Log Line

Die Sommer der Kindheit haben eine ganz eigene Magie und Wildheit, die sich jäh aus dem Leerlauf träger Tage herauskristallisieren kann. Daran erinnert das mit wenig Geld verwirklichte, aber beeindruckend sinnliche Spielfilmdebüt von Joya Thome.

Königin von Niendorf

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Sommertage voller Leerlauf und Abenteuer

Die Sommerferien haben begonnen im brandenburgischen Niendorf, aber für die zehnjährige Lea (Lisa Moell) ist das kein Grund zur Freude. Ihre vormals beste Freundin hat ihr kühl beschieden, dass sie in diesem Jahr nicht ins Sommercamp fährt, und so beschließt auch Lea, die Ferien daheim zu verbringen. Traurig sieht sie, wie die Mädchen aus ihrer Klasse den Heimweg nach der Schule gemeinsam antreten, während sie selbst allein mit dem Fahrrad unterwegs ist. „Irgendwie sind alle komisch geworden“, wird Lea dem Aussteiger Mark Wagenburg (Mex Schlüpfer) ihr Leid klagen. Der lässige Musiker ist ebenfalls ein Außenseiter im Ort und bekommt oft Besuch von Lea, die nun selbst sehen muss, was sie mit ihren freien Tagen anfängt.

Die Heldin im Spielfilmdebüt der Regisseurin Joya Thome, die mit Co-Autor Philipp Wunderlich auch das Drehbuch schrieb, ist also alles andere als eine Königin in Niendorf und ihre Stimmung von Hochgefühlen weit entfernt. Aber die Sommer der Kindheit haben etwas Magisches, ein abenteuerlicher Geist liegt in der Luft und da gibt es diese fünf Jungs der mysteriösen Kartoffelgang, die die Gegend unsicher machen. Lea will sich zu ihnen gesellen, aber als Mädchen stößt sie erst einmal auf völlige Ablehnung. Dann aber finden einige der Jungs, dass die schmächtige Lea gut durch das Kellerfenster des Feuerwehrmanns (Cornelius Schwalm) schlüpfen könnte, um seine suspekten Aktivitäten auszukundschaften. Gang-Anführer Nico (Denny Moritz Sonnenschein) findet dieses Argument überzeugend. Und so kommt es, dass Leas Sommerferien doch noch richtig aufregend werden.

Aber zunächst und auch zwischen den Abenteuern erlebt Lea, wie sich die Zeit schier endlos dehnt und ihre Wahrnehmung beinahe in einen Schwebezustand versetzt. Lea radelt zwischen den Feldern, lässt einen schillernden Rosenkäfer auf ihrer Hand krabbeln, sucht in der Weite und Stille nach noch so geringen Anknüpfungspunkten für eigene Handlungen und vor allem auch nach Zeichen menschlicher Gegenwart. Das Auge wird empfänglich für die Farben des Himmels zu verschiedenen Tageszeiten, das Ohr vernimmt das Zirpen der Grashüpfer, das ferne Quaken von Fröschen. Dann gibt es aber auch Szenen voller äußerer oder emotionaler Dynamik, in denen ein musikalischer Ohrwurm wie Lollipop oder Le vent nous portera die Originaltöne ausblendet oder sich die Bewegungen der Figuren in Zeitlupe verlangsamen.

Mit ihrer Sinnlichkeit und dem starken Einfühlungsvermögen in die Erlebniswelt von Kindern entwickelt die Geschichte Qualitäten, die an Célines Sciammas Tomboy oder an Johannes Schmids Blöde Mütze! erinnern. Joya Thome beweist eindrucksvoll, dass sich auch mit einem Budget von 20.000 Euro ein wunderbarer Film drehen lässt, wenn die Prioritäten richtig gesetzt werden. In diesem Fall hieß das, zu drehen, ohne auf Filmförderung zu warten, weil die Hauptdarstellerin Lisa Moell sonst schon zu groß für die Rolle geworden wäre. Die Regisseurin verbrachte ihre Ferien als Kind ebenfalls in Niendorf und castete die Darsteller der Kartoffelgang in der Umgebung. Authentizität ist sowohl das Markenzeichen der großartigen Lisa Moell als auch einiger Kinderdarsteller in Nebenrollen. In den Blicken, die beispielsweise Nico der mutigen Lea zuwirft, offenbart sich ein geradezu heiliger Ernst, wie er auch den Glauben an Schwüre, Geheimbünde und Parallelwelten der Kindheit kennzeichnet. Wer darin bereits eine Faszination für das fremde andere Geschlecht zu erkennen meint, liegt wohl auch nicht ganz falsch.

Die Erwachsenen sind auf diesem Kinderplaneten nur ziemlich ferne Lichter, die eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Sie können indifferent sein oder Probleme haben, die den Kindern manchmal interessant genug für kurze abenteuerliche Interventionen erscheinen. Hier verbringen Kinder ihre Tage noch weitgehend unbeaufsichtigt und kommen womöglich auf dumme Gedanken wie einer Mutprobe am Bahngleis. Aber eine wahre Welt ist eben eine, in der Sicherheiten an ihre Grenzen stoßen.
 

Königin von Niendorf

Die Sommerferien haben begonnen im brandenburgischen Niendorf, aber für die zehnjährige Lea (Lisa Moell) ist das kein Grund zur Freude. Ihre vormals beste Freundin hat ihr kühl beschieden, dass sie in diesem Jahr nicht ins Sommercamp fährt, und so beschließt auch Lea, die Ferien daheim zu verbringen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Barbara Helène · 05.11.2017

Herzlichen Glückwunsch zu diesem wunderschönen Film.
Man ist zurückversetzt in eine Zeit, die magisch dem Augenblick unterworfen war. Bei Lea fällt einem - auch wenn man nicht immer alles mit allem vergleichen muss - Evalotta ein, Astrid Lindgrens Figur aus den Kalle Blomquist Geschichten. Sie ist eine genauso starke und besondere Persönlichkeit wie Lea, und die beiden „Banden“, werden egtl erst dadurch vollständig, dass ein Mädchen mit dabei ist.