Wir waren Könige

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Korpsgeist und Kadavergehorsam

Was ist das für ein Film, in dem es beim SEK-Einsatz in einer Drogendealer-Wohnung ein paar Verletzte und ein paar Tote gibt? Was ist das für ein Film, in dem diese Elitetruppe der Polizei hier mal ein paar Tausender einsteckt, dort mal ihren Rachegelüsten freien Lauf lässt und abends beim Gelage in der Kneipe Schlägereien provoziert?
Ein Film, in dem die Polizei der Feind des Rechts ist; in dem Kumpanei und übertriebene Kameradschaft zu Mord und Totschlag führen, und natürlich zu Vertuschung? Ein Film, in dem sich der Freund und Helfer als Feind und Gegner entpuppt: Das muss doch ein spannender Polizeithriller werden, mit gesellschaftlicher Relevanz in der Frage von Polizeigewalt hier und Kriminalität dort…; oder?

Andererseits: Was ist das für ein Film, in dem sich der Anführer einer Jugendgang vor allem damit heraushebt, dass er als einziger in der Clique, ja, im ganzen gezeichneten Milieu grammatikalisch korrektes Deutsch jenseits von „Alda, isch figg dei Mudda“ spricht? Dessen innerlich reine Gesinnung im freundlichen, offenen Blick sich offenbart? Dessen Freunde ihm zum Geburtstag was Schönes schenken wollen, weshalb sie zusammenlegen (!), um einen iPod zu kaufen (!)? Ein Film, in dem im Übrigen die Stripperinnen nie nackig zu sehen sind; und in dem Ronald Zehrfeld mitspielt, der zur Zeit viel zu oft zu sehen ist und der natürlich wieder seinen Balanceakt zwischen hart und soft vorführt; klar, dass am Ende das Softe siegt.

Tja: Solch ein Film ist ein weichgespülter Möchtegern. Das Grelle ist heruntergedimmt, das Laute und Dissonante gedämpft — dabei kommt es doch beim Polizeistreifen wie beim Gangsterreißer genau auf solch knallharte Momente an. Regisseur Philipp Leinemann hat sich genau diese Genres vorgenommen, und zwar miteinander verknüpft: Die selbstherrliche SEK-Mannschaft auf der einen Seite, die nichts auf sich kommen lässt; und auf der anderen Seite eine melodramatische Parallelhandlung von der Jugendgang, an der sich das große Schicksal entzündet.

Das auslösende Moment: Ein Dreizehnjähriger, der dazugehören möchte. Der alles tut, um dem Schönling Torsten zu gefallen und von ihm als Freund und Cliquenmitglied anerkannt zu werden. Und der auch die rachsüchtig aus dem Weg zu räumen sucht, die ihm vermeintlich dabei im Weg stehen. Die Motivation des Jungen ist etwas unklar — warum ausgerechnet die Bande von Torsten? -; als Anstoß für schicksalhafte Verstrickung und tragödienhafte Unausweichlichkeit erfüllt er seinen Zweck. Er spielt einerseits Torstens Bande mit der gegnerischen Jugendgang aus — Frederick Lau in vollstem, bösestem Ich-werf-mein-Gesicht-in-Falten-und-kotze-harte-Wörter-aus-Modus ist deren Chef; und bringt andererseits das SEK ins Spiel, mit einer untergeschobenen Waffe, die zum inoffiziellen Polizeieinsatz führt — leider ohne Rechtsgrundlage, als Selbstjustiz inkl. mutmaßlichem Mordopfer.

Leinemann baut ein unglaubliches dramatisches Gerüst und lässt, wo es nicht so recht weiter will, auch mal Dramaturg Zufall eingreifen. Über dieser überkonstruierten Hintergrundgeschichte vergisst er leider, seinen Akteuren Kontur zu verleihen. Die Männer der SEK-Gruppe sind quasi ununterscheidbar; bis auf Misel Maticevic und Ronald Zehrfeld, deren Funktion in der Geschichte freilich auch viel zu spät, erst im letzten Drittel, so richtig herauskommt. Vorher scheinen sie Kumpels zu sein; ihr Antagonismus, der sich irgendwann herausschält, überrascht geradezu.

Immerhin: In dem Moment, in dem Zehrfeld als Handelnder in Erscheinung tritt, die Wahrheit wittert und sich gegen die Männlichkeitstugenden von Arroganz und Frontkameradschaft stellt: Da bietet der Film eine richtig spannende Viertelstunde; und man bedauert, dass sich Leinemann in der übrigen Laufzeit des Films diesem tatsächlichen Thrillerniveau nicht anzunähern vermag.

Wir waren Könige

Was ist das für ein Film, in dem es beim SEK-Einsatz in einer Drogendealer-Wohnung ein paar Verletzte und ein paar Tote gibt? Was ist das für ein Film, in dem diese Elitetruppe der Polizei hier mal ein paar Tausender einsteckt, dort mal ihren Rachegelüsten freien Lauf lässt und abends beim Gelage in der Kneipe Schlägereien provoziert?
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Meinungen

Daniel · 09.10.2014

Gestern den Film in der Sneak Preview im Kinopolis gesehen. Meiner Meinung nach ein sehr guter deutscher Polizeithriller/drama. Keine klassische gut/böse Aufteilung, sondern Zusammentreffen und -leben von Charakteren mit verschiedenen und realistischen Motivationen. Wer meint der Film würde zu negativ auf das Ansehen der Polizei in Deutschland wirken, der hat auch noch nie Departed oder The Hurt Locker gesehen. Kein Feel-Good-Movie und kein Film für das Popcorn-Kino, aber endlich mal wieder ein guter deutscher Film!

Sascha · 09.10.2014

Den Film gestern im Kino Sneak gesehen, oh Leute, sowas gehört nicht ins Kino!
Das ist bestenfalls ein Sonntagsabends-Krimi, außerdem kommt die Polizei sehr schlecht weg bei dem Film, am Ende hatte ich das Gefühl, ich kann keinem Polizisten mehr trauen, die machen sowieso ihre eigenen Gesetze "weil Sie es können".

Alf · 04.03.2018

"außerdem kommt die Polizei sehr schlecht weg bei dem Film, am Ende hatte ich das Gefühl, ich kann keinem Polizisten mehr trauen"

Dann hat der Film ja was gutes gehabt