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Der letzte Winter in der Provinz, bevor eine Gruppe junger Menschen das Abitur macht und ein Leben hinter sich lässt, das nichts bietet, außer Abstoßung und Gewalt. „Nackte Tiere“ zeichnet in dieser Enge eine Gemeinschaft, die sich gegen alle äußeren Zwänge durchsetzt – und ist dabei selbst zu streng.

Nackte Tiere (2020)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Gewalt und Enge

Junge Menschen auf dem Weg zum Abitur, im kalten, deutschen Provinzwinter wartend auf ein anderes Leben, das vielleicht ein wenig besser ist. Fünf Jugendliche, die von ihren Familien und vom Rest der Gesellschaft abgehängt wurden, die aufeinander aufpassen, um sich vor der Kälte der Welt zu beschützen. Melanie Waeldes Langfilm-Debüt „Nackte Tiere“ zeichnet den Ausschnitt einer Zeit vor dem Erwachsensein, der vor Ängsten und Träumen zu bersten droht.

Katja (Marie Tragousti) und ihr bester Freund Sascha (Sammy Scheuritzel), ihre Freunde Benni (Michelangelo Fortuzzi) und Schöller (Paul Michael Stiehler) und dessen Freundin Laila (Luna Schaller) brauchen einander: Katja und Sascha können die Enge des Alltags beim Karate entladen, wenn sie im geregelten Raum des Kämpfens aufeinandertreffen. Benni ist dem Leben nicht gewachsen, er neigt zu Exzessen der Selbstzerstörung, die von den anderen in seiner Einzimmerwohnung aufgefangen werden. Laila kehrt immer wieder zu ihrer gewalttätigen Mutter zurück, kümmert sich um ihre jüngere Schwester. Schöller träumt vom bürgerlichen Leben, aus dem alle fünf geflohen oder verstoßen sind.

Die Welt der Erwachsenen wird von den Bildern des Films im engen Fokus seines 4:3-Formats ausgeschlossen: Es gibt nur die brutale Nähe der Kamera zu den fünf Jugendlichen, allen voran zu Katja, die unaufhörlich dafür kämpft, sich und ihren Freunden den Weg in ein anderes Leben freizuschlagen. In der Nähe der Jugendlichen, im kleinen Zimmer von Benni, bildet sich der Zusammenhalt einer untrennbaren, aneinander geschmiegten Gemeinschaft, wenn sie zusammen essen, spielen, sich waschen, einschlafen – dann wieder bekommt diese Nähe bedrückende Züge und lässt spüren, wie wenig Luft die Protagonist*innen des Films haben, wenn sie atemlos voller Wut und Schmerz auszubrechen versuchen und doch wieder aufeinander zurückgeworfen sind.

Diese zwei Register des Films, die brutale Enge der Bilder und die dagegen andrängende Energie junger Menschen, verleiten zu einem Vergleich mit Jakob Lass‘ Love Steaks (2013), der vor einigen Jahren zeigte, welche Kraft dem jüngsten deutschen Kino innewohnt. Auch Nackte Tiere versucht, diese Kraft in den Bildern eines Provinzlebens zu entdecken, das gegen die bedrückende Perspektivlosigkeit einer farblosen Zukunft aufbegehrt, doch fehlt dem Film etwas, um in seiner formalen Strenge die notwendige menschliche Nähe zu finden.

So gelingt es in der Konzentration der Bildgestaltung nie, neben Katja, die von Marie Tragousti hervorragend mit der nötigen Schwere und Verbissenheit gespielt wird, ein glaubwürdiges Netz sozialer Beziehungen zu knüpfen. Die immer nur angeschnittenen Geschichten der anderen Protagonist*innen, darstellerisch mitunter eher durchwachsen, bieten selten Punkte, an denen ein Gefühl für ihre Innerlichkeit entsteht. In einigen wunderbaren Momenten sprechen Katja und Benni über ihre Träume, oder scheitern daran, weil sie nicht darüber sprechen können, schwören sich Treue im Kampf gegen die Welt und halten sich aneinander fest. Diese Wärme fehlt den anderen: Während auch Katja und Sascha in der Nähe und Zärtlichkeit unerbittlichen Kämpfens verbunden sind, bleiben vor allem Schöller und Laila weitgehend abstrakte Figuren am Rande des Freundeskreises.

Vor allem in den stillen Momenten, die Marie Tragousti den nötigen Raum geben, mit großer Stärke Katjas unverwüstlichen Kampfgeist und ihr bedingungsloses Gefühl der Verantwortung für die anderen mit nur wenigen Blicken und Gesten zu gestalten, bietet Nackte Tiere kurze Eindrücke davon, welche Energie unter seiner allzu formalen Denkweise läge. Schließlich steuert der Film auf einige Augenblicke zu, deren pointierte Beobachtungen nie die nötige Wucht entfalten. Zu sehr schränkt der Film sich selbst dadurch ein, nicht konsequent genug allein auf seine Figuren zu hören und allein ihren Geschichten eine Form zu geben. Zu oft wirken die Bilder von den Figuren abgelöst und zu oft zwängt der Film sie ihnen auf, statt sie aus ihrer Gemeinschaft heraus zu entwickeln.

Während Katja in all ihren widerstrebenden Facetten voller Wärme und Liebe gezeichnet ist, werden die anderen zu weit von der besonderen, reduzierten Gestaltung der Bilder aus dem Film gedrängt. Das Spiel zwischen der Fokussierung auf Katja einerseits, auf ihren Körper und ihre Wahrnehmung, und der Ausweitung auf eine widerständige Gemeinschaft andererseits generiert nie die nötige Spannung und so verflacht Nackte Tiere letztlich, ohne dem Schmerz seiner Figuren gerecht zu werden.

Nackte Tiere (2020)

„Nackte Tiere“ erzählt über die Zeit, in der man die Welt erobern könnte, wo man Faustschläge frisst, ohne mit der Wimper zu zucken, weil man weiß, dass da jemand ist, der einen auffängt und über den Schmerz des Abschieds, all das hinter sich zu lassen, für etwas, das man noch gar nicht kennt.  

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