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Sie gilt als Mitinitiatorin der Ära des New Hollywood und ist zugleich umstritten wie kaum einer ihrer Kolleginnen. „What She Said: The Art Of Pauline Kael“ portraitiert die berühmte Kritikerin anhand der Filme, über die sie schrieb.

What She Said: The Art of Pauline Kael (2018)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Größer als die Realität

Frauen würden in der Kritik nicht so leicht akzeptiert, sagte Pauline Kael einmal in einem Fernsehinterview, weil es in dem Fach um analytisches Denken gehe und Männer sich in diesem Punkt gern als den Frauen überlegen ansähen. Pauline Kael dürfte das genau wissen. Denn wenn die berühmte Autorin des New Yorker auch als Mitinitiatorin der Ära des New Hollywood gilt, ihr Name auf zahlreichen Büchern prangt und bis heute dem Kritikernachwuchs als Vorbild gilt, so steht sie doch als Frau mit derartigem Einfluss in ihrer Branche und ihrer Zeit recht allein auf weiter Flur. Sie ist die große Ausnahme und damit der Mittelpunkt in Rob Garvers Dokumentarfilm „What She Said: The Art Of Pauline Kael“.

„She made Scorsese and Spielberg“, wissen talking heads, darunter Filmemacher und Kritikerkollegen, Historikerinnen und Kaels Tochter, gleich zu Beginn des Films zu verkünden, aber die wichtigsten Stimmen des Films gehören zwei anderen Protagonisten. Zum einen natürlich Pauline Kael selbst. Nicht nur in zahlreichen Mitschnitten aus Fernseh-Interviews taucht sie auf, sondern auch im geschriebenen Wort: Aus dem Off liest Sarah Jessica Parker Auszüge aus ihren Büchern und ihren Filmkritiken. Die andere wichtige Stimme gehört den Filmen selbst. Sichtlich beeinflusst von der Form der Videoessays nutzt Rob Garver thematisch montierte Szenencollagen, um von Kaels Werdegang zu erzählen. Geht es um die ersten Jahre ihrer Kindheit, die die 1919 Geborene auf einer Hühnerfarm im kalifornischen Hinterland verbrachte, sehen wir schwarzweiße establishing shots von Westerndörfern, und geht es um ihre Sprache, ihren vom Jargon geprägten, gewitzten Tonfall, sehen wir die weiblichen Stars der Screwballkomödien der 1930er Jahre mit ihrem frechen Mundwerk.

Wer genau wissen will, aus welchen Filmen Garver in What She Said: The Art Of Pauline Kael zitiert, muss für den Abspann sitzen bleiben: Hier montiert er in rascher Abfolge die Titelsequenzen sämtlicher Filme aneinander. Ein bisschen erinnert der Effekt an Guy Maddins The Green Fog, der mithilfe verschiedenster Film- und TV-Ausschnitte seine eigene Version von Hitchcocks Vertigo nacherzählt. In beiden Fällen gereichen die Filmbilder nicht nur als bloße Illustration. Nein, sie kommentieren, rekonstruieren auch die Realität – weil sie eben größer sind als die Realität.

Häufig muss man aber auch nicht erst bis zum Abspann warten, um die Filmausschnitte einzuordnen. Nachdem uns Rob Garver einen ersten Überblick über Kael verschafft hat, orientiert er sich für den Rest des Dokumentarfilms an den Meilensteinen ihrer Karriere. An legendär subjektiven Kritiken, Essays, Büchern also, in denen sich die Kritikerin nicht scheute, sich mit Filmemachern ungeachtet ihres etablierten Status anzulegen. Nicht umsonst gilt Pauline Kael bis heute umstritten. Die einen lasen sie, weil sie die gleichen Filme liebten wie sie, die anderen lasen sie, weil sie die Filme genau dafür liebten, wofür Kael sie hasste, so heißt es einmal. Wenn wir den Anfang von Hiroshima Mon Amour sehen und dazu Sarah Jessica Parkers Stimme aus dem Off liest, wie Kael genau diese Szenen verreißt, wenn sie argumentiert, dass es sich bei Citizen Kane in erster Linie nicht um das Werk von Orson Welles, sondern des Drehbuchautoren Herman J. Mankiewicz handele und Claude Lanzmanns Shoah kein guter Film sei, nur weil er ein wichtiges Thema behandele, dann stellt uns das auch als Zuschauer immer wieder vor die Herausforderung für uns selbst zu denken. Weder der offiziellen Geschichtsschreibung um der Geschichtsschreibung willen zu folgen, noch den Geschmacksurteilen Anderer, und seien sie noch so überzeugend begründet, blind zuzustimmen. Labels wie Kunst oder Trash nicht zu vertrauen.

Am Ende stellt What She Said: The Art of Pauline Kael die Frage, welche Bedeutung die Kritikerin wohl heute hätte. Und auch wenn man sich ihren bissig-knappen Stil wohl gut auf Twitter vorstellen könnte, ist die Frage letztlich müßig. Die Welt der Kritik, der Zeitungen, der Verlage und Publizisten ist eine völlig andere als noch im 20. Jahrhundert, und auch das Schreiben über Film selbst hat sich seit dem Ende ihrer Zeit beim New Yorker im März 1991 fundamental verändert. Die Antwort auf Kaels heutige Bedeutung ist in den vorangegangenen anderthalb Stunden des Films längst enthalten. Wenn sie etwa von wütenden Leserbriefen und Todesdrohungen erzählt, scheinen sich ihre Erfahrungen nicht sonderlich von jenen heutiger prominenter Journalistinnen zu unterscheiden. Nach wie vor steht Pauline Kael für jene Tätigkeit, dieses Fazit scheint What She Said: The Art of Pauline Kael zu ziehen, die sie selbst immer als ihren Traumjob bezeichnete: Mutiges, eigenständiges Denken.

What She Said: The Art of Pauline Kael (2018)

What She Said: The Art of Pauline Kael porträtiert die streitbare und umstrittene Filmkritikerin Pauline Kael (1919-2001) und ihren Einfluss auf die männerdominierten Welten von Film und Filmkritik. 

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