Jimmy P. - Psychotherapie eines Indianers

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine anthropologisch-analytische Fallstudie

Die Liebesgeschichte zwischen dem Kino und der Psychoanalyse ist spätestens seit Alfred Hitchcocks Spellbound, aber eigentlich schon seit den cineastischen Experimenten der Surrealisten ein fester Bestandteil des Nachdenkens in und mit Bildern. Dennoch erstaunt es schon ein wenig, dass es mit Arnaud Desplechins Jimmy P. eine psychologische Fallgeschichte in den Wettbewerb von Cannes geschafft hat, die auf einen weit zurückliegenden Fall zurückgreift, dessen Verbindung zu unserer Zeit man leider vergebens sucht. Und genau das ist zwar nicht der einzige, aber einer der großen Schwachpunkte des Films, der ein in jüngster Zeit wiedererwachtes Interesse an den Techniken der Psychoanalyse wie etwa in David Cronenbergs Eine dunkle Begierde fortführt. Wobei hier eher auf die Prominenz der Darsteller als auf die Bekanntheit der Fallgeschichte gesetzt wird.
Im Mittelpunkt des Films steht der Blackfoot-Indianer James Picard alias Jimmy P. (Benicio Del Toro), der 1948 mit indifferenten Symptomen in die Menninger Klinik der US-Army in Topeka eingeliefert wurde. Aufgrund einer im Zweiten Weltkrieg erlittenen Kopfverletzung gehen die Ärzte zunächst davon aus, dass die Ursache für die immer wieder auftretenden heftigen Kopfschmerzattacken körperlicher Natur sein müssten, doch als die Untersuchungen keinerlei körperliche Schäden ergeben, verfestigt sich der Verdacht, dass die Ursachen seelischer oder geistiger Natur sein müssen. Wegen der Herkunft des Patienten ziehen die Ärzte schließlich den in Ungarn geborenen und in Frankreich aufgewachsenen Anthropologen und Psychoanalytiker Georges Devereux (Mathieu Amalric) hinzu, der während eines Forschungsaufenthaltes beim Stamme der Mohave großes Interesse für die Seelenwelt der amerikanischen Ureinwohner entwickelte. Obwohl der Patient Jimmy P. nach außen hin wie ein ganz normaler Amerikaner lebt, zeigen sich auch bei ihm im Lauf der Behandlung Spuren einer verdrängten Erlebniswelt, die auf das Erbe der Vorfahren zurückgeht. Und so kommen die beiden Männer schließlich dem Trauma auf die Spur, das die Ursache für die heftigen Symptome des Patienten darstellt.

Das klingt nicht wirklich spannend? Das ist es ehrlich gesagt auch nicht. Obwohl sich Desplechin und seine beiden Hauptdarsteller sichtlich Mühe geben, die Leiden des Patienten und die schillernde Persönlichkeit des Psychoanalytikers sicht- und spürbar werden zu lassen und vor allem die Traumsequenzen wirklich gelungen sind, mag man nicht so recht anspringen auf diesen Film, ist die Dramaturgie der psychologischen Detektivarbeit spannungsarm, stellenweise sogar regelrecht langweilig und zudem von derart penetranter Musik unterlegt, dass einem zwar schnell klar wird, an welchen Stellen man nun bitte schön ganz viel Gefühl entwickeln soll, auch wenn das „Warum“ eher nebulös bleibt. Während Del Toro als Indianer immerhin einigermaßen glaubwürdig erscheint, agiert Amalric an der Grenze zur Karikatur und gibt den aus Osteuropa stammenden Intellektuellen europäischen Zuschnitts so lebensfroh und chaotisch, charmant und schlitzohrig zugleich, dass man von solch einem Therapeuten besser nicht behandelt werden möchte.

Was völlig unterbleibt, ist indes die Einordnung des Falls in die Bedeutung der Wissenschaftsgeschichte, so dass am Ende nicht sehr viel mehr bleibt als die Erkenntnis, dass der Ödipuskomplex keinesfalls nur für neurotische Mitteleuropäer eine gerne genommene Ursache für seelische Defekte ist, sondern auch für nordamerikanische Ureinwohner. Für angehende Psychologen mit großem Interesse an den ethnologischen Aspekten mag das ja ein einigermaßen interessanter Lehrfilm sein, für den normalen Zuschauer hingegen dürfte der Film weniger anregend sein. Aber immerhin beruhigend zu wissen, dass wir trotz aller kulturellen Unterschiede zumindest psychologisch aus dem gleichen Holz geschnitzt sind.

Jimmy P. - Psychotherapie eines Indianers

Die Liebesgeschichte zwischen dem Kino und der Psychoanalyse ist spätestens seit Alfred Hitchcocks „Spellbound“, aber eigentlich schon seit den cineastischen Experimenten der Surrealisten ein fester Bestandteil des Nachdenkens in und mit Bildern. Dennoch erstaunt es schon ein wenig, dass es mit Arnaud Desplechins „Jimmy P.“ eine psychologische Fallgeschichte in den Wettbewerb von Cannes geschafft hat, die auf einen weit zurückliegenden Fall zurückgreift, dessen Verbindung zu unserer Zeit man leider vergebens sucht.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen