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Ein dicht erzählter Bewusstseinsstrom: In „Oppenheimer“ zeigt Christopher Nolan den Entwickler der Atombombe, verkörpert von Cillian Murphy.

Oppenheimer (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Jubel/Schreie

Was soll ein großer Mainstream-Film, ein Blockbuster, ein Event-Movie in uns auslösen? Gute Laune, ließe sich annehmen. Spaß, Unterhaltung, Zerstreuung sollte er bieten – richtig? Doch die meisten der weltweit erfolgreichsten Kino-Hits erzählen von fiktiven Schlachten und von realen Katastrophen, von Haien und von Dinosauriern, die uns fressen wollen. Dass die Hoffnung Hollywoods nun unter anderem auf einem Film ruht, der vom sogenannten „Vater der Atombombe“ erzählt, ist deshalb vielleicht gar nicht so abwegig wie es zunächst scheinen mag. „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welt“, stellt der Protagonist fest. Und dies ist weder der Anfang noch das Ende seiner Heldenreise.

Vom ersten Augenblick an ist Christopher Nolans Oppenheimer ein Film voller Intensität. Ein rund dreistündiges Werk, das keine Rast kennt. Den Arbeiten des 1970 in London geborenen Drehbuchautors und Regisseurs wird oft vorgeworfen, dass in ihnen sehr, sehr viel geredet wird. Ihr Plot besteht zuweilen einfach nur daraus, dass sich die Figuren gegenseitig den Plot erklären müssen. Und wenn nicht gerade theoretisiert oder philosophiert wird, explodiert irgendwas. Labern plus Spektakel. Ist das die (ganze) Nolan-Formel?

Oppenheimer jedenfalls wirkt deutlich reflektierter. Er hat alle Ingredienzen eines gewaltigen audiovisuellen Erlebnisses. Er liefert sie uns indes eher als Splitter und Verzerrungen. Wenn J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) in einem Hörsaal vor einer begeisterten Menge, die in Würdigung seiner Leistung mit den Füßen trampelt, eine Rede hält, beben die Wände wie in einem Science-Fiction-Showdown. Als die Leute applaudieren, wandeln sich die erfreuten Gesichter in Oppenheimers Vorstellung in schmerzverzerrte, strahlenverseuchte Fratzen wie in einer Horror-Show. Hier kommt im Kopf der von Schuld geplagten Titelfigur dieser Big-Budget-Produktion das zusammen, was im Blockbuster-Kino seit jeher untrennbar miteinander verknüpft ist: Euphorie und Panik, Jubel (und) Schreie.

Auf Basis der Oppenheimer-Biografie von Kai Bird und Martin J. Sherwin beginnt Nolan sein Biopic in den Studienjahren des Physikers an der University of Cambridge. Wobei das Wort „beginnen“ im Grunde schon falsch und irreführend ist. Vielmehr springen wir in der Zeit hin und her, zwischen Farbe und Schwarzweiß. Feuer, Wasser, Kreide auf Grüntafeln. Entscheidungen und ihre Rechtfertigung in einer Anhörung mitten in der McCarthy-Ära. Privates, gar höchst Intimes und Berufliches – alles geht ineinander über. Als Leiter des Manhattan-Projekts in New Mexico rekrutiert Oppenheimer ein Team aus Akademiker:innen, um eine nukleare Massenvernichtungswaffe zu entwickeln. Wie Superheld:innen – oder Superschurk:innen? „Wir haben keine Wahl“, heißt es. Sie müssen schneller als die Nazis sein. Und gewiss wird spioniert. Paranoia, eine tickende Uhr, ein Countdown, ein großer roter Knopf. Oppenheimer ist Spannungskino, das sich darüber bewusst zu sein scheint, wie ambivalent die Tatsache ist, dass wir den Tod und die Zerstörung bejubeln oder verklären.

Es gibt, wie bei Nolan üblich, etliche pathetische Sätze. „Kannst du die Musik hören, Robert?“, wird der junge Oppenheimer von Niels Bohr (Kenneth Branagh) gefragt, als es um das Erfassen der Quantenphysik geht. „Was passiert mit Sternen, wenn sie sterben?“, haucht Oppenheimer selbst an einer Stelle nachdenklich dahin. Aber es gibt auch Passagen, die das Pathos ganz wunderbar zertrümmern. Eine Audienz im Oval Office bei Präsident Truman (Gary Oldman) ist wahrlich kein strahlender Moment in Oppenheimers Leben. Medaillen, Schulterklopfen, Händeschütteln – das muss nicht unbedingt dankbar-ehrfürchtig angenommen werden, wie Oppenheimers Gattin Kitty (Emily Blunt) eindrücklich demonstriert. Männer von Rang und Namen sollten sich womöglich nicht so wichtig nehmen, wirft ein namenloser Senatshelfer (Alden Ehrenreich) in einer finalen Sequenz treffend ein.

Egoistische und schreckliche Menschen seien sie, meint Oppenheimer über sich und seine Frau. Sie sind kein Traumpaar, gehen allerdings gemeinsam durchs Feuer. Liebe, Romantik und Sex – auch das kommt in Event-Movies fast immer vor, am Rande des Krawalls. Und wir haben das längst akzeptiert, dass zwischen Schiffsuntergang, (Sternen-)Krieg oder Verfolgungsjagd ein bisschen geflirtet, geknutscht und geschmachtet wird. Hier kommt die Erotik ausgesprochen absurd daher, zwischen Gesprächen über Marx und Psychoanalyse, wenn Oppenheimer und die Kommunistin Jean (Florence Pugh) vorübergehend zueinanderfinden. Abermals liefert der Film, was gemeinhin verlangt wird – und geht dabei doch einen seltsamen eigenen Weg.

Ebenso wie er uns einen cineastischen Himmel voller Stars, von Robert Downey Jr. über Matt Damon und Josh Hartnett bis hin zu Rami Malek, präsentiert. Berühmtheiten, die glamouröse Comic-Helden, Agenten und Astronauten, tapfere Soldaten, Pop-Idole und Bond-Bösewichte gespielt haben – und jetzt in Oppenheimer vor allem reden, ja. In einem Werk, das (dennoch) 180 Minuten lang Wucht hat. Dank der assoziativen Montage der Ebenen, der zahlreichen Brüche und Irritationen. Und nicht zuletzt dank Cillian Murphy im Zentrum – einem Schauspieler, der mit seinen markanten Zügen zum Charakterdarsteller in Nebenparts geboren zu sein scheint. Dass er hier wiederum die Hauptrolle spielt, passt perfekt zu diesem Film, der viele Erwartungen erfüllt und zugleich widerständig ist.

Oppenheimer (2023)

„Oppenheimer“ von Christopher Nolan erzählt die Geschichte des „Vaters der Atombombe“, dem amerikanischen Physiker J. Robert Oppenheimer. 

Als dem theoretischen Physiker Julius Robert Oppenheimer 1942 die wissenschaftliche Leitung des „Manhattan-Projekts“ zum Bau einer Atombombe anvertraut wird, ahnen weder er noch seine Frau Kitty, welche ungeheuren Auswirkungen dies auf die Menschheit haben wird. Konfrontiert mit den Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki wendet sich Oppenheimer gegen seine eigene Schöpfung und gerät schließlich ins Visier des FBI.

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Meinungen

Brigitte · 21.07.2023

Der Film ist mal wieder an der Wahrheit vorbei geschrammt. Es wurde alles mitgenommen, sogar die kleinen Nägel.....

Olaf · 25.07.2023

Brigitte, und wie gefiel Dir letztendlich der Film? Reingehen oder lieber draußen sonnen?

Katriina · 27.07.2023

Der Film war sehenswert. Ich bin geboren 4 Stunden später als der Trinitas in Los Alamos gesprengt wurde und einen Tag vor dem Beginn der Pozdamer Konferenz. Zeitgeschichte. Unbedingt reingehen. Sonnen kann man noch genug.