Ohne Limit

Eine Filmkritik von Florian Koch

Alle Macht den Drogen

Es ist ein klassischer Erzählkniff. Doch er funktioniert immer wieder. Der „Held“ steht am Abgrund, blickt in die Tiefe, erschaudert, wackelt kurz, fängt sich. Und dann? Ein Blick zurück, und kurz vor dem vermeintlichen Freitod-Ende fängt er an zu erzählen: Seine Lebensbeichte, die ihn mit ziemlicher Sicherheit wieder an diesen Point of no return führen wird. Ganz ähnlich erging es zuletzt dem aufgedrehten Werbetexter Octave Parango (Jean Dujardin) in Jan Kounens mitreißender Bestsellerverfilmung 39,90. In Neil Burgers gewagtem Komödien/Thriller-Mix Ohne Limit ist es Eddie Morra (Bradley Cooper), der den Zuschauer zu einem Drogen-Zeitreisetrip einlädt.
Eddie Mora sieht mit seiner Zottel-Frisur ein wenig aus wie Torsten Frings. Mit Fußball hat der New Yorker Lebemann aber wenig am Hut. Genau genommen arbeitet er als Schriftsteller, hat sogar einen Kontrakt für seinen ersten Roman unterzeichnet. Doch seit einiger Zeit plagt Eddie eine heftige Schreibblockade. In heruntergekommenen Spelunken betrinkt er sich bereits am helllichten Tag, um seinen Frust über die Kreativ-Krise zu verdrängen. Doch dann begegnet er Vernon (Johnny Whitworth), dem windigen Bruder seiner Ex-Frau. Er macht Eddie ein viel versprechendes Angebot. Er soll als Testkandidat die Wunderdroge NZT einnehmen, die es Eddie erlauben würde, sage und schreibe 100 Prozent seines Gehirns ausnutzen zu können.

Nach kurzem Zögern willigt Eddie ein, schluckt das Präparat und dreht sein Leben damit um 360 Grad. Der Roman geht ihm leicht von der Hand, plötzlich kann er mit Zahlen jonglieren, siegt an Pokertischen und auch beim Frauen anbaggern. Nichts will Eddie misslingen: die gefrustete Ex-Freundin Lindy (Abbie Cornish) gewinnt er mit seiner neuen Siegermentalität spielend leicht wieder zurück, und selbst der Finanztitan Carl van Loon (Robert de Niro) erklärt Eddie bald zu seiner rechten Hand. Doch auch die Kehrseite der NZT-Medaille lernt der frisch gebackene Erfolgsmensch kennen. Eddie wird verfolgt, und muss feststellen, dass sich seine Erinnerungslücken immer mehr häufen. Aber Vernon kann er nicht mehr nach den Nebenwirkungen der Designerdroge befragen, denn der wurde in seiner Wohnung brutal ermordet.

Die Abhängigkeit von pharmazeutischen Erzeugnissen ist ein gesellschaftliches Problem, das lange Zeit bagatellisiert wurde, zuletzt aber immer mehr in den Fokus medialer Berichterstattung geriet. Allein die Tatsache, dass selbst Kinder sich häufig „dopen“ müssen, um dem Schulalltags-Stress standzuhalten, beweist schon die Dringlichkeit der Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Diese gefährliche Entwicklung darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einnahme von Leistungssteigernden Präparaten auch in der immer härteren Arbeitswelt fast schon zur Normalität geworden ist. Vor diesem Hintergrund lässt Neil Burger seinen packenden Film spielen. Ohne Limit, der auf dem Roman The Dark Fields von Alan Glynn beruht, verführt den Zuschauer geschickt mit der Vision einer vollkommenen Auslastung des menschlichen Gehirns. Was wäre möglich? Die Antwort fällt ernüchternd aus. Eddie Morra denkt gar nicht daran, sein enormes Potential für ein besseres Miteinander oder andere selbstlose Aktionen einzusetzen. Er ist ein Egoist, ein selbstherrlicher junger Mann, der nach Macht und Erfolg strebt. Sein Leben nach der Pille sieht dementsprechend auch wie der Traum eines Yuppies aus: Teure Autos, edle Klamotten, Partys, Jet-Set Urlaub – darum dreht sich Eddies Traum vom New Economy-Glück.

Mit dieser Ausgangssituation im Hinterkopf stand Regisseur Neil Burger, der auch den unterschätzten Zaubererfilm The Illusionist inszenierte, vor einer schwierigen Aufgabe. Er musste nicht nur ein visuelles Konzept für den Gehirnrausch entwickeln, sondern auch einen Hauptdarsteller finden, der in nahezu jeder Szene präsent ist, und den Zuschauer trotz seiner oberflächlichen Charaktereigenschaften für sich einnimmt. Beides ist ihm gelungen.

Visuell zeigt Burger gleich in der ersten Szene sein enormes Können. Ein unendlich langer Super-Zoom macht es möglich, dass man durch die New Yorker Straßenschluchten gesaugt wird. Als Eddie seine Schreibblockade überwindet, regnet es sogar animierte Buchstaben. Diese technischen Spielereien ziehen sich durch den ganzen Film, verkommen aber nie zum Selbstzweck, weil sie durch den Plot begründet werden. Immer wenn Eddie eine Pille nimmt, verändern sich beispielsweise die Farben, alles wird wärmer, angenehmer, freundlicher, selbst seine Augen werden plötzlich wasserklar, suggerieren damit aber auch wieder eine große Künstlichkeit. Diese visuelle Überhöhung setzt sich auch in den Actionszenen fort. Eine reale Prügelszene montiert Burger simultan zu einem Bruce Lee-Filmausschnitt, weil sich Eddie mit seinem „Superbrain“ plötzlich an alle Bewegungen des Martial Arts-Meisters erinnert.

Neben den filmischen Tricks ist Burger auch mit der Besetzung der Hauptrolle ein Coup gelungen. Bradley Cooper, der seinen Durchbruch in Hangover feierte, war bisher auf einen Rollentyp festgelegt. Den, des Sunnyboys. Bezeichnenderweise übernahm er im gefloppten A-Team-Aufguss auch den Part des „Faceman“. Aber Ohne Limit, den Cooper auch co-produzierte, beweist: Dieser Mann kann mehr als nur gut aussehen. Sowohl den heruntergekommenen Autoren, als auch den Strahlemann oder den verwirrten Süchtigen nimmt man ihm ab. Da der Film völlig auf Cooper zugeschnitten ist, fallen dagegen die Nebenfiguren ab. Weder ein leicht angeödet wirkender Robert de Niro in seinen Kurzauftritten oder die eigentlich hoch talentierte Abbie Cornish (Bright Star) in ihrer undankbaren Anhängsel-Rolle können hier besondere Akzente setzen.

Das hohe Tempo des Films, die vielen Wendungen, die rasanten Schnitte machen aber nicht nur den Schauspielern in den kleineren Rollen zu schaffen. Auch der Krimiplot, mit einem Mord, den Eddie im Drogen-Delirium begangen haben soll, wirkt ein wenig hastig und unglaubwürdig erzählt. Da hätte es in diesem Fall auch mal gut getan, der Handlung ein wenig mehr Raum zum Atmen zu geben und die Lauflänge nicht zwanghaft unter die zwei Stunden Marke zu drücken.

Doch diese kleinen Schwächen verzeiht man den Machern von Ohne Limit gerne, denn gerade gegen Ende überrascht der Film mit etwas, dass ihn plötzlich weitweg vom gängigen Mainstreamkino verortet: Amoralität. Endlich wird einmal nicht die klassische Drogengeschichte vom Aufstieg und Fall erzählt. Vielmehr geraten plötzlich ganz andere Fragen in den Blickpunkt: Was passiert, wenn man die Nebenwirkungen der Droge überwindet? Wenn sogar politische Ambitionen dank der Wunderwaffe für den Kopf möglich sind? Ohne Limit kennt hier keinen kalten Entzug, geht weiter, als man es je geglaubt hätte und gefällt sich in der Lust an der Grenzüberschreitung. Und das macht ihn am Ende so spannend und sehenswert.

Ohne Limit

Es ist ein klassischer Erzählkniff. Doch er funktioniert immer wieder. Der „Held“ steht am Abgrund, blickt in die Tiefe, erschaudert, wackelt kurz, fängt sich. Und dann? Ein Blick zurück, und kurz vor dem vermeintlichen Freitod-Ende fängt er an zu erzählen: Seine Lebensbeichte, die ihn mit ziemlicher Sicherheit wieder an diesen Point of no return führen wird.
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