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Martin McDonagh inszeniert mit seinen Stars aus „Brügge sehen… und sterben?“ eine schwarze Komödie über Freundschaft, Esel und Irland.

The Banshees of Inisherin (2022)

Eine Filmkritik von Christoph Dobbitsch

I just don’t like you no more

Auf einer kleinen, irischen Insel passiert das Undenkbare: Colm macht seine Tür nicht auf! Und das, obwohl er zu Hause ist und sein bester Freund klopft. Aus dieser ungeheuerlichen Kleinigkeit spinnt Regisseur Martin McDonagh eine eigenwillige Tragikomödie, die ihn nicht nur mit seinen Stars aus „Brügge sehen… und sterben?“ (2008) vereint, sondern auch zu seinen Wurzeln als Theaterautor zurückführt.

Wir schreiben das Jahr 1923 und der irische Bürgerkrieg wütet. Ein Land in Aufruhr, am Scheideweg der Geschichte. In The Banshees of Inisherin werden wir davon nichts sehen, außer ein paar Rauchwölkchen am Horizont, wenn der Wind ungünstig steht. Die Weltgeschichte tobt sich jenseits des Inselchens Inisherin aus und ist nur eine Fußnote in der vergleichsweise unbedeutenden Begebenheit, die sich dort abspielt: Pádraic (Colin Farrell) will seinen besten Freund Colm (Brendan Gleeson) wie jeden Tag mit in den Pub nehmen, aber der hat keine Lust darauf. Der Grund dafür: „I just don’t like you no more.“

Der Film trägt unverkennbar die Handschrift seines Regisseurs Martin McDonagh: Eine gehörige Prise schwarzer Humor würzt eine Geschichte über Schuld, Vergebung und persönliche Fegefeuer. Meisterhaft dirigiert er ein großes Figurenensemble, in dessen Zentrum seine alten Weggefährten Colin Farrell und Brendan Gleeson hervorragende Leistungen abliefern. Eine weitere Lieblingsperformance bietet Kerry Condo, die mit Schlagfertigkeit und Verstand gegen den Wahnsinn auf der Insel kämpft. Doch auch der Rest des Ensembles sorgt dafür, dass die Geschichte ihre Stimmung halten kann: Von tragenden Nebenrollen bis hin zur täglichen Pubgesellschaft scheint hier jede Figur zu leben und zu atmen.

Wie in früheren Werken spielt neben den Personen auch der Schauplatz eine Hauptrollte: Damals waren es Brügge (Brügge sehen… und sterben?), Los Angeles (7 Psychos) und Ebbing (Three Billboards Outside Ebbing, Missouri), dieses Mal ist es Inisherin. McDonagh kehrt mit diesem Setting zu seinen Ursprüngen zurück, denn bevor er ins Filmgeschäft einstieg, war er Theaterautor und verfasste bereits Stücke über die beiden anderen Aran-Inseln vor der irischen Küste. Eine Trilogie, die nun mehr als 20 Jahre später eine filmische Vollendung findet. Die Leinwand bot für ihn stets die Gelegenheit, seine Spielorte prägnant in Szene zu setzen – und auch dieses Mal schwelgt er in ästhetischen Bildern: Fast geisterhaft schwebt die Kamera zu Beginn des Films aus einer Wolkendecke über grüne Felder, steinige Klippen und das aufgewühlte Meer, während folkloristische Musik die Szenerie untermalt. Wie in früheren Werken beschwört McDonagh verspielt eine nostalgische Märchenwelt herauf, ein ideales Abziehbild eines wirklichen Ortes, um sie dann genüsslich zu demontieren.

Diese Demontage kann zuweilen an die Nieren gehen, denn recht früh wird klar, dass die Inselbewohner von einer winzigen Apokalypse zur nächsten stolpern. Nachdem das erste Mal Blut fließt, mischt sich ein Suspense-Film in die komödiantische Prämisse: Die unbeholfene Liebeserklärung am See könnte mit einem herzlichen Lacher oder einer Leiche enden, der lange Blick auf den Haushund ist vielleicht sein Todesurteil oder nur der Auftakt zum Gassigehen. In den Momenten, in denen die letzte Wendung einer Szene klar wird, fällt einem entweder ein Stein vom Herzen oder selbiger mit Wucht auf den Kopf. Diese Dramatik verstärkt sich durch die ständige Repetition der Geschichte, in der Figuren immer wieder die gleichen Fehler begehen und permanent gegen Wände laufen. Ist eine Situation glimpflich ausgegangen, passiert schon bald etwas Ähnliches und könnte in einer Katastrophe enden.

Obwohl dieser Erzähltakt an manchen Stellen bewusst die Story zum Stillstand bringt, bleibt die sture Hartnäckigkeit der Figuren nachvollziehbar, denn im irischen Inselkosmos scheinen selbst die simpelsten Dinge unerreichbar: eine Partnerin für Dorftrottel Dominic, ein Platz am Kamin für den Esel Jenny, ein guter Freund für Pádraic. Einzig Colm hat größte Ambitionen und träumt davon, seine Komposition von Banshees of Inisherin zu vollenden.

Aber vielleicht ist nicht einmal das die ganze Wahrheit. Möglicherweise ist die Situation eine Allegorie auf den Bürgerkrieg, vielleicht treiben tatsächlich Geister aus der irischen Mythologie ihr Unwesen auf Inisherin oder aber die Menschen (und Esel) sind derart verirrt im Leben, dass sie selbst nicht wissen, was sie wollen. Anstatt klare Motivationen und Figurenbögen zu bieten, wird hier etwas urtümlicheres, etwas verzwickteres abgeliefert, kein Bogen, sondern eher ein Figuren-Rorschachtest, dem es gelingt in fast allen Momenten sowohl die Spannung zu halten, als auch in regelmäßigen Abständen gehörige Lacher zu produzieren. Die Reise nach Inisherin wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet und das ist eine sehr gute Entscheidung.

Ein wiederkehrendes Thema im Film ist die Frage, ob das eigene Leben Großartiges erschaffen muss, oder ob es nicht völlig ausreicht, wenn man sich mit seiner Banalität zufriedengibt. McDonagh scheint als Antwort auf diese Frage einen Mittelweg gefunden zu haben und bettet in seine triviale Erzählung Momente der Großartigkeit ein, die eine explosive Mischung verursachen. Banshees of Inisherin wirkt zwar eine Nummer kleiner als seine früheren Werke, aber zieht genau hieraus seinen Charme und besticht durch leise Zwischentöne, clevere Charakterkonstellationen und nicht zuletzt durch subtile Mehrdeutigkeit. In McDonaghs übersichtlichem Film-Œuvre kann sich dieser Film vielleicht nicht ganz an die Spitze kämpfen – dafür machen Brügge und Three Billboards ihre Sache zu gut –, aber wer bereit ist, für jeden Witz auch eine Wunde in Kauf zu nehmen und sich noch Tage später in einem gemütlichen Pub ein paar Gedanken machen will, hat ein echtes Filmerlebnis in Aussicht. Möglicherweise ist die schrullige Farce über Freundschaft und geschlossene Türen wahrhaftiger und irischer, als es ein Schlachtenepos über den Bürgerkrieg je sein könnte.

The Banshees of Inisherin (2022)

Padraic (Colin Farrell) und Colm (Brendan Gleeson) leben auf einer abgelegenen Insel an der Westküste von Irland. Sie sind schon ihr Leben lang Freunde. Der Schrecken ist groß als Colm plötzlich beschließt, ihre Freundschaft zu beenden. Mit der Unterstützung seiner Schwester Siobhan (Kerry Condon), die zusammen mit dem Sohn des örtlichen Polizisten Dominic (Barry Keoghan) ihre ganz eigenen Probleme in der kleinen Inselgemeinde hat, versucht der am Boden zerstörte Padraic, ihre Freundschaft wieder aufleben zu lassen. Doch Colm stellt ihm ein schockierendes Ultimatum, um seine Absicht klarzumachen. Die Ereignisse beginnen zu eskalieren und komplett aus dem Ruder zu laufen. 

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Meinungen

Eva · 28.02.2023

So furchtbar schade, daß ich meine Zeit mit diesem Film verschwendet habe!

Martin Zopick · 13.02.2023

Regisseur Martin McDonagh (auch Drehbuch) hat ein Portrait der irischen Seele versucht und den Zusammenhang zwischen Leben und Mythologie aufgezeigt, der für die Insulaner anscheinend so wichtig ist. Kaum zu glauben, als der ältere Colm (Brendan Gleeson) aus heiterem Himmel seinem jahrelangen, jüngeren Freund Padraic (Colin Farrell) die Freundschaft kündigt, weil er ihm auf einmal zu einfältig ist. (‘I just don’t like you no more.) Als Padraic Colm weiterhin nachstellt, droht dieser ihm, bei jeder weiteren Belästigung sich einen Finger der linken Hand abzuschneiden. Das abgeschnittene Teil wirft er Padraic an die Haustür. Die schlimmste Bestrafung für jemanden der Geige spielt. Es folgt eine Gewaltspirale, in der beide fast alles verlieren, was ihr Leben lebenswert machte: Padraics Schwester Siobhan (Kerry Condon) verlässt die Insel, seine Eselin Jenny stirbt, weil sie Colms Finger gefressen hat. Die Inselälteste Mrs. McCormick (Sheila Flitton) erscheint als Banshee und sagt den Tod voraus. Colms Hütte wird ein Raub der Flammen…
Trotzdem stehen beide am Ende am Strand und schauen aufs Meer. Für Regisseur McDonagh gibt es keine Lösung, wie in Konflikten mit persönlicher Kränkung üblich. Dann könnte die Pointe der Shortstory von Liam O’Flaherty ‘The Sniper‘ eine Lösung offerieren: Colm und Padraic erkennen, dass sie Brüder sind…Ende des Roulettes.
Wie die beiden Ex-Freunde da so am Strand stehen, könnte man auch an die unerfüllten Filmtitel wie Wenn Katelbach kommt oder Warten auf Godot denken. So ist das nun mal bei einem offenen Ende…Da blüht die Spekulation.

Martin Zopiock · 11.02.2023

Regisseur Martin McDonagh (auch Drehbuch) hat ein Portrait der irischen Seele versucht und den Zusammenhang zwischen Leben und Mythologie aufgezeigt, der für die Insulaner anscheinend so wichtig ist. Kaum zu glauben, als der ältere Colm (Brendan Gleeson) aus heiterem Himmel seinem jahrelangen, jüngeren Freund Padraic (Colin Farrell) die Freundschaft kündigt, weil er ihm auf einmal zu einfältig ist. (‘I just don’t like you no more.) Als Padraic Colm weiterhin nachstellt, droht dieser ihm, bei jeder weiteren Belästigung sich einen Finger der linken Hand abzuschneiden. Das abgeschnittene Teil wirft er Padraic an die Haustür. Die schlimmste Bestrafung für jemanden der Geige spielt. Es folgt eine Gewaltspirale, in der beide fast alles verlieren, was ihr Leben lebenswert machte: Padraics Schwester Siobhan (Kerry Condon) zieht aus, seine Eselin Jenny stirbt, weil sie Colms Finger gefressen hat. Die Inselälteste Mrs. McCormick (Sheila Flitton) erscheint als Banshee und sagt den Tod voraus. Colms Hütte wird ein Raub der Flammen…
Trotzdem stehen beide am Ende am Strand und schauen aufs Meer. Für Regisseur McDonagh gibt es keine Lösung, wie in Konflikten mit persönlicher Kränkung üblich. Dann könnte die Pointe der Shortstory von Liam O’Flaherty ‘The Sniper‘ eine Lösung offerieren: Colm und Padraic erkennen, dass sie Brüder sind…

Chris · 24.01.2023

Offenbar triggert dieser Film die Emotionen - zumindest bei der Kritik. Die einen fanden ihn grandios, die anderen grottenschlecht. Nun ja - er ist sicherlich langatmig, und die bedrückende Enge der vor hundert Jahren auf einer irischen Insel transportieren sich so gut, dass es einen im Kino fröstelt. Ich kann allerdings auch kein Meisterwerk in diesem Film sehen -und arg konstruiert ist er meiner Meinung nach auch. Wer es aber schafft sich auf den manchmal etwas zähen Film einzulassen und wer absurdes mag, der wird den Film entweder mögen oder sogar begeistert sein. Ich fand ihn - ehrlich gesagt - vor allem anstrengend.

Olaf · 23.01.2023

Ich verstehe nicht die Lobhudeleien um diesen Film. Er ist ok, aber auch nicht mehr. Motive werden nicht benannt und nur schöne Landschaften reichen für mich nicht aus. Dann schaue ich mir lieber 2x hintereinander Babylon an. Das ist gutes Kino.

JS · 23.01.2023

Ja der Film hat schöne Landschaftsbilder, aber leider auch sehr viele unschöne Bilder, die lange haften bleiben und sicherlich nicht alle dramaturgisch notwendig gewesen wären.
Eine platte Geschichte von zwei dickköpfigen, in ihren Nöten und Problemen unbeholfenen Männern, deren einziger Ausweg die Gewalt ist. Der eine verstümmelt sich selbst, um dem anderen zu Schaden. Der andere will ihn dann umbringen. Woher das alles kommt, was die Menschen wirklich umtreibt bleibt unklar. Die Charaktere sind flach und unglaubwürdig.
Insgesamt ein eher unerfreuliches Kinoerlebnis.

wignanek-hp · 04.01.2023

Der Rezensent spricht mir in Vielem aus dem Herzen. Und es ist gut, dass er sich Zeit lässt, die Komplexität der Handlung zu erfassen. Aber an welcher Stelle kann man in diesem Film lachen? Was macht ihn zur Komödie, meinetwegen zu einer schwarzen? Für mich ist dieser Film KEINE Komödie! Wenn wir schon die Genreschubladen bemühen müssen, entspricht er eher einer archaischen griechischen Tragödie. Oder man könnte ihn eine Parabel nennen auf toxisches, vor allem männliches Verhalten, das auch den friedlichsten, genügsamsten Menschen zum Täter macht und in letzter Konsequenz auch die eigenen Ambitionen zerstört. Der Film ist bitterböse bis zu seiner letzten Einstellung und gönnt dem Zuschauer keinen wenigstens noch so kleinen Relief wie die „Billboards“.
Vielleicht ist es gerade diese Erbarmungslosigkeit, die verstört. So etwas kann doch nur eine Komödie sein!

Monika Himsl · 14.01.2023

Also ich konnte schon ein paar Mal herzlich lachen. Aber im Grunde war es mehr tragisch als komisch. Beides surreal überzogen. Was der Kritiker auslässt, ist die Darstellung des Weiblichen. Einerseits das weibliche Publikum im Pub und die Sängerin. Männer an Instrumenten und in der Komposition und Musikwissenschaft die Frau als Liedinterpretin, fachkundiges Publikum mit teils fundierzem Wissen und wohl gerne auch am Tanzboden.
Die nicht ewig selbstaufopfernde, kluge und gebildete Schwester, die sich dann doch entschließt, dem Wahnsinn der Insel zu entfliehen, die tüchtige Kauffrau als Umschlägerin der Nachrichten von Nah aber vor allem Fern. Und dann die gruselige, mystische Alte mit ihrem Hakenstock, der Tabakspfeife und dem schwarzen Umhang, mit der man lieber nichts zu tun haben möchte. Die Landschaftsbilder sind großartig...

Maria St. · 17.01.2023

Ihr Kommentar über den Film entspricht genau meinem Empfinden. Komödie? Sogar sogenannte schwarze Komödien sind humorvoller. DasLeben dieser Insulaner auf diese brutale Art darzustellen wird den Menschen nicht gerecht. Es verstört und lässt den Betrachter allein mit seinem Entsetzen. Kein Funken Verständnis entsteht für das Agieren des Colm - keine Rechtfertigung für das Leid das er seinem Freund durch seine Selbstaggression antut. Vor allem entsteht ein verzerrtes Bild der dortigen damaligen Bevölkerung. Ich empfehle die Bücher von Peg Sayers (1873-1958)einer Fischersfrau auf Great Blasket ,die in ihrem Buch „so irisch wie ich „ oder Tomas O‘Crohans „Die Boote fahren nicht mehr aus“ einen wahren Blick geben auf die Lebensumstände I dieser einsamen kargen Inseln. Zur Aufarbeitung.