The Master (2012)

In die große Leere

Paul Thomas Anderson gehört zu den wenigen wirklich großen zeitgenössischen Autorenfilmern des US-amerikanischen Kinos. Seine beachtliche Filmkarriere, die Werke wie Magnolia, den wunderbaren Boogie Nights, den sträflich unterschätzten Punch-Drunk Love und den weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgefeierten There Will Be Blood umfasst, hat ihn abseits der Konventionen des Mainstream-Kinos als Regisseur etabliert, der viel eher Romancier ist als Filmemacher. All seine Filme zeichnen sich durch eine literarische Qualität aus, die ihn in der Welt der Bücher auf eine Ebene mit Autoren wie Jonathan Franzen, Don DeLillo und Thomas Pynchon stellen würde – unter den Filmemachern seiner Generation ist Anderson hingegen beinahe schon ein Solitär. Auch mit seinem neuen Werk The Master, das seine Uraufführung beim Festival von Venedig 2012 erfuhr, strickt Anderson weiter am eigenen Mythos – und wie so häufig bei großen Schöpfungen braucht es erst eine ganze Weile und viel Abstand, um die Gigantomanie, die Megalomanie des Weltentwurfs in voller Wucht zu begreifen.

Ins Gerede geriet The Master schon im Vorfeld, als erste Details über den Plot bekannt wurden. Der Film, so hieß es im Vorfeld, sei eine Art Schlüsselwerk über L.Ron Hubbard und die von ihm gegründete Scientology-Gemeinschaft – besonders pikant vor allem deswegen, weil ja gerade in Hollywood die Organisation nicht ganz ohne Einfluss ist. Wer den Film dann allerdings sah, zeigte sich – je nach Sympathie oder Antipathie für Scientology – enttäuscht bis erfreut. Weil bei aller Ähnlichkeit des Anführers von „The Cause“ (im Film wahrhaft und buchstäblich meisterhaft verkörpert von Philip Seymour Hoffman) im Film mit Hubbard nicht ein anklagendes Pamphlet gegen Scientology herausgekommen ist, sondern das Psychogramm einer traumatisierten Nachkriegsgesellschaft, ein Vexierbild der posttraumatischen Stresssyndrome einer ganzen Nation, deren Nachwirkungen wir auch heute noch spüren.

Psychisch schwer angeschlagen kehrt Freddie Quell (Joaquin Phoenix) aus dem Zweiten Weltkrieg zurück in die USA. Anders als es die offizielle Propaganda verheißt, haftet ihm nichts von dem Ruhm eines siegreichen Soldaten an, nichts drängt ihn dazu, sein vorheriges Leben als anständiger Bürger wieder aufzunehmen, ein Haus zu bauen und eine Familie zu gründen. Rastlos streift er umher, auf der Suche nach Halt und Sinn in seinem Leben, der ihm auf den Schlachtfeldern der Pazifikfront abhanden gekommen ist. Bis er zufällig dem charismatischen Lancaster Dodd in die Arme läuft, der den labilen jungen Mann bei sich aufnimmt und versucht, ihn für seine Organisation „The Cause“ (zu deutsch: Der Ursprung, der Grund) zu gewinnen, die das geistige Vakuum der Nachkriegszeit dazu nutzt, um Menschen in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ziehen. Auch Quell erliegt dem Charme Dodds zumindest zeitweise…

Gedreht in betörenden Bildern und im mittlerweile nahezu ausgestorbenen 70mm-Format entwickelt Paul Thomas Anderson das Doppelporträt zweier faszinierender Männer, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Und doch stehen Freddie Quell und Lancaster Dodd sich nicht nur einander gegenüber als zwei Exponenten einer bewegten Zeit, sie sind zugleich typische Vertreter ihrer Zeit, Gestalten aus Fleisch und Blut und darüber hinaus Repräsentanten verschiedener psychischer und gesellschaftlicher Strömungen der Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In der vielfach gebrochenen Figur Quells deuten sich die Subkulturen all jener physisch wie psychisch verwundeten Männer an, die in der restaurativen Atmosphäre der späten Vierziger- und frühen Fünfzigerjahre keinen Halt mehr fanden und stattdessen zu Outlaws wurden – ob sich diese nun Rocker nannten oder Beatniks. Menschen wie Dodd hingegen erspürten diese offiziell totgeschwiegene Traumatisierung einer ganzen Generation und wurden zu den eigentlichen Nutznießern der subliminalen Psychopathologien der äußerlich perfekten Fassade der Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderzeit.

Getragen wird dieses nur auf den ersten Blick schlichte Konstrukt eines Doppelporträts vor allem von zwei wundervollen Schauspielern, die im Verlauf des Films ein regelrechtes Duell von Giganten (tatsächlich muss man bei diesem Film des öfteren an James Dean in Giant aus dem Jahre 1956 denken) abfackeln – was umso mehr erstaunt, weil Joaquin Phoenix bislang ja eher als Meister des Overacting aufgetreten ist. Hier aber, an der Seite und als Widerpart von Philip Seymour Hoffman, wächst er als gebrochener Ex-Soldat zu neuer Größe heran und setzt den starken und notwendigen Widerpart zum charismatisch-jovialen Lancaster Dodd, der den Film in seiner fragilen Balance hält.

Betrachtet man allein die Handlung des Films, den dramaturgischen Aufbau und die erzählerische Struktur, so enttäuscht The Master auf den ersten Blick, weil er sich viel zu viel Zeit lässt für die Etablierung seiner Figuren, für die Schilderung scheinbar nebensächlicher Details, für eine Storyline, deren Ende man früh ahnt. Zugleich aber fasziniert der Film durch seine meisterliche Ausarbeitung der Charaktere, deren Agieren auf der Leinwand man bei aller Antipathie für beide Positionen zunehmend gebannt verfolgt.

Und so verfestigt sich am Ende der Eindruck, dass Paul Thomas Anderson mit The Master vielleicht gar nicht diesen Lancaster Dodd gemeint haben könnte, sondern sich selbst, den Schöpfer dieser unglaublichen Figur. Das wäre dann allerdings bei aller Liebe zu diesem Film und zu Anderson schon wieder eine bodenlose Frechheit — allerdings eine, die man dem Regisseur gerne verzeiht. Weil sie zumindest nicht ganz unberechtigt ist. Es braucht eben nur einige Zeit, um den wahren Wert dieses Filmes zu erkennen: Er ist eines jener seltenen Meisterwerke, das – sofern es so etwas wie „Gerechtigkeit“ in der Filmgeschichtsschreibung geben sollte – in Zukunft als leuchtendes Paradebeispiel für charaktergetriebenes Erzählen herhalten muss.

 

The Master (2012)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Meisterhafter Fall

Es erinnert ein wenig an Michael Jacksons Dilemma nach seinem Jahrhundert- ach was, Jahrtausend-Album Thriller.Was macht man nur, wenn man, vor allem in noch recht jungen Jahren, ein so unglaublich gutes Werk hingelegt hat. Wie soll es weiter gehen, wie soll man sich damit messen? Man kann eigentlich nur verlieren, denn die Erwartungen sind so überdimensioniert, die Fallhöhe so hoch, dass man es eventuell nicht überlebt.
 

Und das ist nun das Dilemma von Paul Thomas Anderson. Sein neuer Film The Master muss in Nachfolge mit seinem Meisterwerk There Will Be Blood (zwei Oscars, zahlreiche andere Auszeichungen und die Anmerkung „bester Film des Jahrzehnts“) antreten. Lange hatte man auf diesen Nachfolger gewartet, die Gerüchte darüber, dass auf einem 70mm-Format gedreht werde und dass Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman die Hauptrollen in dem als „Scientology-Biographie“ bezeichneten Film übernehmen werden, kreierten einen Hype, der sich nur schwer befriedigen ließ. Und so kam es auch, dass nach der Filmvorführung eher Stille, ja geradezu Erschöpfung herrschte. Um den Film als eigenständiges Werk zu sehen, bedarf es einer Wartezeit und etwas Abstand, denn der Überbau an Marketing, Erwartungen und schon im Voraus erteiltem Kultstatus, soll nicht mit der Betrachtung des Filmes verbunden werden, genauso wenig, wie es hilfreich wäre ihn mit seinem Vorgänger zu vergleichen. Letztendlich ist der Film nur das, was er ist, im Kino spielt der Rest keine Rolle. Was also kann man von The Master erwarten?

Um es kurz zu machen: Anderson präsentiert großes, man kann sogar sagen episches Kino. Seine Fähigkeit, Bilder zu erschaffen, die nicht nur ästhetisch perfekt und wunderschön sind, sondern die auch in jeder Sekunde so plastisch und mit viel Emotionalität ausgestattet sind, dass es fast scheint, als würden sie atmen, scheint ausgereift. Lange schon hat man nicht solch imposante Liebe zur Visualisierung gesehen – Vergleiche mit Erich von Strohheim oder Orson Welles sind nicht übertrieben. Und diese Grandiosität wird nochmals verstärkt durch die Vergrößerung auf 70mm – da sage noch einmal jemand, dass das Material letztendlich keine Rolle spiele. Andersons Bilder sind eine ganz eigene Figur, sie füllen seine Welt mit stetiger Wärme und Emotionalität. Auf dieser Leinwand spielen zwei männliche Protagonisten, die die zwei Seiten einer Medaille darstellen: Freddie Quell (Joaquin Phoenix) ist gezeichnet vom Krieg, ein Alkoholiker, der am liebsten seinen Scotch mit Verdünner panscht, damit es mehr reinhaut. Freddie ist psychisch krank, nicht vom Krieg, wie sich bald herausstellt. In ihm tobt eine ständige Wut, gepaart mit einem massiven Sexualtrieb, den der Film bis auf zwei Szenen eher andeutet. Freddies Welt ist so verzerrt wie sein Gesicht, die eine Hälfte starr, die andere eine Grimasse. Er kann keine Jobs behalten, er hat niemanden, der ihn aufnimmt, so streunt er durch die Welt und trifft auf Lancaster Dodd (Philip Seymour Hofman), der auch „The Master“ genannt wird. Lancaster ist ein ruhiger, besonnener Intellektueller, das gezähmte Gegenteil zu Freddie. Er ist der Guru einer Sekte namens „The Cause“, eine Figur und Geschichte, die sehr stark angelehnt sind an die wahre Geschichte von L. Ron Hubbard und Scientology – doch eigentlich spielt dieser Fakt im Film nicht wirklich eine Rolle.

The Master ist, wie die Vorgängerfilme Andersons auch, vor allem ein Film über zwei Männer, die sich auf der Suche befinden, die sich gegenseitig Ersatzväter und -söhne sind, obwohl oder gerade weil sie den jeweils Anderen zerstören. So versucht Lancaster die Psyche Freddies mit seinen Methoden zu zähmen, doch letztendlich zeigt sich, dass der Wahnsinn eines religiösen Kultes alle einlullen kann, außer die, die noch wahnsinniger sind. Der Film schwankt zwischen zwei Beobachtungen hin und her: einmal erzählt er die Entwicklung von „The Cause“, doch meist bleibt er bei Freddie und Lancaster, zwei verlorenen Männern und damit zwei Figuren, deren Darsteller sich gegenseitig in unglaubliche (aber manchmal auch übertrieben geschauspielerte) Höhen treiben. Die Erzählung des Films ist so löchrig wie Freddies alkoholgetränktes Hirn, es gibt Aussparungen, Sprünge, Andeutungen, die in ihrer Gesamtheit fast schon selbst eine Geschichte sind.

Genau hierin liegt das Problem des Films: Während Anderson Kamera, Ton, Schnitt etc. geradezu meisterhaft zu manipulieren vermag, so liegt seine Schwachstelle in der Geschichte und ihren Charakteren. Die Aussparungen führen insgesamt dazu, dass ein Vakuum entsteht, in dem der Zuschauer zusehends verschwindet. Der Film verschluckt sich selbst Stück für Stück und lässt ein leeres Gefühl zurück; so als hätte man etwas auf dem grandiosen Weg verloren.

The Master (2012)

Paul Thomas Anderson gehört zu den wenigen wirklich großen zeitgenössischen Autorenfilmern des US-amerikanischen Kinos. Seine beachtliche Filmkarriere, die Werke wie „Magnolia“, den wunderbaren „Boogie Nights“, den sträflich unterschätzten „Punch-Drunk Love“ und den weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgefeierten „There Will Be Blood“ umfasst, hat ihn abseits der Konventionen des Mainstream-Kinos als Regisseur etabliert, der viel eher Romancier ist als Filmemacher.

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