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Neil Burger meldet sich zurück – und wechselt abermals das Genre. Diesmal legt der US-Regisseur einen Wildnis-Familienthriller vor – mit einer Hauptdarstellerin, die sich als Einzelkämpferin in unwirtlichen Welten bewährt hat.

Das Erwachen der Jägerin (2023)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Familieninstinkt

Eine weitverbreitete Krankheit zeitgenössischer Filme ist die unnötige Überlänge. Neil Burgers Filme leiden darunter nicht. Lediglich das Remake Mein bester & Ich (2017) und die Jugendroman-Adaption Divergent (2014) dauern länger als zwei Stunden. Seine anderen Filme bringt Burger noch schneller ins Ziel. Mitunter verlaufen seine Handlungen enttäuschend, etwa im Sci-Fi-Kammerthriller Voyagers (2021). Die Figuren sind aber stets glaubwürdig gezeichnet, oftmals sogar glaubwürdiger als in den überlangen Werken der Konkurrenz. Burgers Filme verheddern sich nicht im Überflüssigen, sondern konzentrieren sich auf das Nötige.

Das Erwachen der Jägerin beleuchtet das problematische Verhältnis der von Daisy Ridley (Star Wars: Das Erwachen der Macht) gespielten Helena zu ihrem Vater Jacob Holbrook, dem sogenannten „Marsh King“. Zu Beginn lebt das Mädchen mit seinen Eltern in einer Hütte in den Moorwäldern Michigans und geht jeden Tag mit dem Vater auf die Jagd. Kameramann Alwin H. Kuchler fängt dieses anfängliche Idyll in gedämpften, aus der Natur geschöpften Farben ein. Das Grün der Gräser und Baumkronen und das Braun der Erde und Hölzer dominiert auch später die Farbpalette, wenn die Handlung die Wildnis hinter sich gelassen hat und in der Zivilisation angekommen ist. Doch die Idylle trügt.

Etwas ist faul an diesem Familienverhältnis, was der (noch von Brooklynn Prince beeindruckend verkörperten) jungen Helena lange Zeit verborgen bleibt, uns im Kinopublikum hingegen von vornherein schwant. Es ist mehr als nur die vermeintlich indigene, in Wahrheit aber darwinistische Weltsicht Jacobs, die seine Tochter durch die harte Schule vom „Fressen oder Gefressenwerden“ schickt. Es sind die Blicke, Gesten und Bewegungen, die Ben Mendelsohn der Figur verleiht, die Stimme, die er dem Vater gibt, die uns schaudern machen. Erst als ein vom Weg abgekommener Tourist unvermittelt vor der Blockhütte aufkreuzt, wird endgültig klar, was wirklich vor sich geht.

Jahrzehnte später hat Helena selbst eine Tochter, die sie vollkommen anders erzieht. Zwar bringt sie dieser alles über die Flora bei, lässt die Fauna aber unversehrt. Das in der Kindheit erlernte Fährtenlesen, Fallenstellen und Zur-Strecke-Bringen setzt erst dann wieder ein, als der inhaftierte Jacob bei einem Gefangenentransport entkommt, seine unter falschem Namen lebende Tochter aufspürt und dem irrigen Glauben verfällt, gemeinsam mit Helena und seiner Enkelin ein neues Leben in Kanada beginnen zu können. Stets die Familie zu beschützen, ist Jacobs Mantra, das Helena wörtlich nimmt, dabei jedoch eine andere Familienkonstellation als ihr Vater im Sinn hat.

In der Vergangenheit schrieb Neil Burger die Drehbücher zu seinen Filmen selbst oder arbeitete zumindest an ihnen mit. Das Drehbuch zu seinem neuen Film, das auf Karen Dionnes Roman Die Moortochter (Originaltitel: „The Marsh King’s Daughter“) basiert, stammt allerdings aus der Feder von Mark L. Smith und dessen Tochter Elle Smith. Mit Thrillern, die in unwirtlichen Gegenden angesiedelt sind, kennt sich Smith Senior aus. Er arbeitete etwa an den Drehbüchern von George Clooneys The Midnight Sky (2020) und von Alejandro G. Iñárritus The Revenant (2015) mit. 

Schon letztgenannter Film war trotz einer Laufzeit von 156 Minuten geradlinig erzählt. Das Erwachen der Jägerin steht dem in nichts nach. Unvorhergesehene Wendungen sind nicht die Sache des smithschen Vater-Tochter-Gespanns. Wer die Exposition aufmerksam verfolgt, weiß früh, wohin die Handlung steuern wird. Denn das Ende ist im Anfang bereits enthalten: eine adrenalingeladene Hatz, bei der die Gejagte den Spieß irgendwann umdreht und zur Jägerin wird. 

Das mag vorhersehbar sein, wird einem dank Burgers schnörkelloser Inszenierung aber auch nie langweilig. Kleine Drehbuchschwächen bügeln Sternenkriegerin Daisy Ridley und Ben Mendelsohn durch ihre schiere Leinwandpräsenz aus. Und Adam Janota Bzowskis Musik aus dissonanten Streichern und Naturgeräuschen nachempfundener Percussion spielt spannend dazu. Das Erwachen der Jägerin ist kein weltbewegender, aber ein kleiner, feiner Thriller: eine dichte Erzählung über eine Frau und ihren doppelten Kampf ums Überleben.

Das Erwachen der Jägerin (2023)

Helena Pelletier lebt in Michigan auf der Upper Peninsula. Sie ist eine ausgezeichnete Fährtenleserin und Jägerin – die Fähigkeiten hierzu hat sie von ihrem Vater gelernt, als sie in einer Blockhütte mitten im Moor lebten. Für Helena war ihr Vater immer ein Held – bis sie erfahren musste, dass er in Wahrheit ein gefährlicher Psychopath ist. Seit dreizehn Jahren sitzt er nun im Hochsicherheitsgefängnis. Doch als Helena eines Tages in den Nachrichten hört, dass ihr Vater von dort entkommen ist, weiss sie sofort, dass er sich im Moor versteckt. Nur Helena ist in der Lage, ihn aufzuspüren. Es wird eine brutale Jagd, denn er hat noch eine Rechnung mit ihr offen …

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Meinungen

Lisa · 05.01.2024

Ich habe den Film in der Sneak gesehen und war anfangs sehr gelangweilt. Die erste Stunde des Filmes zieht sich sehr, aber ab dann kommt etwas Fahrt in die Sache. Die Grundlage ist wahnsinnig gut, aber die Umsetzung nur solide. Es herrscht kurzweilig Spannung als die Szenen nachts im Haus laufen, aber zum wichtigsten Teil im Wald ist es fast emotionslos und man fühlt sich nicht ganz abgeholt. Es hätte aufregender und spannender sein können, aber trotzdem war es ein guter Film mit kleinen Mängeln.