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Mit seinem zweiten Film Roman J. Israel, Esq. erforscht Nightcrawler-Regisseur Dan Gilroy bereits zum zweiten Mal die Korrumpierbarkeit des Menschen: Nach dem Tod seines langjährigen Partners steht ein idealistischer Anwalt vor dem Nichts. Eine düstere Verwandlung nimmt ihren Lauf.

Roman J. Israel, Esq. - Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit (2018)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Strohmänner vor Gericht

Roman J. Israel, Esq. ist ein Mann aus einer anderen Zeit. Sein staubiges Büro wird von alten Folianten beherrscht, statt moderner Software verwendet er immer noch Karteikarten. Vor allem aber ist er ein idealistischer Aktivist der alten Schule, beseelt vom Geist einer anderen Zeit: ein Kind der Bürgerrechtsbewegung. In seiner Wohnung hängen Porträts von Muhammad Ali und Angela Davis.

Den Anwaltstitel Esquire trägt er wie den Familiennamen eines Partners — und anstatt dessen: Der Beruf ist Berufung, der Kern seines Wesens. Selbstlos hat er für Dekaden im Schatten seines Partners William Jackson gearbeitet. Als dieser einen Herzinfarkt erleidet, wird Roman gefeuert und steht vor der großen Leere. Eine Verwandlung beginnt. 

Dan Gilroys Drama verhandelt mit jedem Bild den Konflikt zwischen Idealismus und Egoismus und zeigt diesen vor allem anhand von Hauptdarsteller Denzel Washington. Ungefähr bis zum Mittelpunkt der Geschichte verfolgen wir seinen hiobartigen Abstieg. In seinem Debütfilm Nightcrawler skizzierte Gilroy die Geschichte eines Mannes, der seinen moralischen Kompass nach der Logik des Marktes gepolt hat. Eine Parabel von der menschlichen Korrumpierbarkeit. Roman J. Israel, Esq. führt dieselben Motive fort und erzählt eine Geschichte eines Gefallenen und Verführten.

Washington spielt Roman als miserabel gekleideten Querulanten-Nerd mit unbeherrschtem Watschelgang. Seine billigen Anzüge hängen wie Säcke an ihm, seine Afrofrisur steht chaotisch im Wind und seine Streberbrille muss er regelmäßig mit dem Zeigefinger zurück auf die schwitzige Nase schieben. Washingtons Tick-Repertoire scheint unerschöpflich und reicht vom unaufhörlichen Krawattenzupfen bis hin zu Blinzel-Orgien. Seine Schultern hängen wie ausgekugelt. Nein, eine subtile Darbietung ist es wirklich nicht, und deshalb wohl auch eine Oscarnominierte. Szene um Szene hebt seine Andersartigkeit hervor. Die Menschen halten ihn im besten Fall für einen Savant, meist jedoch eher für einen Freak.

Er spricht in bedeutungsschwangeren Monologen, die oft genau so pathetisch wie inhaltslos sind. Mit seinem eidetischen Gedächtnis und seinen starken Überzeugungen durchbricht er immer wieder Routine und Rituale, was seine Popularität nicht steigert. Selbst Menschen, denen seine Weltanschauung nicht fremd ist, belächeln ihn: Als er bei der politischen Organisation von Maya (Carmen Ejogo) nach einem Job fragt, wird er abgewiesen. Später lädt sie ihn dazu ein, vor einer Gruppe junger Aktivisten zu sprechen. Zwei falsche Sätze später liegt seine Unkenntnis der zeitgenössischen Diskurse bloß und er wird verstoßen. Immer wieder sucht er Solidarität und Komplizenschaft, meist ohne Erfolg. 

Gilroy sucht unmissverständliche Bilder, die durch die Dialoge noch einmal deutlicher werden. Roman schleppt einen massiven Aktenkoffer mit sich herum, im wahrsten Sinne des Wortes „baggage“ aus seiner Vergangenheit. Enthalten sind gesammelte Fälle, die das bestehende Justizwesen radikal verändern könnten – eine Art emotionaler MacGuffin. Wenn Williams neben Roman im Krankenbett liegt, dann ist in jeder Sekunde klar, dass wohl auch seine Ideale von Maschinen am Leben erhalten werden müssen. Den metaphorischen Stecker zieht er für Anwalt George Pierce (Colin Farrell), seinen persönlichen Mephistopheles, der ihm einen gut bezahlten Job anbietet, ohne die Last von Moral und Verantwortung. 

Der Film beginnt mit massiven, schwarzen Lettern, die in ein Textverarbeitungsprogramm gehämmert werden. Die Präsenz der Buchstaben und Worte fühlt man leider auch in jeder weiteren Minute des Films. Immer wieder schimmert das Drehbuch hinter den Bildern hervor. Die Szenen wirken zu konstruiert, zu exemplarisch, nicht von einem eigenen Rhythmus beherrscht, sondern von einem Beat Sheet. Die Kamera folgt den Figuren blindlings und mit papierenem Rascheln, einzig ein langer Abstieg in die Unmoral, von den Dächern der Wolkenkratzer hinab zu Romans erstem Vergehen, tief in den Häuserschluchten, auf dem Boden der Tatsachen, bleibt in Erinnerung.

Der lustvollen Dekonstruktion des moralisch Guten fehlt der satirische Biss von Nightcrawler, und Washingtons Hauptfigur die Manie. Fielen Form und Inhalt beim mechanisch-kalten Debüt noch lückenlos zusammen und verschmolzen zu einer bösartigen Apparatur, gelingt dieses Manöver hier zu selten. Die ironische Inspirationsmusik weicht patriotisch pathetisierenden Blechbläsern, die wohl leider ernst gemeint sind. Roman bleibt ganz Idee, ein dramaturgischer Crashtest-Dummy.

So wirkt etwa der Seitenwechsel zum glatten Karrierismus ruckartig, wie ein Aufprall, obwohl er sich eigentlich mit Fanfaren angekündigt hat. Jede plötzliche Wendung kündigt die nächste an, und so sieht man alle weiteren (bis hin zu den finalen) lange im Voraus kommen. Weil der Aktivisten-Roman eine Cartoonfigur war, bleibt es auch der Duck a l’Orange konsumierende Pseudo-Gordon-Gekko, der ihm entwächst. Es bleibt mutloser Spott, der niemanden trifft und den keiner als Herausforderung begreifen wird. Gilroy arbeitet auf Sparflamme. Es gelingt ihm nicht einmal, die Strohmänner abzubrennen, die er selbst aufgebaut hat.

Roman J. Israel, Esq. - Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit (2018)

Roman Israel ist ein hochmotivierter Pflichtverteidiger, dessen Leben im völlig überlasteten Justizapparat von Los Angeles völlig auf den Kopf gestellt wird. Nach dem Tod seines Mentors, einer Ikone der Bürgerrechtsbewegung, wird er von einem Unternehmen angestellt, das von dem Anwalt George Pierce, der früher bei Romans Mentor studierte, geleitet wird. Dort trifft er die glühende Gleichberechtigungsaktivistin Maya Alston, doch er verliert im Lauf der Zeit immer mehr den Kontakt zu seinen eigenen politischen Idealen.

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