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Mit „Mysterious Skin“, der nun als Mediabook erscheint, hat Gregg Araki im Jahre 2004 eine kongeniale Romanverfilmung vorgelegt, in der Joseph Gordon-Levitt und Brady Corbet ihr Schauspieltalent beweisen konnten.

Mysterious Skin - Unter die Haut (2004)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Albtraum in Suburbia

Die postmodernen Werke des New-Queer-Cinema-Autorenfilmers Gregg Araki sind von knalligen Farben, Synthesizer-Musik, desillusionierten Jugendlichen und wilden Exzessen geprägt. Zwischen adoleszenten Liebesnöten, derben Dialogduellen und Weltuntergangsstimmung tauchen darin durchaus auch mal sprechende, extraterrestrische Riesenkäfer oder menschengroße Echsen mit Laserpistolen auf. Als Araki im Anschluss an seine Teenage Apocalypse Trilogy (1993-1997) und die spielerische Screwball-Variante „Splendor“ (1999) im Jahre 2004 erstmals eine Romanadaption präsentierte und hierfür einen Stoff wählte, der vom sexuellen Missbrauch zweier Achtjähriger erzählt, war dies gewiss kein erwartbarer Schritt.

Zu den bemerkenswerten Dingen, die Mysterious Skin zu einem wirklich großartigen Film machen, gehört, dass in jedem Bild die eigene Handschrift des Regisseurs zu erkennen ist – und zugleich der Ton und, noch wichtiger, die Seele des gleichnamigen Romans von Scott Heim perfekt eingefangen wird. Die melancholischen Shoegazing-Klänge, die detailreiche, herrlich bunte Ausstattung, der Einsatz von Licht, Nahaufnahmen und Schwarzblenden wird alle glücklich machen, die den Araki-Kosmos seit jeher lieben. Umso erstaunlicher ist, wie sich diese bewährten Mittel in den Dienst einer Geschichte stellen, die damit zunächst völlig unvereinbar erscheint. Das Ergebnis ist jedoch derart stimmig und wuchtig, dass kein Zweifel an der Kombination von Heims Schreib- und Arakis Inszenierungsstil bleibt.

Geschildert wird das Heranwachsen von Brian Lackey (George Webster) und Neil McCormick (Chase Ellison), die im Sommer 1981, im Alter von acht Jahren, für kurze Zeit gemeinsam in einem Baseballteam spielen. Schauplatz ist die Kleinstadt Hutchinson in Kansas. Als Brian mit blutender Nase im Keller erwacht und sich nicht mehr an die vergangenen Stunden erinnern kann, nimmt seine Mutter (Lisa Long) ihn kurzerhand aus der Mannschaft. Doch fortan weist Brian deutliche Veränderungen auf und wird von bösen Träumen geplagt. Neil hingegen avanciert zum besten Spieler des Teams und baut eine enge Beziehung zum Coach (Bill Sage) auf. Jahre später ist Brian (nun verkörpert von Brady Corbet) davon überzeugt, damals von einem UFO entführt worden zu sein, während Neil (jetzt Joseph Gordon-Levitt) seine Freizeit damit verbringt, Sex für Geld mit älteren Männern zu haben. Als sich Brian plötzlich an Neil erinnert und mit diesem über die Ereignisse des Sommers 1981 reden will, ist Neil bereits zu seiner besten Freundin Wendy (Michelle Trachtenberg) nach New York City gezogen. Brian freundet sich mit Neils Kumpel Eric (Jeff Licon) an – und hofft, Neil beim nächsten Besuch in Hutchinson bei dessen Mutter (Elisabeth Shue) treffen zu können.

Den sexuellen Missbrauch, den Brian und Neil in ihrer Kindheit durch den pädosexuellen Trainer erleben, zeigt Mysterious Skin gänzlich aus der Perspektive der Opfer. Im Strang um Neil wird demonstriert, welche perfiden Methoden der (bewusst namenlose) Täter wählt, um die Gunst der Jungen zu erlangen: In seiner Wohnung gibt es die besten Snacks und die coolsten Videospiele; bei allem wird ein großer, unschuldiger Spaß vorgetäuscht. Brians Erzählstrang lässt indes erkennen, wie die traumatische Erfahrung über Jahre hinweg durch einen Selbstschutzmechanismus verdrängt wird – und doch nie vergessen werden kann. Die parallele Entwicklung der zwei Protagonisten wird klug miteinander verbunden.

Zwischen den jugendlichen Figuren kommt es zudem immer wieder zu Momenten voller Zärtlichkeit – etwa in der Freundschaft zwischen Neil und Wendy. Arakis Begabung, mit Nachwuchsstars zu arbeiten, vermag sich auch hier zu entfalten: Joseph Gordon-Levitt, der inzwischen zur A-Liga Hollywoods zählt, sowie Brady Corbet, Michelle Trachtenberg und Jeff Licon liefern beachtliche Leistungen und zeigen uns junge Menschen, die den Grausamkeiten, der Ignoranz und Schwäche der Erwachsenen mit gegenseitiger Fürsorge begegnen. Mysterious Skin ist hart und erschütternd – aber nicht ohne Hoffnung.

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