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Mit „Hör auf zu lügen“ liefert Olivier Peyon eine gelungene Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Philippe Besson.

Hör auf zu lügen (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Sich den Gespenstern stellen

Der autobiografisch gefärbte Roman „Hör auf zu lügen“ des 1967 geborenen französischen Schriftstellers Philippe Besson wurde bei seiner Veröffentlichung im Jahre 2018 von der internationalen Literaturkritik als Geniestreich gefeiert – als unsentimentale und doch tief berührende Geschichte über die erste große Liebe. Der Regisseur Olivier Peyon hat das Werk nun verfilmt und fängt den melancholischen Ton der Vorlage stimmig ein.

Der Plot wird auf zwei Zeitebenen geschildert. Zum einen sehen wir, wie der erfolgreiche und überaus produktive Autor Stéphane Belcourt (Guillaume de Tonquédec) nach 35 Jahren in seinen provinziellen Heimatort zurückkehrt, um als Redner bei einer regionalen Feier aufzutreten. Und zum anderen begeben wir uns ins Jahr 1984, als der damals 17-jährige Musterschüler (verkörpert von Jérémy Gillet) eine heimliche Beziehung mit dem gleichaltrigen Thomas (Julien De Saint Jean) beginnt.

In der dörflichen Enge ist es für Thomas unmöglich, seine sexuelle Identität auszuleben. „Das bleibt unter uns“, stellt er von Anfang an klar. Während Thomas dem schüchtern wirkenden Stéphane gegenüber zunächst als recht aggressiv in Erscheinung tritt, gewinnt das Verhältnis zwischen den beiden Jugendlichen rasch spannende Facetten. Thomas glaubt, für immer an diesen Ort gebunden zu sein, da er den Hof des Vaters übernehmen muss; Stéphane hingegen wird die Provinz nach dem Abitur alsbald hinter sich lassen.

Das flüchtige Glück der gemeinsamen Zeit dieser zwei Verliebten, das Besson in seinem Roman so herzzerreißend beschreibt, übersetzt Peyon mit seinem Kameramann Martin Rit in treffende Bilder – von der ersten sexuellen Begegnung in der Sporthalle des lokalen Schwimmbads bis zu den harmonischen Stunden in Stéphanes Zimmer, das zu einem „Königreich“, einem „Nest“ für die beiden wird. Jérémy Gillet und Julien De Saint Jean spielen diese Passagen voller Zärtlichkeit – und stets mit der spürbaren Ahnung, dass dieses im Verborgenen geschaffene Idyll äußerst brüchig und vergänglich ist.

Auch der Handlungsstrang, der sich der Gegenwart widmet, wird reizvoll erzählt. Stéphane will sich, wie er an einer Stelle sagt, durch diesen Aufenthalt nach mehreren Dekaden seinen Gespenstern stellen. Er trifft auf Lucas (Victor Belmondo), der die Veranstaltung mitorganisiert und sich als Sohn des mittlerweile verstorbenen Thomas erweist. Der junge Mann ist zu Beginn nicht ganz ehrlich, was sein Wissen über die einstige Beziehung zwischen seinem Vater und Stéphane angeht.

Hör auf zu lügen ist unter anderem eine Reflexion darüber, wie wir mit unserer eigenen Vergangenheit und den entstandenen Wunden umgehen. „Worüber hätte er sonst schreiben sollen?“, wird in einer Szene provozierend gefragt, als darüber gesprochen wird, dass Stéphane seine oft negativen Erlebnisse als schwuler Teenager auf dem Dorf in seinen zahlreichen Büchern verarbeitet hat. Er konnte, anders als Thomas, sein schwieriges Dasein als Außenseiter in eine Karriere verwandeln. Hätte er ohne die erfahrene Tragik, ohne die schmerzhafte Trennung von Thomas einen solchen Erfolg gehabt?

Der Film befasst sich, wie die literarische Vorlage, sensibel und vielschichtig mit der Suche nach der persönlichen Wahrheit – und den Hürden, die dabei genommen werden müssen. Er ist ein Plädoyer für Ehrlichkeit, das zugleich anerkennt, dass es nicht immer leicht ist oder gar unmöglich erscheint, die Wahrheit zu sagen – zu sich selbst und zu anderen.

Hör auf zu lügen (2022)

Anlässlich eines Werbeauftritts für das Jubiläum einer berühmten Cognac-Marke kehrt der Romanautor  Stéphane Belcourt nach 35 Jahren der Abwesenheit zum ersten Mal in die Stadt zurück, in der er aufgewachsen ist. Dort tritt er Victor, den Sohn seiner ersten großen Liebe — und prompt kommen die Erinnerungen zurück an eine Liebe und ein Verlangen, das geheim bleiben musste. Denn seine erste große Liebe war Thomas…
 

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