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„Die Zeit, die wir teilen“ vereint mit Isabelle Huppert und Lars Eidinger zwei grandiose Schauspieler auf der großen Leinwand. Allein das ist es wert, sich den Film anzusehen. Aber der Film von Laurent Larivière erzählt auch eine brillante Geschichte von einer Frau, die sich ihrer Vergangenheit stellt.

Die Zeit, die wir teilen (2022)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Wunsch und Wirklichkeit

Dieser Film überrascht immer wieder – besonders am Ende, aber auch gleich schon zu Beginn, wenn die Hauptfigur ihren Blick in die Kamera wendet und uns Zuschauer:innen direkt anspricht, sich vorstellt und aus ihrem Leben erzählt. Joan Verra fährt im Auto durch die Nacht. Man weiß noch nicht, wohin, aber das ist erst einmal egal – der Blick von Joan zieht einen magisch an, hält einen gefangen, man klebt förmlich an ihren Lippen, hört ihr zu, vertraut und glaubt ihr

Joan (Isabelle Huppert) wurde in den 1960er Jahren geboren. Französische Mutter, irischer Vater und eine leidenschaftliche Liebe hätten sie hervorgebracht. Das Bild wechselt sodann in die Vergangenheit. Es zeigt, wie sich ein weiteres Paar kennenlernt, dieses Mal sind es Joan (in ihren jungen Jahren dargestellt von Freya Mavor) und Doug (Éanna Hardwicke), ihre erste große Liebe, die Spuren und einen Sohn hinterlassen wird.

Durch Zufall hat Joan nun gerade – nach Jahrzehnten das erste Mal wieder – Doug getroffen. Sie ist mittlerweile eine erfolgreiche Verlegerin und hat mit dem exzentrischen Autor Tim Ardenne (Lars Eidinger) einen treuen Begleiter gefunden. Die Begegnung mit Jugendliebe Doug aber wühlt Joan so sehr auf, dass sie Paris verlässt und sich in ihr Landhaus zurückzieht, um dort ihr Leben Revue passieren zu lassen. Die Reise in die Vergangenheit ist emotional, aber auch erkenntnisreich.

Wie beiläufig wechselt der Film zwischen den verschiedenen Zeitebenen, präsentiert Joan mal in der Gegenwart, mal in der nahen, mal in einer weiter entfernten Vergangenheit. Aber immer sind die Szenen natürlich miteinander verbunden, mal durch harte Schnitte, mal durch eine lange Kamerafahrt. Die Zeit, die wir teilen funktioniert wie Gedanken passieren, wie das Nachdenken – über sich selbst, über sein Leben, über das, was passiert ist. Integriert werden auch Wünsche und Vorstellungen, was den Film immer wieder auch ins Surreale rückt. Dass das Nachdenken eine ganz subjektive Sache ist, der Blick auf die Vergangenheit keine objektive Wahrheit, sondern eine persönliche Sichtweise, wird erst allmählich deutlich. Und irgendwann ist man sich nicht mehr ganz so sicher, wie viel man Joan glauben kann, wenn man wissen möchte, was wirklich passiert ist.

Beeindruckend spielt Isabelle Huppert diese zwischen Wirklichkeit und Wünschen zerrissene Frau, die sich mit dem auseinandersetzt, was sie gelebt und erlebt hat. Es sind die kleinen Veränderungen in ihrer Mimik, Nuancen in der Körpersprache, die man wie gebannt verfolgt, um sich einen Reim auf diese Joan zu machen, die aber doch unnahbar bleibt. Das perfekte Gegenstück findet sich in der Figur des extrovertierten Schriftstellers Tim, die Lars Eidinger wie auf den Leib geschrieben ist.

Die beiden bilden ein faszinierendes Paar auf der Leinwand – man mag gar nicht aufhören, ihr gemeinsames Spiel zu verfolgen und zuzusehen, wie sie sich in jeweils schwierigen Phasen begleiten und sich stützen. Jede Figur tut das auf ihre Art – der eine in großen Worten und expressiven Gesten, die andere auf ganz subtile Weise.

Aber auch die Nebenfiguren hat Laurent Larivière ideal besetzt. Besonders Freya Mavor sticht hervor. Sie spielt die junge Joan mit so viel Leidenschaft und Freude, dass man sich über jede Szene freut, in der sie auftaucht. Ebenso überzeugt Swann Arlaud in der Rolle des Nathan Verra. Joan hat ihren Sohn Nathan allein aufgezogen; als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, gingen sie und Doug schon getrennte Wege. Wie auch Tim ist Nathan Joan ein helfender Begleiter, er kommt sie regelmäßig besuchen, kümmert sich um sie, hält ihr aber auch den Spiegel vor.

Es gibt Momente im Leben, die einen aufhorchen lassen und alles in Relation setzen. Die Zeit, die wir teilen nimmt einen solchen Moment zum Anlass, um seine Geschichte über eine Frau zu erzählen, die ihr Leben ordnen muss, aber auch um einmal mehr zu zeigen, wie viel Wirkung und Kraft die Kunstform Kino hat. Laurent Larivière ist ein großartiger Film gelungen, der überrascht, der ikonische Bilder erschafft, der kunstvoll arrangiert und doch so mühelos geschnitten wirkt. Er versucht, das Leben und Lebende zu beschreiben, und sucht für jeden Moment die richtige Form. Dem Film, dem darf man glauben.

Die Zeit, die wir teilen (2022)

Die Pariser Verlegerin Joan Verra (Isabelle Huppert) trifft nach Jahrzehnten ihre erste große Liebe wieder. Aufgewühlt verlässt sie Paris und zieht sich in ihr Landhaus zurück. Dort beginnt sie, ihr Leben Revue passieren zu lassen. Joans Erinnerungen verdichten sich mehr und mehr zu einer emotionalen Reise, bei der Wunsch und Wirklichkeit verschwimmen. Doch sie ist nicht allein: Es begleiten sie der exzentrische Schriftsteller Tim Ardenne (Lars Eidinger), der als einzige Konstante fest an ihrer Seite zu stehen scheint, und ihr Sohn Nathan (Swann Arlaud), den sie allein großzog.

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Meinungen

Omar Sharif · 19.06.2023

Ich empfinde die Filmkritik von Verena Schmöller sehr gelungen und diese entspricht auch meinen Empfindungen. Ein großartiger Film mit exzellenter Besetzung. Dennoch bleiben für mich zwei Fragen offen:
1. Ist der Tod von Nathan eine Fiktion und Option ?
2. Wie muss ich das Schwimmen in Milch interpretieren und hat Sie Ihre Insel gefunden?
Danke für Feedback

Lieschen Müller · 04.09.2022

Die Zeitsprünge sind gut gemacht, eine Erzählung wird erkennbar, würde ich nicht wahllos aneinander gereiht bezeichnen, wie mein Vorredner. Aneinandergereiht finde ich, dass die Szenen wie aus der Schublade geholt wirken, ohne besondere Aussage. Der Film hat keine Tiefe und bedient sich bereits gesehener Szenen und gehörter Effekte: die Hinfaller von Lars Eidinger, die typischen Gesten von Isabelle Huppert, das Schwimmen in Milch aus "Golden Door" und Musik-Einlagen nachgeahmt im Stil von Arvo Pärt, als wolle man damit noch etwas retten. Dann von jeder Kultur etwas drin: das naiv-dümmliche Deutsche, das überdrehte Französische und etwas irisch-englische Romantik. Man kann auch nicht lachen und aufatmen, wenn mal etwas überraschen soll, weil es ein so gewollter Humor ist.
Aber das lässt sich in letzter Zeit immer wieder beobachten, dass die Filme einfallslos werden.

Kritiker · 08.08.2022

Absoluter Nonsens....keinerlei Linie erkennbar...schlicht wahllos aneinandergereiht
...kein Spannnungsbogen etc