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Auf einer abgelegenen Insel führt der charismatische Fust eine Sekte an, die ihr Leben der Reinheit gewidmet hat. Unter seinen Anhänger, die entweder im Schmutz leben oder am Licht, befinden sich auch zwei Kinder. Und die entscheiden schließlich über das Schicksal der Gemeinschaft.

A Pure Place (2021)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Das Dreckige und das Reine oder: Der ReinlichkeitsKULT

In Fusts Reich auf einer abgelegenen Insel irgendwo in der Ägäis herrscht ein strenges Regiment. Der charismatische Sektenführer mit der sonoren Bassstimme (Sam Louwyck), die sich immer wieder erhebt, um (Binsen-)Weisheiten über die Verdorbenheit der Welt von sich zu geben, gibt es Kinder des Lichts und solche, die im Dunkeln leben. Letztere, es sind vor allem Kinder unter der Aufsicht des Vorarbeiters und Aufpassers Albrich (Daniel Fripan, der bereits in „Der Bunker“ von Nikias Chryssos zu sehen war), schuften unter widrigen Umständen in einer Fabrik, in der Seife hergestellt wird, mit deren Verkauf sich die Gemeinschaft über Wasser hält.

Unter den Kindersklav*innen, die für die Erleuchteten schuften, befinden sich auch zwei Geschwister: Irina (Greta Bohacek) und ihr jüngerer Bruder Paul (Claude Heinrich), die von Fust, so ist es in einer Art Epilog zu sehen, einem Leben in Obdachlosigkeit mit einer offensichtlich drogensüchtigen Mutter entrissen und auf die Insel verschleppt wurden. Als Irina älter wird, zieht sie Fusts Interesse auf sich, nachdem dieser seine bisherige Muse Maria (Lena Lauzemis) verstoßen hat und nun erneut auf der Suche ist nach einer Frau (rein muss sie natürlich sein), die ihm dabei helfen soll, seine finsteren Pläne, die Sekte samt und sonders in den Tod zu schicken, in die Tat umzusetzen. Also nimmt Irina fortan als Reinkarnation der altgriechischen Göttin für Gesundheit und Reinheit Hygeia einen besonderen Platz an der Seite Fusts ein, während ihr Bruder Paul in der schmutzigen Unterwelt der Insel zurückbleibt. Doch in den Eingeweiden dieser merkwürdigen Gemeinschaft bahnt sich eine Rebellion gegen den Herrscher über Leben und Tod an …

A Pure Place, der zweite Langfilm von Nikias Chryssos, dessen Erstling Der Bunker gleichermaßen faszinierte wie verstörte, ist irgendwo im Zwischenreich zwischen düsterer Farce, griechischer Tragödie, dunklem Neo-Noir-Märchen und Weird Wave angesiedelt und verfügt allein schon auf der Bildebene, für die der Kameramann Yoshi Heimrath (Berlin Alexanderplatz) verantwortlich zeichnete, über ein beträchtliches Repertoire an Tonalitäten und emotionalen Temperaturen: Mal erinnern die Bilder von der Insel an Folk-Horror im Stile eines Wicker Man oder Midsommar, dann taucht der Film wieder in die neonschwarze Palette eines Nicholas Winding Refn (die Nachtclubszenen in Athen), ist hippiesk verstrahlt oder unterirdisch düster wie in Der Bunker. Untermalt werden die teilweise rauschhaften Bilder, die immer wieder auch auf die altgriechische Mythologie verweisen, von einem kongenialen Score aus der Feder von John Gürtler und Jan Miserre.

Allen deutlichen Genreverweisen und der eigentlich recht einfach nachzuvollziehenden Story zum Trotz ist A Pure Place aber kein einfacher, kein schlichter Film, sondern überraschend vielschichtig. Er zeigt die totalitären Mechanismen von Kulten, Sekten und anderen Glaubensgemeinschaften ebenso wie die Mechanismen, ist ätzende Farce auf den Reinlichkeitswahn unserer Zeit, beklemmende Studie einer rigiden Gesellschaft im Kleinen, vertracktes Meta-Konstrukt und dann wieder erfrischend klar und auf subtile Weise schrecklich und komisch zugleich. Ein gelungener Balanceakt.

A Pure Place (2021)

Die Geschwister Paul und Irina wachsen auf einer abgelegenen griechischen Insel in der religiösen Gemeinschaft des geheimnisvollen Fust auf. Als der Guru Irina zu sich holt, fühlt Paul sich allein gelassen. Er muss seine Schwester befreien, bevor es zu spät ist. Denn die Sekte bereitet bereits ihr tödliches Ende vor. (Quelle: Violet Pictures)

 

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