El nido vacío

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Der schmale Grat zwischen Erinnerung und Fantasie

Sind die Katzen aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Normaler Weise verwenden wir dieses Sprichwort in Bezug auf Abende, an denen die Eltern ausgehen und ihre Kinder unbeaufsichtigt zu Hause lassen. In El nido vacío ist jedoch das Gegenteil der Fall: Nachdem die Kinder das Nest verlassen haben, brechen Mutter und Vater auf unterschiedliche Weise aus ihren ehemaligen Rollen aus.
Leonardo (Oscar Martínez) ist Schriftsteller. Obwohl Worte sein Metier sind, gehört die Kommunikation mit Familie und Freunden nicht zu seinen hervorstechenden Eigenschaften. Vielmehr ist er ein zurückgezogener Eigenbrötler, an dem die alltäglichen Ereignisse hin und wieder durchaus unbemerkt vorbeiziehen. So ist Leonardo auch vom Auszug seiner erwachsen gewordenen Kinder deutlich weniger getroffen als seine Frau Martha (Cecilia Roth), die ihre einsetzende Midlife-Crisis mit der Wiederaufnahme des Soziologiestudiums – inklusive Studentenleben – zu kompensieren sucht. Auf den Rat eines Bekannten hin bemüht sich jedoch auch Leonardo, die Routine zu durchbrechen und neue Wege zu gehen. Was zunächst lediglich bedeutet, sich mit der „nicht dominanten“ Hand die Zähne zu putzen, führt auch bald zu erotischen Sehnsüchten.

Weil seine Hauptfigur trotz literarischer Profession kein Freund vieler Worte ist, arbeitet auch Regisseur Daniel Burman an vielen Stellen nonverbal, lässt seine Figuren durch Blicke kommunizieren und transportiert die Stimmung der Geschichte in ebenso poetischen wie absurden Bildern. Sprache führt in seinem Film in den meisten Fällen zu Missverständnissen, wie beispielsweise in der Therapiegruppe, die Leonardo und Martha gemeinsam besuchen und die von Burman als weitgehend sinnfreie Veranstaltung inszeniert wird.

Im Gegensatz zu ihrem introvertierten Mann ist Martha eine unternehmungslustige Frau. Die Rollenverteilung bedient sich hier leider zu sehr dem Klischee des wortkargen, besonnenen Mannes und der geschwätzigen Frau, die mit ihrer sozialen Ader manchmal über das Ziel hinaus schießt. Auch wenn Danilel Burman zwei komplexe und grundsätzlich sympathische Hauptfiguren entwirft, schleicht sich doch an vielen Stellen das Gefühl des Altbekannten ein. Ehekrisen unterschiedlicher Ausformungen bevölkern den Film seit seinen Anfängen und was die Kommunikationsprobleme seiner Figuren angeht, scheint Burman mit seinem Film diesem Genre auch nichts Neues hinzuzufügen.

Interessanter gestaltet sich da das Spiel mit Realität, Fantasie und Erinnerung. Leonardos persönlicher Berater beschäftigt sich beruflich mit dem selektiven Erinnerungsvermögen von Alzheimerpatienten und so steht dieses Thema auch im Zentrum ihrer Gespräche. Mit dem Fortschreiten der Geschichte werden sich der Zuschauer und Leonardo selbst immer unsicherer, welche Teile real sind und welche sich nur im Kopf des Protagonisten abspielen. Die Lösung präsentiert gen Ende des Films der Schwiegersohn Leonardos in Reaktion auf eine umstrittene Familienanekdote. Die Unterscheidung zwischen Fantasie und Erinnerung sei vollkommen hinfällig, das Wichtige sei doch, es handele sich um eine gute Geschichte.

Mit dieser Einstellung ließe sich auch an El nido vacío herantreten, doch gehört die Handlung leider nicht zu den Stärken des Gesamtkonzepts. Die Geschichte kommt nur langsam in Schwung, eine Richtung ist schwer erkennbar, die Erzählung insgesamt undynamisch, so dass nur wenig Spannung aufkommen kann. Das ausufernde Familiendrama, das man in Anbetracht der Ausgangssituation vermuten könnte, tritt nicht ein. An einigen Stellen gleicht der dezente, aber treffende Humor das fehlende Tempo aus, insgesamt jedoch kann Daniel Burman seine Zuschauer nur schwer an die Geschichte fesseln. Auch das eher emotional gedeckelte Naturell der Hauptfigur Leonardo erschwert es, zu den Figuren eine engere Beziehung zu entwickeln.

El nido vacío kann sich trotz gekonnter Bildsprache, komplexer Charakterzeichnungen und philosophischer Dankanstöße leider nicht positiv von thematisch verwandten Beziehungsfilmen abheben. Ebenso wenig gelingt es Daniel Burman zum scharfsinnigen Humor eines Woody Allen aufzuschließen. Stattdessen gehört El nido vacío zum filmischem Mittelmaß, das niemanden verärgert, aber auch niemandem lange im Gedächtnis bleibt.

El nido vacío

Sind die Katzen aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Normaler Weise verwenden wir dieses Sprichwort in Bezug auf Abende, an denen die Eltern ausgehen und ihre Kinder unbeaufsichtigt zu Hause lassen. In „El nido vacío“ ist jedoch das Gegenteil der Fall: Nachdem die Kinder das Nest verlassen haben, brechen Mutter und Vater auf unterschiedliche Weise aus ihren ehemaligen Rollen aus.
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