The Zero Theorem (2013)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Das Universum als Witz und wir als die Pointe

Eine Art 3D-Version des guten alten Gameboy-Tetris-Spiels: Bausteinblöcke mit den kompliziertesten mathematischen Formeln müssen arrangiert und zusammengeführt werden zu einem mehrdimensionalen Welt-Algorithmus, sie fliegen um fragile Bauklotz-Konstruktionen, werden mit einem Handstreich eingepasst – und irgendwo im Hintergrund stürzt irgendwas krachend zusammen.

So sieht sie aus, die Suche nach dem Sinn des Lebens in Terry Gilliams The Zero Theorem: Christopher Waltz, mehr oder weniger nackt, sitzt vor einem riesigen Bildschirm und baut an einer Formel. Eine bildliche Darstellung unendlich komplizierter Denk- und Logikvorgänge, in Bauwerken manifestierte Berechnungen – visuell absolut überzeugend dargestellt, denn Gilliam ist noch immer einer der einfallsreichsten und phantasievollsten Filmemacher überhaupt.

Und er begibt sich filmisch noch immer auf die Suche nach dem Sinn des Lebens – er, der in der größten Unsinns-Truppe der Weltgeschichte Monty Python der Absurdeste war. The Zero Theorem ist denn auch überhaupt kein Wohlfühl-Poesiealbum-Film geworden mit banalen Antworten auf die großen Fragen des Lebens, Plattheiten wie „Lebe deinen Traum“ oder „Liebe überwindet alles“. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem „Zero Theorem“ fast so etwas wie eine philosophische Abhandlung, verpackt in eine bizarre Science-Fiction-Dystopie, die direkt an Brazil oder 12 Monkeys anknüpft. Auch in der Strategie, die Gilliam wählt: Ein verwirrendes Geflecht einander umschlingender und bekämpfender Handlungsstränge; verlorene Charaktere, die in ihre Welt geworfen wurden und sich nur in ihrer Phantasie, in ihren Obsessionen heimisch fühlen; eine vollgestopfte, überdeterminierte, unübersichtliche Welt permanenter Reizüberflutung, in der die Gegenwart der filmischen Zukunft sich aus den Reminiszenzen der Vergangenheit zusammensetzt in einem überwältigenden Retro-Design. Was Gilliam in diesem Film zum Ultimum bringt, ist die Verschränkung von Innen- und Außenwelt seines Protagonisten Qohen Leth, die ein logisches Begreifen der Handlung am Ende unmöglich macht – wissentlich und ohne Erklärung führt Gilliam den Zuschauer in ein Labyrinth der Verwirrung und Verschlingung, das keinen Ausgang hat. Allein für den Mut, sein Publikum auf diese Weise vor den Kopf zu stoßen, hat Gilliam höchste Achtung verdient.

Gilliam hat schnell und ziemlich kostengünstig gedreht, ein großes Budget bekommt er für seine Filme eh nicht mehr – doch schon immer war er ein Meister darin, seine Filme sehr viel teurer aussehen zu lassen, als sie sind. Und Gilliam lässt dabei nichts aus, trotz aller finanzieller Hindernisse: für zwei Minuten Film ließ er ein Set bauen, ein umgestaltetes Schwimmbad, in dem ein Tribunal von drei Ärzten Qohen untersucht, eine Dialogszene, die jeder andere Regisseur in ein Zimmer verlegt oder vielleicht gar weggelassen hätte. Die unökonomisch erscheinende Überdimensioniertheit der Mise en Scene gibt dieser Szene erst ihren Sinn – zu groß, over the top, völlig grenzenlos erscheint sie und sagt damit alles aus über die Überwältigungsmaschinerie, den Druck, den die filmische Welt, das Umfeld auf Qohen ausübt. Zu glauben, bei Gilliam regiere stets die Form über den Inhalt, das Übergroße erdrücke die Handlung, ist ein schlimmer Irrtum – denn wie Gilliam seine Filme präsentiert, das ist stets direkt verbunden damit, wie sich die Welt auf die Protagonisten auswirkt, als verwirrend, faszinierend, überwältigend, enervierend.

Wir folgen Qohen, mit „Q“ und ohne „u“, der von sich selbst in der „wir“-Form spricht, ein brillanter mathematischer Denker in selbstgewählter Isolation, ein obsessiver Irrer, der auf einen Telefonanruf wartet, der ihm den Sinn des Lebens beibringen soll; ein zurückgezogener Einzelgänger, der direkt unsere Sympathie hat, wie er nackig vor dem Computer sitzt und sich weigert, ins Büro zu gehen. Und wenn er dann doch raus muss aus seinem Refugium, einer alten, halbzerfallenen Kirche – dann erwartet uns ein Overkill von Gilliam-Fantasie, ein Straßenzug überfüllt mit kleinen, futuristischen Mini-Autos, bizarr gekleideten Passanten, Breaking News an den Häuserwänden und Werbevideos mit direkter Ansprache: Ein buntes Pop-Kaleidoskop, karikaturistisch, überwältigend, erschreckend. Wir befinden uns in einer Art orwellschen Zukunft, in die sich die Menschen huxleyhaft freiwillig fügen; ein Großkonzern löst einem alle Probleme und schenkt den Kunden ganz persönlichen Sinn. Hier arbeitet Qohen, irgendwelche Berechnungen in einem Bildschirm-Kabuff, bunte Reagenzgläser mit organischen Chemikalien wirken als Datenträger und Software, die beladen werden muss mit neuen Formeln und Wahrscheinlichkeiten – Qohen will raus. Und zuhause arbeiten.

Qohen wird der begehrte Homeoffice-Platz zugestanden – und eine wichtige Aufgabe wird ihm übertragen: Der Beweis des Zero Theorems, nach dem das Nichts 100% entspricht. Hier kommen die Tetris-Algorithmen ins Spiel. Und hier gerät Qohen, gerät der Film in die Sphären zunehmenden Wahnsinns. Sein direkter Vorgesetzter – die psychiatrische Software – der junge Computerspezialist Bob – und die schöne Bainsley, bei der er sich so geborgen fühlt: Sie alle sind irgendwann Hindernisse für Qohen, auf verquere Weise sind Unterstützung und Störung, Hindernis und Fortschritt ineinander verwoben für den soziophoben Qohen, der seine Freunde vor den Kopf stößt, seine Geliebte verbannt und sich einer (selbst)zerstörerischen Aufgabe hingibt – Illusionen und (Selbst)Täuschungen sitzt er auf; aber es ist kein Wunder, dass er nicht durchblickt.

Mit dem ihm eigenen absurden Humor findet Gilliam irrwitzige Situationen und bizarre Bilder, die einerseits als Gags für sich stehen und für sich Lacher erzeugen. Die andererseits verbunden sind mit dem großen Ganzen: Das geht von filmischen Verweisen etwa auf 2001: Odyssee im Weltraum oder Pi (dessen Protagonist Cohen heißt – ein Zufall?), über Gags der Ausstattung (das Taufbecken der umfunktionierten Kirche als Spüle) bis etwa zu Qohen und seinem Cybersex-Anzug, der ihn zu einem verkabelten Wichtelmann macht, mit dem er die schönsten Stunden am Strand bei stundenlangem Sonnenuntergang mit dem schönsten Mädchen verbringen kann und dabei doch allein ist, abhängig von vorprogrammierten Phantasieklischees und Softwaregefühlen. Und dann wieder gelingen Filmbilder, die man sich einrahmen und an die Wand hängen könnte, Porträts und Stillleben von klassischer Schönheit…

Und nie verliert Gilliam aus den Augen, was das innere Wesen des Films ausmacht: The Zero Theorem ist ein Film über den Sinn und das Paradoxon des Lebens. Über die Zwänge, denen Qohen entkommen möchte mit genau den falschen Mitteln; über die Selbsttäuschungen, die selbst einem anhedonischen Charakter wie Qohen so etwas wie Zufriedenheit vermitteln; über die Manipulationen, denen wir ausgesetzt sind und nicht entkommen können. Über die Illusion von Liebe, die zu wahrer Liebe wird – und diese bei Enttäuschung platzen lässt wie eine reife Frucht. Über die Verletzungen, die man seinen Liebsten zufügt, und über die falschen Freunde und falschen Ziele, denen man aufsitzt.

Und so gerät der Protagonist, gerät die Handlung in einen Strudel, der tatsächlich alles und nichts, innen und außen, ich und die Welt in eins setzt, der schwarze Löcher und Sehnsucht, Online und Offline, Wahn und Wunsch und Erkenntnis unentwirrbar ineinander vermengt: wo Heath Ledger im Kabinett des Dr. Parnassus seine eigenen Innenwelten betritt und dabei stets ein anderer wird, da saugt die Psyche Qohen auf und lässt ihn sich in Weltall und Strand, im pumpenden Herzen der Weltsinnmaschine verirren.

Wie es im Film heißt: Das Universum ist ein riesengroßer Witz, und der einzige Grund, warum wir nicht lachen, ist, dass wir die Pointe sind.
 

The Zero Theorem (2013)

Eine Art 3D-Version des guten alten Gameboy-Tetris-Spiels: Bausteinblöcke mit den kompliziertesten mathematischen Formeln müssen arrangiert und zusammengeführt werden zu einem mehrdimensionalen Welt-Algorithmus, sie fliegen um fragile Bauklotz-Konstruktionen, werden mit einem Handstreich eingepasst – und irgendwo im Hintergrund stürzt irgendwas krachend zusammen.

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Meinungen

Martin Zopick · 05.10.2021

Dieses gedankliche Konstrukt schwankt zwischen albernen Nichtigkeiten und nachdenkenswerten Ansätzen hin und her. Terry Gilliam, der Mann von den Monty Pythons, hat mit dieser Dystopie das Rad einer fiktiven Handlung bis an die Grenze des Verständlichen gedreht und damit alle Brücken zu seinen früheren, großartigen Filmen abgebrochen. (Ritter der Kokosnuss, Leben des Brian, Sinn des Lebens, Parnassus u.v.a.m.) Hier verhindern jetzt viele Passagen wegen des fehlenden Verständnisses beim Zuschauer, dass der superkomische Funken zündet und sich Horror breit macht.
In einer quietsche bunten Welt der Zukunft wird das Leben von der Werbung beherrscht. Das Volk hat keine Zeit mehr, die ihm verheißenen Wohltaten zu genießen und interessiert sich nur noch für Partys. Aus der Masse fällt das Computergenie Qohen (Christoph Walz ohne Haare!) heraus, der sein ganzes Leben auf einen Anruf wartet, der ihm den Sinn des Lebens erklären soll. Währenddessen verwickelt ihn Bainsley (Mélanie Thierry) ersatzweise in eine Lovestory. Der emotional gehandicapte Qohen kann ihr nicht folgen und verschwindet in einem schwarzen Loch. Sein Chef namens Management (Matt Damon) hatte ihm erklärt, dass er für das Projekt Zero Theorem nicht mehr gebraucht wird. Er hatte versucht mathematisch zu beweisen, dass die Welt in einem umgekehrten Urknall untergehen werde.
Das ist verstörend und erschreckend, weil es trotz aller Sci-Fi Aspekte nicht völlig ausgeschlossen werden kann.