann mit dem perfekt sitzenden Haarschnitt so etwas wie der Erfinder der modernen Verbrecherjagd: auf Hoover geht zum Beispiel das Sammeln von Fingerabdrücken zurück.

Neben der mythologisch konstruierten Gründungsgeschichte, die dem Film J. Edgar viel Raum für spektakuläre Szenen liefert (Kidnappings, Verbrecherjagden, die Aufdeckung von Drogenringen), interessiert sich Clint Eastwood für die Widersprüche dieses schwer zu durchleuchtenden Protagonisten – obwohl: so schwer ist die Sache nicht. Denn Hoovers dumme Versteiftheit und maßlose Untergebenheit hinsichtlich amerikanisch-patriotischer Werte wird etwas wohlfeil und altbekannt in der Beziehung zur Mutter identifiziert. Der Narziss kann weder tanzen, noch sich für Frauen interessieren. Seine Domäne ist ganz klar die Männerwelt. Nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinne: an Hoovers Homosexualität lässt der Film keinen Zweifel.

Daher wird auch der Beziehung zu Hoovers erstem Berater Robert Irwin (Josh Hamilton) soviel Aufmerksamkeit zuteil: Er ist neben der Mutter die einzige Person, für die das kalte Herz Wärme, Zuneigung, ja sogar Liebe empfindet, gerade bei gemeinsamen Ausflügen und zu zweit verbrachten Nächten in kuscheligen Hotels. Eine Liebe, die er sich als erzkonservativer Falke freilich nicht eingestehen kann. Daher ist das Wechselspiel zwischen jungem, aufstrebendem Kriminellenschreck der 20er Jahre und dem alten, verbissenen Behördenleiter der 60er Jahre in den Szenen- und Zeitenwechsel so wichtig: Nur so kann Eastwood die großen unausgesprochenen Geheimnisse dieser rastlosen Existenz thematisieren, die sich zu einem Trauma verdichten.

Entscheidend ist der zweite Teil des Films: hier zeigt sich, dass der starke Mann, der sich das größte Geheimnis nie einzugestehen vermochte, in der Selbstanalyse zu Schwächen und Ungereimtheiten neigt. Wir sehen, wie Hoover einem FBI-Mitarbeiter im ergrauten Alter seine Biographie diktiert – und entscheidende Stellen einfach umdichtet. Das ist der Beweis, dass er es mit der Wirklichkeit nicht so genau nimmt, vor allem nicht kurz vor dem Ende seiner Karriere: Immer noch in antikommunistische Glaubensgrundsätze vernarrt, sieht er seine Feinde nicht mehr in geistesgestörten Verbrechern oder sprengstoffbewaffneten Anarchisten, sondern in friedseligen, für die Gerechtigkeit der Welt kämpfenden Männern wie Martin Luther King. Hier zeigt sich die bodenlose Tragik, die der Film packend darzustellen vermag. Leonardo DiCaprio leistet dabei einen guten, überzeugenden Job, während Clint Eastwood zeitweise zu banalen Tricks und Plattitüden neigt. Was stört, sind die unterkomplexen Erklärungen für die Eigenheiten dieses Charakters, die raffinierter hätten ausfallen können.

Zugegeben: J. Edgar ist kein kluger, kein um die Ecke denkender Film, und auf keinen Fall eines von Eastwoods besten Werken. Aber eine spannende und gerade für den deutschen Zuschauer erhellende Erzählung ist es schon. Eine Erzählung, die uns Nachhilfe erteilt: in amerikanischer Geschichte und in schizophrener Seelenkunde, die zu erschreckenden Erkenntnissen führt.

J. Edgar

J. Edgar Hoover ist ein undurchsichtiger Mann: Einerseits tritt er als brillanter Kopf auf, als Workoholic, der sich für sein Lebensprojekt, die Gründung eines Apparats im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, die Nächte um die Ohren schlägt. Anderseits schimmert in seinen Augen immer wieder diese devote, schwache Seite durch — etwa dann, wenn er sich duckmäuserisch und stets jasagend den Weisungen seiner Mutter unterwirft.
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Meinungen

Bree · 10.01.2012

Gestern in der Sneak gesehen. Wunderbarer Film!
War ja auch nicht anders zu erwarten: Erfahrener Regiesseur, erfahrene Schauspieler.
Dennoch: Ein so brisantes Thema darzustellen, war bestimmt nicht einfach. Denn Homosexualität im Zusammenhang mit hochrangigen US-Posten, ist in den Staaten sicher immernoch eine heikle Sache.
Doch Eastwood und seine Darsteller schaffen es, die Liebe zwischen zwei Männern in einer Weise zu erzählen,
die einfach authentisch wirkt. Nicht immer, aber fast immer. :)
Ein bisschen mehr hätte Eastwood sich meiner Meinung nach zwar schon trauen können, aber die Zurückhaltung passt zu den Charakteren - und sicher auch zum prüden Amerika der 30er Jahre.
Was Eastwood mit einen Schauspielern da schafft, ist eine absolut sensible Charakterstudie. Wer sowas dreht, hat im Leben viel kapiert. Und da sage noch einer, Männer können Gefühle nicht ausdrücken.
BTW: DiCaprio spielt den 70jährigen Hoover grandios!