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Marija kommt als 24-Stunden-Pflegekraft zum demenzkranken Curt, der sie schon bald für seine verstorbene Frau Marianne hält. Marija begibt sich bereitwillig in dieses Rollen-Upgrade von der Bediensteten zur Ehefrau. Eine furiose deutsche Dramödie mit Anklängen an Loriot und Coen-Werke.

Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen (2020)

Eine Filmkritik von Melanie Hoffmann

Rollenspiele mal ganz anders

Eichhörnchen vergraben für den Winter ihren Nussvorrat und vergessen mitunter, wo alle Nüsse vergraben sind. So geht es auch manchen Menschen, die im Winter des Lebens so einiges durcheinander bringen.

Almut Wieland (Anna Stieblich) macht sich große Sorgen um ihren demenzkranken Vater Curt. Marija (Emilia Schüle) wird als neue Pflegerin engagiert, gerade kommt die junge Frau aus der Ukraine in Deutschland an. Doch die 27-Jährige hat einen solchen Job noch nie ausgeübt, hat eigentlich Germanistik studiert und macht das alles nur, um für ihren kleinen Sohn gut sorgen zu können, den sie schmerzlich vermisst. Naja, Almut will mal nicht so sein, immerhin spricht sie gut deutsch.

Curt (Günther Maria Halmer) ist gar nicht begeistert von der Idee. In seinem Zuhause soll sich bitte nichts ändern und überhaupt kommt er bestens zurecht. Die großzügige Villa zeugt von gewissem Wohlstand, hat aber schon bessere Zeiten gesehen und wirkt mit seinem 1970er-Jahre-Charme etwas ranzig. Almut legt allergrößten Wert darauf, dass Marija dem Patienten pünktlich Essen, Tabletten und Wasser verabreicht. Außerdem sollen alle möglichen (und unmöglichen) Gesundheitsdaten in einer Tabelle festgehalten werden. Die menschliche Ebene interessiert hier nicht.

Nach einer recht befremdlichen Eingewöhnungszeit kommt Marija so langsam mit ihrer neuen Aufgabe zurecht. Und auch Curt gewöhnt sich allzu sehr an die junge Frau, die ihn ganz offenbar an seine inzwischen verstorbene Gattin Marianne erinnert. Immer häufiger passiert dies in den nächsten Tagen und als die beiden verbotenerweise den verschlossenen Bereich des Hauses betreten und damit das alte, unberührte Schlafzimmer wiederfinden, fordert Curt die verdutzte Marija auf, endlich mal wieder dieses Kleid zu tragen. Das hatte sie viel zu lange nicht an… Was wird da wohl Tochter Almut sagen? Von ihr haben Marija und Curt schon einige Tage nichts gehört oder gesehen…

Die gemächliche Entwicklung der Handlung hält Schritt mit dem Tempo, in dem sich Menschen in einer solchen Situation kennenlernen. Emilia Schüle ist mal gänzlich anders besetzt, als wir sie sonst kennen. Der russische Akzent steht ihr gut und die Schüchternheit, vor allem zu Beginn, runden das Bild der jungen Pflegerin gut ab. Die Entwicklung, die die kluge Marija erlebt, wird von ihr sehr glaubhaft und lebensnah verkörpert. Mit der Entwicklung der Rollen verändert sich auch ganz bald das Erzähltempo.

Angesiedelt ist dieser Film irgendwo zwischen Loriot und den Coen-Brüdern. Das exakte Beobachten deutscher Bürgerlichkeit bringt schonmal eine gute Portion Komik mit sich. Recht skurril wird es, als zum sonderbaren „Ehepaar“ der Sohn Philipp (Fabian Hinrichs) stößt, der recht schnell ein amouröses Interesse an Marija entwickelt. Marija tauscht sehr bereitwillig die Rolle der einfachen Pflegerin mit der Rolle der Ehefrau ihres Patienten, die am Hochzeitstag auch mal das Cabrio selbst fahren darf. Philipp ist die Pflege seines ungeliebten Vaters nicht so wichtig, dafür sieht er ganz andere Qualitäten in der jungen Ukrainerin.

Geschickt spielt die Komödie mit Klischees, beginnt als Sozialdrama und wandelt sich schnell in eine märchenhafte Geschichte über den menschlichen Umgang miteinander. Dabei werden viele Fragen gestreift, aber wenige beantwortet. Ist die Manipulation eines Demenzkranken zulässig, wenn es dem dann besser geht? Darf man einen Dementen in seiner Welt leben lassen, wenn es den Pflegenden entlastet? Natürlich fragt man sich angesichts der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte auch, ob diese Art der 24-Stunden-Pflege überhaupt noch machbar ist und bekommt vor Augen geführt, was die zumeist osteuropäischen Pflegekräfte dafür opfern.

Den Regisseuren Nadine Heinze und Marc Dietschreit ist eine wunderbare gesellschaftspolitische Dramödie, die ganz bewusst zwischen den Stühlen sitzt, gelungen. Im Kino ist man köstlich unterhalten, im Nachgang kann man trefflich darüber nachdenken.

Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen (2020)

Marija kommt aus der Ukraine nach Deutschland, um als 24-Stunden-Pflegerin den demenzkranken Curt zu versorgen. Als dessen Tochter einen schweren Autounfall hat, ist Marija plötzlich allein mit dem mürrischen alten Mann. Curt beginnt, sie für seine verstorbene Frau zu halten, und Marija schlüpft – zunächst unfreiwillig – in deren Rolle und Kleider. Doch das skurrile Spiel einer Ehe aus vergangenen Zeiten wird von Curts Sohn Philipp gestört. Als der versucht, Marija für sich zu gewinnen, laufen die Dinge aus dem Ruder.

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Meinungen

Marianne Haubert · 25.01.2021

Ich befinde mich in einer vergleichbaren Situation bezogen auf die Tochter, plane evtl. eine solche Hilfe.
Deshalb habe ich mir den Film angesehen. Trailer hat mich neugierig gemacht.
Aber: der Film bedient alle vermeintlichen Klischees: attraktive Ukrainerin, kein Mann, Kind bei ihrer Mutter; Tochter der Pflegepersonal, bemüht sich von der ersten Stunde nicht um ein würdevolle Akzeptanz der Betreuerin. Ihr Bruder, zu dem sie keinen Kontakt pflegt ist ein Arschloch (sorry). Zwischen Pflegendem und Pflegerin entsteht ein für beide Seiten gewinnendes Vertrauensverhältnis. Es gibt quasi kein Umfeld, dass dies erkennt.
Es eskaliert...und der Schluss ist für mich inakzeptabel.
Ich wage zu behaupten, dass, wenn der Film in den Neuen Bundesländern produziert bzw. Entstanden wäre, sich die Geschichte vielleicht anders entwickelt hätte. Es wäre noch Zeit gewesen, Film dauert ja keine 90 min. Schade!