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„Shooting The Mafia“ ist ein Porträt der Fotografin Letizia Battaglia, die seit den 1970er Jahren die Verbrechen der sizilianischen Mafia dokumentiert. Ein Film mit gelegentlichen Tonfindungsschwierigkeiten, der dennoch ein gutes Gefühl für die Bedeutung ihrer Arbeit vermittelt.

Shooting the Mafia (2019)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Das Blut in den Straßen von Palermo

Auf den Fotos von Letizia Battaglia sind heruntergekommene Straßen und Gebäude in grobkörnigem, kontrastreichem Schwarzweiß zu sehen. Kinder und Frauen – Battaglia erzählt von einer Mutter dreier Kinder, die so müde war, dass sie nicht aufwachte als eine Ratte ihrem Säugling einen Finger abkaute. Außerdem auf Battaglias Bildern: Leichen, die noch in ihrem eigenen Blut liegen, Ermittler, hagere Frauen auf Beerdigungen, bei denen sie laut hustete, um das Verschlussklicken ihrer Kamera zu übertönen.

Letizia Battaglias Bilder sind stilistisch von der klassischen street photography geprägt, ihr Subjekt ist trotzdem mehr als das alltägliche Leben auf den Straßen. Es geht um eine ganze Stadt, eine ganze Insel unter der Kontrolle der Mafia. Kim Longinotto setzt in ihrem Dokumentarfilm Shooting The Mafia jener Frau ein Beispiel, die seit den 1970er Jahren die teils bürgerkriegsähnlichen Zustände auf Sizilien für die Welt sichtbar machte.

Zur Zeit der Filmaufnahmen ist Letizia Battaglia eine stattliche Frau um die 80, mit abwechselnd dunkelblondem, pinkem oder leuchtend orangerotem Pagenkopf, die beim Erzählen oftmals bäuchlings auf einem Bett liegt, so dass man nicht anders kann, als gelegentlich in ihren großen, faltigen Ausschnitt zu starren. Kim Longinotto scheint von ihrer Persönlichkeit mindestens ebenso fasziniert zu sein wie von ihrer Arbeit. In der ersten Hälfte des Films geht es deshalb fast ausschließlich um Battaglias persönliche Vergangenheit – eine frühe unglückliche Ehe und nach einem Zusammenbruch der Entschluss, ihrem Leben eine dramatische Wende zu verleihen. Später lebte die Fotografin immer wieder mit deutlich jüngeren Liebhabern zusammen, die Longinotto ebenfalls vor die Kamera holt. Hier liegt die vielleicht deutlichste Schwäche von Shooting The Mafia. Nicht nur sind Battaglias Beziehungsgeschichten viel weniger interessant als ihre Arbeit. Der Regie-Einfall, sie mit ihren ehemaligen Liebhabern an einen Tisch zu setzen und hoffentlich bedeutungsvolle Dinge über ihre gemeinsame Vergangenheit sagen zu lassen, wirkt auch schrecklich gezwungen.

Immer wieder hat Shooting The Mafia mit solchen Schwierigkeiten im Fokus und in der Tonalität zu kämpfen. Nachdem es etwa darum geht, dass ein wichtiges Oberhaupt der Cosa Nostra in den Mafiaprozessen der 1990er Jahre schuldig gesprochen wurde, lässt Longinotto Domenico Modugnos Schlager Nel blu dipinto di blu hören — nicht gerade der richtige Moment für schwelgerische Klänge. Einen ähnlichen Effekt haben gelegentlich die Ausschnitte aus italienischen Filmen, die die Regisseurin verwendet, um das Gesagte zu illustrieren. Meist orientieren sich diese Szenen in Optik und gezeigtem Milieu an Battaglias Fotos: Schwarzweiße Aufnahmen süditalienischer Kleinstädte und ihrer Bewohner. Und dann mitten drin und völlig unvermittelt: farbige Bilder des Lava spuckenden Etna, die verdächtig nach Füllmaterial riechen.

Trotzdem gewinnt der Film in seiner zweiten Hälfte deutlich an Zugkraft und Intensität. Wenn es nämlich um die Mafiaprozesse geht. Longinotto verwendet damalige TV-Aufnahmen von den Gerichtsverhandlungen, von den Schauplätzen der Attentate auf die beiden Staranwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, von ihren Beerdigungen und Anti-Mafiaprotesten der sizilianischen Bevölkerung und fängt so ein Bild von der damaligen, aufgeladenen Stimmung auf der Insel ein. Letizia Battaglia selbst wird hier zur Kommentatorin im Hintergrund. Sie habe es damals nicht über sich gebracht, Bilder der ihr eng vertrauten Verstorbenen zu machen, gibt sie etwa zu und: „Die Fotos, die ich nicht gemacht habe, schmerzen am meisten.“ In diesen Momenten in Shooting The Mafia wird einem Battaglias Bedeutung erst richtig bewusst. Dass es bei ihrer Arbeit eben nicht nur um Fotos geht, an denen es exzellentes Handwerk oder visuelle Schönheit zu schätzen gilt. Sondern vielmehr um eine Geschichtsschreibung, die direkt die Erfahrungen jener Leute miteinschließt und nachfühlbar macht, die täglich mit den Machenschaften der Mafia und den entsprechenden Konsequenzen leben müssen.

Shooting the Mafia (2019)

Shooting the Mafia widmet sich dem Leben und der Arbeit der italienischen Fotografin Letizia Battaglia, die jahrezehntelang die Morde der Mafia in Palermo dokumentiert hat.

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