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In „May, die dritte Frau“ schildert die Regisseurin und Drehbuchautorin Ash Mayfair die Situation einer 14-Jährigen im ländlichen Vietnam des 19. Jahrhunderts.

May, die dritte Frau (2018)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Selbstfindung im Dunst und Nebel

Viele Filmminuten vergehen, ehe in „May, die dritte Frau“ zum ersten Mal ein Dialog zu hören ist. Stattdessen lässt Regisseurin Ash Mayfair die Landschaft sprechen – und die Blicke der Protagonistin May (Nguyễn Phương Trà My). Die 14-Jährige soll die dritte Ehefrau des wohlhabenden Landbesitzers Hung (Lê Vũ Long) werden, den sie noch nie getroffen hat. Angesiedelt ist die Geschichte in einer Bergregion im Vietnam des 19. Jahrhunderts. Wir sehen, wie May in einem Boot den Fluss hinauf zu ihrer neuen Familie gebracht und dort empfangen wird. Mal wirkt ihr Gesichtsausdruck unsicher, mal neugierig, mal fasziniert, mal ängstlich. Relativ zu Beginn scheint es, als würde sie direkt in die Kamera schauen und uns damit zu Kompliz_innen ihres Blicks, ihrer individuellen Perspektive auf das Geschehen machen.

Es folgen die Hochzeitsfeier und die Hochzeitsnacht. Von Hungs anderen beiden Ehefrauen Lao (Nguyễn Như Quỳnh) und Xuan (Mai Thu Hường) wird May allmählich in den familiären Alltag eingeführt. Als sie schwanger wird, hofft May, einen Sohn zu gebären – da sie zu diesem Zeitpunkt schon erkannt hat, wie sehr Frauen unterdrückt werden. „Das Schicksal bestimmt über uns“, heißt es an einer Stelle. Doch letztlich ist May nicht bereit, sich passiv in die patriarchalischen Strukturen zu fügen. Sie entwickelt Gefühle für Xuan – und entdeckt, dass diese eine heimliche Affäre hat.

Wie kann Selbstfindung funktionieren, wenn andere darüber bestimmen (wollen), wer du bist? Die in Vietnam geborene und dort aufgewachsene Ash Mayfair wurde von Erlebnissen ihrer eigenen Familie zu ihrem Spielfilmdebüt inspiriert. Sowohl ihre Urgroßmutter als auch ihre Großmutter wurden in jungen Jahren verheiratet und lebten in arrangierten Ehen. Ihrer Heldin May weist sie zu keinem Zeitpunkt eine Opferrolle zu – sie fängt die 14-Jährige als feinsinnige Beobachterin ein, die ihr Umfeld genau erfasst. Dass die Solidarität unter den Frauen so stimmig dargestellt wird, hängt gewiss auch damit zusammen, dass (unter anderem) die Gewerke Kamera und Montage ebenfalls in weiblicher Hand – von Chananun Chotrungroy und Julie Beziau – waren. Wir sind dabei, wenn May, Xuan und Lao ohne Scheu über ihre Körper und über Sexualität sprechen. Und wir nehmen an unbeschwerten Momenten teil, wenn die Frauen herumalbern und singen. Feingefühl beweist Mayfair insbesondere auch in den Passagen, in denen sich May ihrer eigenen Lust gewahr wird – angeregt durch die ältere Xuan.

May, die dritte Frau bietet Bilder von symbolischer Kraft – etwa wenn die abgeschnittenen Haare eines Mädchens im Wasser treiben. Viele Kompositionen, die uns das Leben auf der Seidenplantage vermitteln, lassen in ihrer Ruhe an Aquarelle denken. Obendrein zeigt sich ein exakter Blick für historische Details. Das Set-Design und die Kostüme überzeugen; die Räume des Herrenhauses muten nicht wie Kulissen, nicht wie austauschbare Hintergründe für eine Tragödie an, sondern lassen uns spüren, wie es sich für May anfühlen muss, sich darin zu bewegen. In den Sequenzen, in denen die Familie gemeinsam beim Essen sitzt, sind die Regeln und Dynamiken greifbar. Mayfair hat keinen belehrenden Film gemacht – vielmehr einen erhellenden.

May, die dritte Frau (2018)

Gefangen in einem Netz aus Traditionen, muss die frisch verheiratete 14-jährige May im ländlichen Vietnam des 19. Jahrhunderts erkennen, dass ihre Freiheit einen enorm hohen Preis hat. Sie ist die dritte Frau eines reichen Grundbesitzers und kann ihren sozialen Status nur festigen, wenn sie ihrem Mann einen Sohn gebärt. Als sie tatsächlich schwanger wird, scheint der Aufstieg auf einmal in greifbare Nähe gerückt. Doch als ihr eine verbotene Liebe widerfährt, muss sie erkennen, dass sie keine Wahl hat.

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