Land der Wunder

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Kein Honigschlecken

Dieses Scheiß Kamel. Wer braucht schon ein Kamel in der Toskana, wo es noch dazu verboten ist, eines zu halten? Aber der Vater von Gelsomina (Maria Alexandra Lungu) konnte und wollte nicht hören. Es war einmal ihr Kindheitstraum, eines zu besitzen. Aber das ist schon eine ganze Weile her und nun ist sie in der Pubertät und an der Grenze zum Erwachsensein.
Dabei ist der Vater selbst schuld, dass sie so schnell erwachsen geworden ist, denn die Arbeit auf dem Imkerhof ist hart und an Gelso bleibt eine Menge hängen. Der Vater, ein Exil-Deutscher, der wohl im „Deutschen Herbst“ aktiv war und flüchten musste, ist inzwischen kein politisch aktiver Linker mehr, sondern ein alternder Hausdespot, der die vier Töchter, die Mutter und eine deutsche Freundin tagein, tagaus tyrannisiert. Er fürchtet den baldigen Weltuntergang oder mindestens eine Art Kollaps, weshalb er sich auch aller Hilfe von außen verweigert und versucht, seine Familie komplett abzuschotten. Mehr schlecht als recht leben sie vom Honig, den sie produzieren. Das Abfüllen überlässt er oft den Kindern. Das Geld bleibt natürlich bei ihm — irgendwie muss man das Kamel ja auch bezahlen. Weil es aber nicht reicht, nimmt er einen jungen Straftäter bei sich auf. Arbeitslager in der Toskana statt JVA in Deutschland — und dafür gibt es auch noch ordentlich Geld.

Doch Gelsomina, mit ihrer ruhigen aber bestimmten Art, bricht langsam das Patriarchat entzwei. Der Vater ist längst nicht mehr der Held aus Kindertagen. Als der Bauernhof droht gekündigt zu werden, meldet das Mädchen die Familie bei einem Fernsehwettstreit an. Zu gewinnen gibt es eine Menge Geld. Der Vater ist sauer, als er davon erfährt, dass sein „Nein“ nicht ernst genommen wurde. Die Tochter, sie emanzipiert sich — und so ist Papa gezwungen mitzumachen.

Land der Wunder ist eine der schönsten Coming-of-Age Geschichten, die es seit langem gab. Von der Geschichte selbst einmal abgesehen, sind es vor allem der Ton und das immerwährend Mystische, das diesem Film seinen geheimnisvollen Kern geben. Und dieser Kern liegt eindeutig im Weiblichen. Vor allem die junge Protagonistin scheint ein tiefes Gespür für das Land und die Bienen zu haben, das sich nur mit einer Art überlieferter Weisheit vergleichen lässt, welches von Generation zu Generation weitergegeben wird. Eine Art übergeordnete weibliche Intuition, die nicht schneidender der Trampeligkeit des Familienoberhauptes entgegenstehen könnte. Und so entfaltet sich auch zwischen den toskanischen Bergen, den Bäumen, den Vögeln und Bienen ein sanfter und fast nicht hörbarer Abgesang auf das Patriarchat und ein Einläuten eines Erwachsenwerdens für alle Beteiligten, das nur im Untergang oder in der gleichberechtigten Zusammenarbeit enden kann.

Über weite Strecken bleibt die Regisseurin Alice Rohrwacher ganz nah an ihren Figuren und begleitet die kleinen Revolutionen, die still im Alltag versteckt sind, mit Feingefühl und einem Gespür für aussagekräftige Bilder. Manchmal verliert der Film dadurch sein Tempo, er findet es jedoch immer wieder und kann diese zwischen Realität und verträumter Magie pendelnde Geschichte stets weiterspinnen. Und am Ende, so man diese Synästhesie zulässt, schmeckt der Film sogar ein wenig nach hausgemachtem Honig.

Land der Wunder

Dieses Scheiß Kamel. Wer braucht schon ein Kamel in der Toskana, wo es noch dazu verboten ist eines zu halten? Aber der Vater von Gelsomina (Maria Alexandra Lungu) konnte und wollte nicht hören. Es war einmal ihr Kindheitstraum, eines zu besitzen. Aber das ist schon eine ganze Weile her und nun ist sie in der Pubertät und an der Grenze zum Erwachsensein.
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